Keine Stelle: «An mir kann es nicht liegen»

Nr. 7 –

Dass Arbeitslosigkeit zwar Verzweiflung bedeuten kann, aber nicht unbedingt Hoffnungslosigkeit, zeigen Jugendliche in Lustenau. Sie initiierten in der österreichischen Grenzgemeinde ein Auffangnetz.

Klein ist Lustenau nicht. Die Marktgemeinde hat immerhin 20 000 EinwohnerInnen. Immerhin. Und das österreichische Grenzstädtchen hat auch potenzielle ArbeitgeberInnen. «Um die 700», Katrin Winter weiss das. Vor knapp einem Jahr hat die 21-Jährige nämlich alle angeschrieben, 700 Briefe mitverfasst und sie gebeten, Lehrstellen zu schaffen, «jungen Menschen eine Berufsperspektive zu geben». Vorher hatte sie selbst einige Bewerbungsschreiben verfasst, wenn auch nicht 700. Aber Katrin Winter wollte nicht nur für sich selbst schauen, sie wollte das Gewerbe und die PolitikerInnen für die Anliegen ihrer Generation sensibilisieren. «Das ist ja das Schreckliche», sagt sie. Arbeitsuchende Jugendliche seien völlig auf sich allein gestellt. Auch sie habe an sich selbst gezweifelt, als sie 19-jährig nach dem Handelsdiplom ohne Stelle dastand. «Beim Arbeitsmarktservice waren sie keine grosse Hilfe», zuerst sollte sie im Lebensmittelgeschäft an der Kasse arbeiten und danach für eine Stelle sofort die Abendmatura abbrechen. «Die waren überfordert», sagt Katrin Winter und zuckt mit den Schultern. Kurz, die junge Frau musste sich selbst auf die Suche machen. Nach fast einem halben Jahr fand sie endlich eine Stelle. Heute arbeitet sie als Bankkauffrau.

Doch das ist ihre persönliche Geschichte. Es gibt auch noch die kollektive Geschichte, jene der arbeitslosen Jugendlichen aus Lustenau. Eine Gemeinde mit einem hohen MigrantInnenanteil. Ein Industriestädtchen, das wie die meisten Gemeinden im Rheintal vom Niedergang der Textilwirtschaft betroffen ist. Allerdings hat es Lustenau geschafft, Technologie- und Dienstleistungsbetriebe anzuziehen. Doch diese haben - wie beinahe überall - den Verlust an Lehrstellen nicht ausgleichen können. Vor zwei Jahren gab Hans-Dieter Grabher, Bürgermeisterkandidat der Freiheitlichen Partei (FPÖ), ein Wahlversprechen: «Ein Auffangnetz für arbeitslose Jugendliche». Grabher wurde gewählt, und die arbeitslosen Jugendlichen gingen vergessen. Nicht so von Katrin Winter, ihren FreundInnen und Doris Bösch, Jugendarbeiterin im Jugendtreff Full-House. Sie brauchen das Netz. «Wenn man in Österreich aus der Schule kommt und keine Stelle findet, kann man sich nur als arbeitsuchend anmelden», sagt Katrin. Erst nach drei Monaten bekomme man auch Arbeitslosengeld. Sechs Monate später sei das auch schon wieder vorbei. «Man gilt als langzeitarbeitslos und muss Sozialhilfe beantragen.»

Dann doch lieber selbst handeln, sagt sich Katrin Winter und veranstaltet über die Lustenauer Jugendzeitung «Brüll mit» einen runden Tisch. Im Frühjahr 2003 reden VertreterInnen aller Parteien, JugendarbeiterInnen und Betroffene über das Problem. Im gleichen Atemzug nahm sie Bernd Bösch, den Wirtschaftsreferenten, in einem Interview in die Zange. Dieser sagte: «Der runde Tisch war der dringend notwendige Impuls, damit auch in der Gemeinde die Verantwortlichen aktiv werden.»

