Sport und Medien: Ein Seismograf für Veränderungen

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Sport als Rohstoff, der seine gesellschaftliche Bedeutung erst durch die Weiterverarbeitung durch das Fernsehen gewinnt: Eine Buchreihe analysiert Inszenierung, mediale Verbreitung und wirtschaftliche Verwertung des Sports.

Leider sind nur wenige SportlerInnen so schlagfertig wie der österreichische Schwimmer Markus Rogon. «Wie gross ist der Stein, der Ihnen vom Herzen gefallen ist?», wollte ein Reporter während der Olympischen Spiele von ihm wissen. Der Konter des Sportlers: «Das ist aber eine interessante Frage. Wie sind Sie darauf gekommen?» So inhaltlich banal, so unfreiwillig komisch die Frage-Antwort-Spielchen auch sein mögen, die die TV-ReporterInnen den AthletInnen nach einem Wettkampf aufdrängen - diese Rituale spielen eine wichtige Rolle bei der Emotionalisierung und Melodramatisierung der Sportberichterstattung, die seit dem Ende des 20. Jahrhunderts um sich greift. Ein Fussballer beispielsweise, «der sich für das Fernsehen als besonderes Subjekt zu inszenieren gelernt hat», wird dabei «wieder als der vom Sport gezeichnete Körper präsentiert», erläutert Dietrich Leder, der in Köln im Bereich Fernsehkultur lehrt. So glauben die ZuschauerInnen, sie bekämen die authentischen Gefühle des Sportlers präsentiert, weil der zu erregt und erschöpft ist, um sich eine Gesprächsstrategie zurechtzulegen.

Produkt Mediensport

Wie hat sich das Produkt Mediensport in den vergangenen Jahren formal und inhaltlich verändert? Unter anderem dieser Frage gehen die Autoren der Reihe «Sportkommunikation» nach, die der Kölner Herbert von Halem Verlag gestartet hat. «Die Ökonomie des Sports in den Medien», «Die Visualisierung des Sports in den Medien» und «Die Rezeption des Sports in den Medien» lauten die Titel der ersten drei Bände, die zeitgleich erschienen sind.

Wer die Sport- oder Medienberichterstattung in der Qualitätspresse regelmässig verfolgt, dem kommen diese Themenstellungen teilweise bekannt vor. Wiebke Loosen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Hamburg, relativiert indes: «Auch wenn die Themen 'Sportberichterstattung- und journalismus' immer wieder Konjunktur haben, sind sie in der Kommunikationswissenschaft vergleichsweise selten Gegenstand der Forschung und profitieren deshalb auch meist erst mit erheblichen Verzögerungen von theoretischen und empirischen Fortschritten.»

Gewiss, die Lesenden müssen in Kauf nehmen, dass, typisch für Geisteswissenschaftler, einige der Autoren dazu neigen, Selbstverständlichkeiten ungelenk aufzublasen. («Für die Maximierung des affektiven Erlebens bei der Fussballrezeption sind ... möglichst starke Zu- beziehungsweise Abneigungen gegenüber den Mannschaften und der spannende, dramatische Ablauf eines als bedeutsam empfundenen Spielverlaufs relevant.») Erfreulich immerhin, dass sich nur einer der rund dreissig Beiträge terminologisch einer breiteren Zielgruppe verschliesst: René Webers und Volker Gehraus «empirische Analyse der Rezeption von Fussballspielen im Fernsehen», in der sie sich mit geschlechtsspezifischen Reaktionen auf Spannungsphasen in TV-Übertragungen beschäftigen und dabei - für eine kleine Gemeinde von WissenschaftlerInnen mag es ein grosser Schritt sein - Chi-Quadrate und Pearson-Korrelationen berechnet haben.

Wer ein paar verworrene Formulierungen verschmerzen kann, wird aber belohnt. Dabei besteht der Nutzen der Lektüre weniger in Antworten und Lösungen. Vielmehr werfen die Forscher unterschiedlicher Disziplinen (Politologen, Kunsthistoriker, Sportwissenschaftler et cetera) neue Fragen auf oder rücken alte, zumindest in Publikumszeitungen oder -zeitschriften längst aufgeworfene Themen anders gewichtet wieder ins Blickfeld. Holger Schramm, Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Uni Zürich, reisst im Nachwort des Readers zur Rezeption an, was, aufbauend auf dem vorliegenden Material, zukünftig erforscht werden sollte. Zum Beispiel: «Was macht das Erleben unterschiedlicher Mediensportarten aus?», das heisst, wie unterscheidet sich die emotionale Rezeption von Fussball-, Baseball- oder Skisprungübertragungen? Und Thorsten Schauerte, ein weiterer Herausgeber, gibt in seinem Beitrag «Die Sport-Medien-Wirtschafts-Allianz» zu, dass manche Fragen unbeantwortet bleiben müssen: Die «Inszenierung, mediale Verbreitung und wirtschaftliche Verwertung» des Sports «haben sich zu einer Spirale entwickelt, deren Ausgangspunkt nicht zu identifizieren ist».

