Mäuseplage in Zürich: Mein Kampf mit den Mickerhitlers

Nr. 1 –

Mäuse fangen ist simpel: Man braucht dazu ein Stück Käse und eine Badewanne. Doch leicht verfängt man sich in einem komplexen Geflecht von Nazis, Bordellen und Managerratgebern.

Bruce Willis ist gerade daran, in «Apocalypse» die Welt zu retten, als ich entdecke, dass ich nicht allein bin. Neben mir hockt eine schmutzigbraungraue Maus auf meinem Parkett und sieht mir beim TV-Glotzen zu. Seelenruhig, extrem seelenruhig.

Ich habe es ja geahnt, dieses leise Trippeln bereits gehört. Nun bin ich ein Naturfreund (WWF-Mitglied, Fischbesitzer, Serengeti-Reisender und so weiter). Dennoch scheint mir diese Kohabitation widernatürlich, gerade im Zürcher Kreis 4, der - ausgenommen Kampfhunde und Pinscher - zirka gleich viel Natur beherbergt wie der Mond.

Mit einem Papiersack will ich die Maus fangen. Sie rennt unter das Büchergestell, ich hinterher, sie rennt ins Esszimmer hinüber, ich hinterher, sie schliddert zum TV, ich hinterher, sie tunnelt mich und spurtet ins Esszimmer zurück. Schliesslich stelle ich sie: Ganz hinten hockt sie in meinem Schallplattenregal, in einer Lücke zwischen Elliott Murphy und den Mystics, unerreichbar für mich. Wir keuchen beide. Zerquetschen mit den LPs geht nicht, es bleibt die Gründung einer WG. Ich nenne das aggressive und doch so freundlich scheinende Tier Superjens, zu Ehren des Swisscom-Chefs Jens Alder.

Die Mus musculus

Einige Tage geht alles gut, ich lasse gar eine Brotkruste liegen für Superjens. Gelegentlich höre ich ein leises Trippeln, meine Novembereinsamkeit schwindet. Ich recherchiere im Internet zur Hausmaus (Mus musculus). Schon dieser niedliche lateinische Name! Ich überfliege die Liste der Treffer. Ups. Auch Hitlers «Mein Kampf» steht darauf. Was hat der mit Superjens zu tun? Ich lese, erst verblüfft: «Jedes Tier paart sich nur mit einem Genossen der gleichen Art. Meise geht zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur Störchin», dann in Gelächter ausbrechend, «Feldmaus zu Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus, der Wolf zur Wölfin und so weiter.»

Ich suche das Stichwort Maus in «Mein Kampf» und finde auch etwas: «(…) hatte ich mir die Spielerei angewöhnt, den Mäuslein, die in der kleinen Stube ihre Unterhaltung trieben, ein paar Stückeln harte Brotreste oder -rinden auf den Fussboden zu legen und nun zuzusehen, wie sich die possierlichen Tierchen um diese paar Leckerbissen herumjagten.»

Ich will nicht wie Hitler sein! Sofort verordne ich mir mit Art Spiegelmans Holocaust-Comic «Maus» eine Gehirnwäsche und gewärtige mir, dass Mäuse nicht nur Essen ungeniessbar machen, sondern dass die Nager verheerende Kabelbrände verursachen können (Flugzeugabstürze!). Zudem übertragen sie Salmonellen und Typhus. Wahre Hitler-Viecher das, entsprechend taufe ich Superjens in Mickerhitler um. «Schlag ihn tot», rät ein Bekannter, «mit einem Besen.» Nein! Ich frage im Supermarkt nach Mausefallen. Verkäuferinnen schauen mich ratlos an: «Was?»

Im Walserhaus Gurin ist offenbar eine Mausefalle ausgestellt, bei der die Maus, wenn sie eine Schnur berührt, einen aufgehängten Holzklotz niedersausen lässt. Zu laut; die BewohnerInnen des Kreises 4 leiden schon unter endlos krakeelenden Partypeople, Freiern, Bekloppten sowie heulenden Strassenputzwagen. Was tun? 160 historische Mausefallen wären im Naturmuseum Olten zu besichtigen, aber die Inspirationsreise ist mir zu weit. Ich entscheide, mit beispielloser Listigkeit, die gewaltsame Ausschaffung durchzusetzen. Ich platziere ein Stück Käse (Grana Padano) auf dem Rand meiner Badewanne.

Triumph schon nach einer Nacht: Mickerhitler ist tatsächlich in die Badewanne gefallen beim Versuch, den Käse zu fressen, und kann nicht mehr raus. Erstaunlich dennoch, wie hoch er hüpfen kann. Ich fange ihn mit einem Plastiksack, der mit «Neue Räume 03» beschriftet ist, und beschliesse, den darin wild hüpfenden Mickerhitler auszusetzen.

Unter dem Komposthaufen in der Zürcher Kaserne verschwindet er in einem grossen Erdloch, ich lächle milde, bis mich eine scheussliche Erinnerung erschreckt: Leben in dem Loch die fetten Ratten, die ich hier mal beobachtet hatte? Ojemine. Ich schleppe mich in eine Bar. Als ich meine Geschichte erzähle, glaubt man mir kein Wort.