Im «Brüll mit» wird Jugendarbeitslosigkeit zum grossen Thema. Katrin schreibt: «Die Kernfrage bleibt, was die Gemeinde tun kann, bei zweihundert arbeitslosen Jugendlichen, und wie das versprochene Auffangnetz aussehen soll. Die Antwort bleiben die Verantwortlichen immer noch schuldig.» Also machte «Brüll mit» alleine weiter. Acht Jugendliche stellten sich in der Zeitung vor, bewarben sich um Lehrstellen, Zwischenbeschäftigungen, Arbeitsplätze. Sie fanden alle eine Stelle und die Aktion die benötigte Aufmerksamkeit. «Von da an liefs wie geschmiert», sagt Katrin Winter. Eine Sendung im Österreichischen Fernsehen ORF berichtete über die Aktion, und kurze Zeit später gewannen die MitarbeiterInnen von «Brüll mit» den Vorarlberger Landesjugendprojekt-Wettbewerb. «900 Euro, die wir dieses Jahr wieder einsetzen können», sagt Doris Bösch.

Womit haben sie den Preis verdient? «Die treibenden Kräfte waren die Jugendlichen, also die direkt Betroffenen», sagt Doris Bösch, «und das Resultat ist die direkte Zusammenarbeit.» Im Jugendtreff würden ausserdem jene angesprochen, die sich nie beim Arbeitsmarktservice gemeldet haben. Jene, die ihre Zukunft noch unsicherer sehen als gut ausgebildete junge Arbeitslose. «Selbstzweifel hat nämlich jeder Arbeitslose», sagt Katrin dazu. Aber sie habe immerhin gewusst: «An mir kann es nicht liegen.» Im «Full-House» erfahren die SchulabgängerInnen auch mehr über eine mögliche Berufswahl. So banal ist das nicht - es gebe 73 verschiedene Lehrberufe in Lustenau und immer noch wollten die meisten Coiffeur, Automechanikerin oder Verkäufer werden.

Das Projekt lief also wie geschmiert. Nur: Das Auffangnetz gibt es immer noch nicht. Doch wenigstens eine Ansprechperson bei der Gemeinde: Michaela Wolf ist Jugendkoordinatorin. «Die Stelle gabs zwar schon vorher - aber mein Schwerpunkt ist ganz klar die Jugendarbeitslosigkeit», sagt sie. Ihr Vorgänger fokussierte noch auf Streetwork. Das habe sich halt geändert, sagt auch Doris Bösch. Die Jugendarbeit habe sich von der Gestaltung der Freizeit hin zu einer Gestaltung des Arbeitslebens verschoben.

Dass beim Projekt die Solidarität zwischen der Wirtschaft und den jungen ArbeitnehmerInnen gefördert werde, sei eigentlich das Grundsätzliche. «Das Gewerbe braucht die Jugendlichen so sehr, wie diese das Gewerbe brauchen», sagt Michaela Wolf. Mit Praktika, Schnupperlehren und persönlichen Kontakten werde die Schwellenangst genommen. Das Urteil der Arbeitgebenden stütze sich danach auf mehr als nur Schulnoten. «Wenn nicht mehr Standardanforderungen, sondern die individuellen Talente und Fähigkeiten zählen, ist viel erreicht», sagt auch Jugendarbeiterin Doris Bösch.

Die Koordinatorin Michaela Wolf und die Jugendlichen im «Full-House» organisieren bereits wieder. Im Juli ist das Schuljahr zu Ende, und unzählige Sechzehn- bis Zwanzigjährige werden auf der Suche nach einer Lehr- oder Arbeitsstelle sein. «Doch eigentlich kann das nicht die permanente Aufgabe eines Jugendtreffs sein», sagt Doris Bösch.

Ganz gleich unter welcher Trägerschaft, das Projekt sollte allerdings weiterlaufen, Jahr für Jahr. «Genau. Bis es keine Arbeitslosigkeit mehr gibt», antworten alle drei grinsend.