Auf Telegenität getrimmt

Eine Folge der «Entwicklung des Verhältnisses zwischen Sport und Medien» benennt Schauerte mit einem Zitat seines Herausgeberkompagnons Jürgen Schwier: Die Erscheinungsformen des Sports, schreibt dieser, dienten «quasi als ein 'Seismograf' für kommende Veränderungen der gesellschaftlichen Lebensorganisation und für allgemein wirksame Entwicklungstrends». Ein Phänomen wie die Globalisierung beispielsweise war im Sport längst zu beobachten, bevor sich der Begriff im Bereich der Politik und Wirtschaft durchsetzte - die mediale Expansion der US-Basketball-Liga NBA, die 1992 mit der Teilnahme des so genannten Dream Teams an den Olympischen Spielen begann, hatte diesbezüglich eine Schlüsselfunktion. Parallel dazu hat - sehr wichtig in diesem Zusammenhang, auch wenn es nicht Gegenstand der Medienwissenschaft sein kann - der Sport vor Ort an gesellschaftlicher Bedeutung eingebüsst. Während die Nachkriegsgeneration noch die Devise «support your local team» (Unterstütze dein Heimteam) wie selbstverständlich verinnerlicht hatte und etwa Fussball in seiner puren Form in der Alltagskultur verankert war, ist dieser Sport nunmehr «eine Art Rohstoff, der seine gesellschaftliche Bedeutung erst durch die Weiterverarbeitung durch das Fernsehen gewinnt», wie Dietrich Leder sagt.

Auch wenn die soziale Bedeutung des Sports in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat: Sie ist immer noch weitaus grösser, als es uns das Fernsehen vermittelt, liefert dieses doch lediglich einen Ausschnitt des Sports in der Gesellschaft. Nur vermeintlich telegene Sportarten und solche, die auf Intervention des Fernsehens auf stärkere Telegenität getrimmt werden - etwa durch strengere Sanktionen für Fehlstarts beim Schwimmen und in der Leichtathletik oder kürzere Sätze und grössere Bälle beim Tischtennis -, kommen in nennenswertem Umfang auf den Bildschirm. Manches verschwindet nicht nur aus der TV-Realität. Bei den Meetings, die der Weltleichtathletikverband unter dem Label «Golden League» zusammengefasst hat, um seine Sportart auf ähnliche Weise zu serialisieren, wie es die Formel 1 oder der Europäische Fussballverband mit der Champions League erfolgreich vorgemacht haben, entfalle «die Austragung einzelner leichtathletischer Disziplinen (zum Beispiel Hammerwerfen), die für den mediengerechten Ablauf des Ereignisses unzweckmässig sind», bemerken Schauerte/Schwier.

Das Autorenduo macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass der Ursprung vieler solcher heute diskutierter Entwicklungen weiter zurückliegt als gedacht. Sie erinnern an den australischen TV-Unternehmer Gerry Packer, der 1976 eine eigene Cricket-Turnierserie gründete, nachdem er beim einheimischen Verband mit einer Offerte für die Übertragung der etablierten nationalen Spielreihe abgeblitzt war. Packer schwächte den Konkurrenzwettbewerb, indem er massenweise Starspieler für seine Events abwarb, und veränderte den Übertragungsstil mithilfe von Luftaufnahmen und Splitscreens derart, dass der Zuschauer völlig neue Perspektiven auf das Spiel gewann.

Chinesen schauen US-Basketball

Ein weiteres weniger bekanntes Recherchedetail hat Thomas Schierl, Leiter des Kölner Instituts für Sportpublizistik, parat: Er weist darauf hin, dass das TV-Publikum der NBA in China bereits grösser ist als in den USA - dank dem chinesischen Nationalhelden Yao Ming, der für die Houston Rockets aktiv ist. In den USA schauen 1,1 Millionen zu, in China, inklusive Wiederholungen, fünfzehn Millionen. Das ist nicht allein durch Bevölkerungszahlen zu erklären. Der TV-Autor Taizan Ozawa hat in dem Film «Yao Ming - ein Basketballspieler ist zu verkaufen» (Arte) unlängst darauf hingewiesen, dass vierzehn chinesische TV-Stationen Rechte an der NBA erworben haben, weshalb das Riesenreich, was Yao-Ming-Action betrifft, nahezu komplett abgedeckt ist.

Thorsten Schauerte und Jürgen Schwier: Die Ökonomie des Sports in den Medien. Reihe «Sportkommunikation», Herbert von Halem Verlag, Köln 2004. 267 Seiten. Fr. 46.30

Thomas Schierl: Die Visualisierung des Sports in den Medien. Reihe «Sportkommunikation», Herbert von Halem Verlag, Köln 2004. 245 Seiten. Fr. 42.10

Holger Schramm: Die Rezeption des Sports in den Medien. Reihe «Sportkommunikation», Herbert von Halem Verlag, Köln 2004. 219 Seiten. Fr. 42.10