«Ma famille africaine»: Zwischen Elfenbein- und Goldküste

Nr. 6 –

Weder schlichtes Homemovie noch bitterernste Reflexion - der Film von Thomas Thümena erzählt von den Reibungsflächen der Multikultigesellschaft.

Es ist eine Schweizer Familie: Er, Thomas Thümena, ist knapp vierzig Jahre alt und von Beruf Filmemacher, sie, Lea Zézé, hat bis zur Geburt des Kindes Yann als Zimmermädchen gearbeitet, nun wird sie zuhause bleiben, bis sie eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin absolvieren kann. Sie leben in Zürich und teilen die Probleme, die fast jedes junge Paar hier haben wird: Es gibt keine Krippenplätze, das Geld ist knapp, man streitet und liebt sich.

Eine ganz normale Schweizer Familie also, wäre da nicht der unterschiedliche ethnische Hintergrund: Thomas stammt aus der Deutschschweiz, seine Eltern leben oberhalb des Zürichsees in einem idyllischen Häuschen. Und Lea ist an der Elfenbeinküste, in Abidjan, geboren und als Erwachsene in die Schweiz geflohen. Gelebt hat sie hier lange als Sans-Papier, dafür bekommt die Familie auch nach ihrer Legalisierung noch eine «vierstellige Busse», denn die Erklärung, die Lea für ihre Flucht angibt - sie sei auf der Suche nach dem Geld des Präsidenten -, überzeugt die Behörden nicht.

Und es gibt noch mehr Hürden: Auf dem Arbeitsamt erklärt man Lea, sie solle, obwohl sie ein Abitur nachweisen kann, doch weiter als Zimmermädchen arbeiten. Bei der ersten Aufnahmeprüfung für die Ausbildung fällt sie durch - ihr Deutsch ist nicht gut genug. Und Mentalitätsunterschiede: Thomas trägt lieber dezente Farben, Lea sieht ihn gerne in bunten Hemden. Gebären, findet sie, ist Frauensache, der werdende Vater wäre gerne dabei gewesen.

Auf der Kippe zur Tragödie

«Ma famille africaine» ist - das macht schon der Titel klar - ohne Frage ein Homemovie, erzählt aus der Perspektive eines weissen Deutschschweizers: Gefilmt wird mit einer so handlichen wie wackeligen DV-Kamera, und immer wieder gibt es Sequenzen, wie sie jede Familie produzieren könnte: Geburt des Kindes, erste Bilder vom Neugeborenen, schliesslich das Leben zuhause. Nur dass Thümena nicht abblendet, wenn die idyllischen Momente vorbei sind, ganz im Gegenteil, er will genau die Differenzen, die Reibungsflächen zwischen den Kulturen abbilden. Und was als locker-flockige Komödie beginnt (schon die Titel des Films laufen über eine Ethnopop-Tonspur), steht stets auf der Kippe zur Tragödie, denn bald liegen die unterschiedlichen Lebensentwürfe bloss: Auf der einen Seite die nicht reiche, aber doch wohlhabende Zürcher Familie, in der jeder zuerst für sich selbst schaut, auf der anderen die Grossfamilie in Abidjan, in der jeder und jede jedem und jeder unter die Arme greift. Von der Schweizer Verwandtschaft erhofft man sich zuallererst Geld: egal ob Medizin bezahlt werden muss, ob ein Minivan für die Flucht nach Ghana bereitgestellt werden oder ein Grundstück gekauft und ein Haus gebaut werden soll. Dazwischen steht das Paar mit Kind, das sich beiden Entwürfen stellen, das immer wieder die Denkmuster des anderen zunächst begreifen und später akzeptieren muss.

Thümena dokumentiert alle Verhaltensmuster: ein Staunen, eine Bewunderung, eine Neugierde, aber auch Ablehnung, Unsicherheit, Entsetzen. Der provisorischen Ästhetik der DV-Kamera entspricht dabei das Provisorische jeder Entscheidung - es gibt keine Handlungs- und Gebrauchsanleitung für das Leben, für das sich Lea, Thomas und Yann entschieden haben.

Ein Koffer voll Affenfleisch

Deshalb ist auch der Kommentar aus dem Off ein wichtiges filmisches Element, in dem Thümena seine eigenen Überlegungen, manchmal aber auch seinen Zorn und sein Unverständnis dokumentiert. Köstlich etwa die Passagen, in dem Thümena einen Koffer voll Affenfleisch nach Zürich importiert (hoffentlich kriegt er dafür nicht auch noch nachträglich eine Busse) und seiner Wut über die ausgelaufenen Plastiktüten freien Lauf lässt («Können die sich nicht mal gescheite Plastiksäcke leisten?!»). Jean-Stéphane Bron, ein Regiekollege Thümenas, hat den Film wohlwollend als «politisch unkorrekt» bezeichnet, tatsächlich aber wirft «Ma famille africaine» solche Zuordnungen über den Haufen, indem er einen Bogen von der jeweiligen ethnischen Projektion - «sie hielt ihn bei ihrer ersten Begegnung für einen Pornoregisseur, er sie für eine Prostituierte» - zu einer gelebten Wirklichkeit nachzeichnet. Und dabei ist der Film in keiner Sequenz so naiv, wie es seine einfache Machart anzudeuten scheint. «Ma famille africaine» ist eine hochintelligente, radikal subjektive und deshalb oft auch komische Reflexion darüber, was es heisst, eine Familie zu sein.

«Ma famille africaine». CH 2004. Regie: Thomas Thümena. Ab 10.2. in Deutschschweizer Kinos.