Auf allen Kanälen: Der besondere Schutz der Wirtschaft

Nr. 20 –

Die Rechtskommission des Ständerats bereitet die Abschwächung von Artikel 266 der Zivilprozessordnung vor. Damit würde sie die Verhinderung kritischer Medienbeiträge erleichtern.

Der Artikel 266 der Zivilprozessordnung kann auf Gesuch von Betroffenen die Macht der Medien einschränken, sofern JournalistInnen mit einer geplanten Publikation die Persönlichkeit natürlicher oder juristischer Personen (also Unternehmen) verletzen könnten. Der entscheidende Satz des Artikels 266 lautet: «Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann.» Mit einer sogenannten superprovisorischen Verfügung können Betroffene die Veröffentlichung einer Recherche bereits heute verbieten oder zumindest über Wochen oder Monate verzögern lassen. Denn die Gerichte entscheiden zunächst ohne Anhörung der Gegenpartei.

Machtlose Opfer?

Jetzt will die Rechtskommission das Wörtchen «besonders» streichen und das Vorgehen gegen kritische Berichterstattung erleichtern. Als das Geschäft öffentlich wurde, waren die Reaktionen heftig. Das öffne der Zensur Tür und Tor, lautete der Tenor. Zwei Journalisten von Tamedia fragten Kommissionspräsident Beat Rieder (Die Mitte) nach dem Grund für die Streichung – die Antwort: «Es gibt immer noch zu viele Presseartikel, die auf Sensationen aus sind, ohne die Privatsphäre der betroffenen Personen zu respektieren.» Die Medien hätten viel Macht, man müsse diese ins Gleichgewicht bringen. Mit solchen Aussagen überhöht Rieder die Macht einer Branche, deren Recherchekapazitäten in der sich verschärfenden Medienkrise schwinden. Zudem lenkt er den Fokus auf Privatpersonen – doch sind diese tatsächlich das Motiv für den Änderungsantrag der Rechtskommission?

Wenn es um die Frage geht, wie sich Personen wirksam vor sensationsgeilen JournalistInnen schützen können, die Privates an die Öffentlichkeit zerren oder gar falsche Beschuldigungen publizieren, spielt der Artikel 266 oft gar keine Rolle. Wie etwa im Fall jenes völlig ahnungslosen Taxifahrers in St. Gallen, der von einem «Blick»-Journalisten fälschlicherweise verdächtigt wurde, ein Vergewaltiger zu sein (der Journalist wurde dafür verurteilt). Tatsächlich geht es um gesellschaftliche Machtverhältnisse: Privatpersonen, die zum Mittel der superprovisorischen Verfügung greifen, sind meist geübt im Umgang mit Medien. Sie verfügen über die finanziellen Mittel für eine langwierige juristische Auseinandersetzung. Machtlose Opfer sind sie oft keineswegs.

Die Reputation zählt

Kein Wort verliert Ständerat Rieder im Tamedia-Interview über die juristischen Personen, also die Unternehmen. Dabei geht es im Kern wohl um deren Interessen. Wie die WOZ von AnwältInnen erfahren hat, berufen sich Unternehmen häufiger als auch schon auf die Verletzung der juristischen Persönlichkeit. Bereits Fragen können dann zur Verhinderung einer Publikation führen, wie aus der superprovisorischen Verfügung eines Handelsgerichts hervorgeht, die der WOZ vorliegt. Ein Journalist recherchierte zu den Arbeitsbedingungen in einer Reinigungsfirma. Das Handelsgericht schützte das Begehren der Firma gegen die Veröffentlichung eines Artikels mit folgender Begründung: «Dass die Gesuchstellerin durch eine solche Publikation in ihrer Persönlichkeit verletzt werden kann, erscheint einstweilen ebenfalls glaubhaft, deuten die von [Name geschwärzt] gestellten Fragen doch an, dass seine Berichterstattung Inhalte aufweisen wird, welche geeignet sind, den geschäftlichen Ruf der Gesuchstellerin nachhaltig zu schädigen und sie als Arbeitgeberin und Vertragspartnerin unattraktiv, wenn nicht untragbar erscheinen zu lassen.» Arbeitsbedingungen sind aber von öffentlichem Interesse, allfällige Verstösse gegen das Arbeitsgesetz erst recht.

Mit der Streichung des Wörtchens «besonders» dürfte es der Rechtskommission des Ständerats weniger um Medienopfer gehen als um den «besonderen» Schutz der Wirtschaft. Personen, die sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen, können sich auch mit dem geltenden Artikel wehren. So hat die ehemalige Waadtländer Staatsrätin Jacqueline de Quattro im Jahr 2019 mit einer superprovisorischen Verfügung ein Verkaufsverbot für ein Buch über sie erwirkt.

Für eine gut informierte Öffentlichkeit steht also viel auf dem Spiel, wenn der Antrag auf Abschwächung von Artikel 266 im Juni ins Parlament kommt.