Allein erziehende Mausfrau

Der nächste Schock folgt am nächsten Tag. Entweder ist Mickerhitler wieder eingewandert, oder das ist Frau Mickerhitler. Sie wirkt femininer, so wie sie an meiner Boskoopwähe knabbert. Ausserdem ist sie fett oder, wahrscheinlicher, schwanger.

Auch das noch, ich recherchiere das Mäusewesen genauer. Es seien «gesellig lebende Gruppentiere». Ich benamse die Maus Angelina, zu Ehren von «Lara Croft»-Jolie, die auch allein erziehende Mutter ist und Unicef-Botschafterin dazu. «Unterschlupf so nahe wie möglich bei Nahrungsquelle, möglichst ungestört», heisst es zu ihrem Verhalten. «Der Aktionsradius beträgt zehn Meter.» So? Eine Art Pendlerin also? Mein Verhältnis zu den NachbarInnen droht sich rapide zu verschlechtern.

Vier bis acht Junge pro Wurf habe Angelina Mickerhitler, und dies vier bis sechs Mal jährlich. «Somit kann ein Mäusepärchen, vorausgesetzt alle Jungen und deren Nachkommen überleben, innerhalb eines Jahres bis zu 2000 Tiere zeugen.»

Diese Situation ist eine Herausforderung und muss richtig gemanagt werden, das ist klar. Spencer Johnson soll mir helfen mit seinem Bestseller «Die Mäuse-Strategie für Manager». Es erzählt von den beiden Mäusen Schnüffel und Wusel, die ein grosses Käselager finden und glauben, sie hätten ausgesorgt. Doch eines Tages ist der Käse verschwunden. «Akzeptieren Sie Veränderungen!», rät Johnson, und «Wer Käse hat, ist glücklich». So also tun Manager managen.

Ich versuch es auf meine Weise - ein zweites Mal mit demselben Stück Grana Padano: Auch Angelina fällt in die Badewanne. Diesmal habe ich Zeuginnen: Meine Freundin und meine Kamera. Anschliessend rast Angelina aus meinem Sack und schlüpft durch ein Kellerfenster unterhalb eines Restaurants. Da wird sies gut haben. Und ich gehe da sowieso nie essen.

Endlich allein? Ich frage Apoll an, den antiken Gott unter anderem der Weissagung, der zudem den Beinamen Sminthius trägt, was Maus bedeutet. Ha! Nein, es ist eine flotte Dritte übrig, und ich hör sie durch mein Schlafzimmer trippeln. Ich taufe sie, in der Hoffnung, dass es keine vierte mehr gebe, Schnüffel und Wusel und fange sie in der folgenden Nacht mit selbigem Käsestück in selbiger Badewanne. Ich halte mich inzwischen für einen richtigen Auswilderungsprofi, doch es ist Freitagabend, und es streunen mir viel zu viele Leute herum, als dass ich meinen Sack leeren könnte. Nur an einem Ort beachtet keiner seltsames Verhalten und einen eingezogenen Kopf - vor einem Bordell. Ich lasse Schnüffel und Wusel frei, und sie flieht zwischen den Beinen eines Freiers hindurch ins Rotlichtmilieu.

Wenn Mäuse Kabel mögen, wird Schnüffel und Wusel wohl auch Kondome fressen, denke ich, als ich den lauten Schrei höre, bevor die Bordelltür zufällt. Ein inspirierendes Geräusch, ich sehe plötzlich klar.

Disney soll helfen

Ein Mauspaar, 2000 Mauskids pro Jahr. Hm. Beim Veterinäramt Wien erhalte ich detaillierte Tipps zur artgerechten Hausmaushaltung. «Das unbedingt notwendige Schlafhäuschen muss allen Tieren Platz bieten und aus Gründen der Standfestigkeit aus Holz oder Ton (zum Beispiel umgedrehte Blumentöpfe mit ausgeschnittener Eingangsöffnung) gefertigt sein (…)», heisst es auf der Website.

Ich rechne, was ich als Mauszüchter benötigen werde: zirka 168 Quadratmeter Raum für die Haltung von 2000 Mäusen. Die Miete dürfte wohl 30 000 Franken im Jahr kosten, wenn ich 10 Rappen pro Maus und Tag für Essen rechne, dann kommen sicher 60 000 hinzu. Plus mein Lohn, zwei Stunden täglich zu 120 Franken die Stunde. Plus Unvorgesehenes. Macht 200 000 Franken zirka.

Ich sende eine Mail an Disney, die verstehen viel vom Mäusebusiness und frage um Sponsoring für mein ökologisches Kunstprojekt mit Kinderaspekt an. «Nie mehr wird ein Stadtkind vergessen, wie es eine Mausgeburt beobachtete», schreibe ich. Für eine Phase zwei schlage ich vor, jeweils zwanzig Mäuse auf zehn Bordelle loszulassen, in einer Serie von jeweils zehn Attacken. Diese Strategie vertreibt den geilsten Freier und den ärgsten Frauenhändler. Gut, nicht?

Das Disney-Maskottchen für deren Ökoaktionen sagt zwar auf der Website «every little bit makes a big difference», auch das kleinste Bisschen macht einen grossen Unterschied, aber der Konzern beantwortet mein Gesuch nicht. Vielleicht sollte ich jetzt Bruce Willis, Republikaner hin oder her, um Hilfe für das Projekt «Quartierweltrettung 2005» bitten. Schenkt mir schon mal jemand eine Maus oder, besser, ein Pärchen?