Superprovisorische Verfügung: Wenn Medien Medien zensieren

Nr. 19 –

Die WOZ darf nicht schreiben, welche Art von Dokumenten eine Hackergruppe über CH Media veröffentlicht hat.

Das Handelsgericht des Kantons Aargau hat der WOZ am Montag per superprovisorischer Verfügung auferlegt, online einen einzelnen Satz aus dem Artikel «Die NZZ im Cyberdilemma» von vergangener Woche zu schwärzen. Weiter hat das Gericht der WOZ verboten, «von Cyberkriminellen im Darknet veröffentlichte Dokumente» herunterzuladen, zu bearbeiten und zu veröffentlichen. Das entsprechende Gesuch hatten das Verlagshaus CH Media Holding und ihr Vertriebsunternehmen AZ Vertriebs AG gestellt.

­«Tagi»-Bericht weiter online

Die Hackergruppe «Play» hatte letzte Woche Dokumente im Umfang von rund fünf Gigabyte aus diesem Betrieb im Darknet veröffentlicht, jenem Bereich des Internets, der nur mit speziellen Browsern zugänglich ist und nicht von Suchmaschinen wie Google durchforstet wird. Die WOZ hatte in ihrem Text über die Entwicklung der Cyberkriminalität sowie den aktuellen Cyberangriff bei CH Media und der NZZ berichtet.

Auch andere Medien haben dies getan, etwa der «Tages-Anzeiger». Dort stand in der Ausgabe vom 3. Mai unter anderem: «Eine erste Auswertung der Dokumente zeigt: Die Internetkriminellen entwendeten Lohnlisten, Lohnausweise, Erfolgsrechnungen, Korrespondenzen mit dem Fiskus, Werberechnungen, vertrauliche Daten für den Erhalt staatlicher Presseförderung und Medienprojekte, bei denen auch Konkurrenzunternehmen wie Ringier und der Tamedia-Konzern im Fokus sind. Zudem enthält der gestohlene Datensatz Angaben über Kickbacks, die in den vergangenen Jahren an Partnerunternehmen zurückgeflossen waren.»

Der «Tages-Anzeiger» hat keine superprovisorische Verfügung erhalten, wie Chefredaktorin Raphaela Birrer der WOZ bestätigt. Dabei hat er weit detaillierter über die geleakten Dokumente berichtet. Der entsprechende Artikel ist nach wie vor online. Hingegen sind weitere kleinere Medienunternehmen ebenfalls gezwungen worden, Passagen in ihren Texten zu löschen, so das Branchenmagazin «Inside IT» und das Zentralschweizer Onlinemedium «Zentralplus». Letzteres hat deshalb gleich drei Artikel gänzlich vom Netz genommen. Auch «Inside IT» und «Zentralplus» haben keine konkreten Inhalte der geleakten Dokumente verbreitet.

«Besonders schwerer Nachteil»

Das Mittel der superprovisorischen Verfügung stützt sich auf die Zivilprozessordnung. Damit kann ein Gericht Massnahmen verhängen, ohne die Gegenpartei anzuhören. Zurzeit darf dieses Mittel gegen Medien nur angeordnet werden, wenn der gesuchstellenden Partei «ein besonders schwerer Nachteil» entsteht. Die CH Media AG macht in ihrem Gesuch «Persönlichkeitsverletzungen» geltend.

Doch vor rund zwei Monaten hat das Parlament einer Verschärfung des Medienartikels in der Zivilprozessordnung endgültig zugestimmt: Dabei wird es künftig genügen, nur noch einen «schwerwiegenden Nachteil» geltend zu machen. Gegen diese Verschärfung hatte sich zuvor eine breite Allianz von Medienunternehmen gewehrt, so auch CH Media. Ihr Chefredaktor Patrik Müller sagte gegenüber dem Medienportal «Persönlich»: «Mit diesem Entscheid behindert das Parlament die journalistische Arbeit und sendet zudem ein falsches Signal an die Redaktionen: gegen das Recherchieren und gegen die Medienfreiheit.»

Die CH Media AG wollte auf Anfrage der WOZ nicht zu konkreten Fragen Stellung nehmen, da es sich um ein «laufendes Verfahren» handle. Allgemein schreibt ihre Medienstelle: «Wir werden konsequent gegen die Weiterverbreitung und unrechtmässige Bearbeitung von widerrechtlich veröffentlichten Daten vorgehen.» Die WOZ wird die Verfügung anfechten und hält die gerichtlich erzwungene Löschung jener Textpassage für einen Einschüchterungsversuch, um weitere Recherchen zu verhindern.