Israel: «Der Angst widerstehen»

Nr. 14 –

Dem israelischen Nukleartechniker Mordechai Vanunu sind Kontakte mit AusländerInnen verboten; er wurde deswegen sogar angeklagt. Vanunu sprach trotzdem mit der WOZ.

WOZ: Halten Sie sich in Israel auf?
Mordechai Vanunu: Ich bin derzeit in Ost-Jerusalem, innerhalb der israelisch besetzten Gebiete.

Es ist Ihnen also nach wie vor nicht erlaubt, das Land zu verlassen?
Das ist richtig. Erst am 21. April läuft die einjährige Frist ab, nach der ich Israel theoretisch verlassen könnte. Die israelischen Behörden können mir dann aber auch ein weiteres Jahr die Reise- und Meinungsfreiheit aberkennen.

Auch der Kontakt zu Ausländern und ­Ausländerinnen ist Ihnen ver­boten. Haben Sie keine Bedenken, dieses Interview zu geben?
Ich kenne diese Auflagen sehr gut, spätes­tens nach meiner erneuten Festnahme am 11. November vergangenen Jahres. Damals wurde mir mit einer neuen Haftstrafe gedroht, wenn ich weiterhin mit Vertretern ausländischer Organisationen oder Journalisten Kontakt halte.

Das scheint Sie nicht zu stören.
Natürlich leiste ich dieser Aufforderung keine Folge, weil ich sie für eine autori­täre Massnahme halte. Ich bin ein menschliches Wesen und geniesse entsprechende Rechte. Dazu gehört auch das Recht auf freie Meinungsäusserung. Wenn der israelische Staat ein demokratisches Selbstverständnis hat, dann sollte er mir dieses Recht zugestehen, zumal ich die Haftstrafe verbüsst habe. Ich widersetze mich den Auflagen, weil ein Mensch ohne seine bürgerlichen Rechte kein Mensch mehr ist. Ausserdem gebe ich keine militärischen oder sonstigen geheimen Informationen über das Nuklearprogramm Israels weiter. Ich nehme mein Recht auf Meinungsfreiheit wahr, wenn ich in Interviews meinen Fall schildere oder meinen politischen Standpunkt wiedergebe. Das Kontaktverbot, das mir auferlegt wurde, ist also undemokratisch, und deswegen lehne ich es offen ab.

Kurz vor Ihrer Freilassung im vergangenen Jahr veröffentlichte die israelische Tageszeitung «Maariv» auf ihrer Internetseite eine Umfrage zu Ihrem Fall, die zu einem Skandal führte. Die Leser und Leserinnen konnten abstimmen, ob Sie entlassen, inhaftiert oder getötet werden sollten. Das führt zu der Frage: Fühlen Sie sich sicher in Israel?
Keineswegs. Allein die Auswahl der Fragen hat ja schon damals eine gewisse Stimmung innerhalb des Landes wiedergegeben. Die feindliche Einstellung meiner Person gegenüber ist in der Bevölkerung sehr stark. Wenn nun die Medien und die Staatsorgane mit schlechtem Beispiel vorangehen, derartige Umfragen veröffentlichen und mich nur aufgrund von Interviews inhaftieren, wie sollen dann die einfachen Leute reagieren? Es gibt eine Menge radikaler Aktivisten, die nicht bloss für meine Ermordung im Internet abstimmen könnten. Sie könnten auch einen Schritt weitergehen. Weil ich dazu verurteilt bin, in dieser Stimmung zu leben, weil ich das Land nicht verlassen darf, fühle ich mich bedroht. Aber ich versuche der Angst zu widerstehen und wie ein freier Mann zu leben.

In den Parlamenten von Neuseeland und Norwegen wird derzeit dis­kutiert, Ihnen Asyl anzubieten. Würden Sie das annehmen?
Ich würde Israel umgehend verlassen, sofern ich die Möglichkeit dazu hätte. Jedes Land, das mir Asyl anbietet, wäre eine willkommene Heimat für mich.

Wenn sich der israelisch-palästinensische Konflikt etwas entspannt, wirkt sich das auf Ihre Lage aus?
Generell hat der israelische Staat im Konflikt mit den Palästinensern in der Vergangenheit militärische und repressive Mittel genutzt, weil er die Möglichkeit dazu hatte. Eine direkte Folge davon war, dass man auf beiden Seiten in gewisser Weise verlernt hat, politische
Lösungen zu suchen. Aber Sie haben Recht, eine Entspannung der politischen Lage zwischen der israelischen Regierung und den palästinensischen Behörden würde sich auch auf meine Lage auswirken. Wenn die verheerende Entwick­lung der Vergangenheit umgekehrt würde, könnte sich der Respekt vor Menschenrechten und Demokratie auch im Inneren durchsetzen.

Vorerst aber stehen Sie unter einer erneuten Anklage wegen der Verstösse gegen die Auflagen.
Ich denke, dass jeder Richter, der rechtsstaatliche Prinzipien vertritt, bei der Überprüfung der Vorwürfe ernsthafte Probleme hätte, mich zu verurteilen. Ich habe selber alle Interviews vorliegen, die ich seit meiner Freilassung gegeben habe. Darin geht es in keinem einzigen Fall um militärische Aspekte, sondern um meine Meinungen und politischen Stellungnahmen. Spätestens am 21. April werden wir aber mehr wissen. Auch unabhängig von den neuen Anklagen muss dann über meinen Fall geurteilt werden.

Ihre Informationen sind inzwischen zwei Jahrzehnte alt. Könnten einem Verfahren denn überhaupt noch sicherheitspolitische Erwägungen zugrunde liegen?
Natürlich nicht. Meine Kenntnisse über das israelische Atomprogramm in der Anlage von Dimona reichen gerade einmal bis 1985. Was danach geschehen ist, weiss ich nicht. Es läge an der Regierung, diese Informationen der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.

Welche Auswirkungen hat das israelische Atomprogramm auf die politische Situation im Nahen Osten?
Auch hier muss ich sagen, dass meine Informationen auf dem Stand von 1985 sind und die politische Lage damals eine andere war – nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit. Eine Erkenntnis aber ist nach wie vor gültig. Israel ist ein vergleichsweise kleines Land, das über ein Atomwaffenarsenal verfügt. Darauf habe ich die Öffentlichkeit damals aufmerksam machen wollen, damit Druck auf die Regierung ausgeübt wird, den Nichtverbreitungsvertrag nicht zu unterlaufen. Ich halte es auch heute noch für sehr gefährlich, dass einem Land Sonderrechte eingeräumt werden. Wenn wir uns einmal die Lage von Deutschland oder Japan ansehen, denen es während des Kalten Krieges nicht erlaubt war, ein Atomwaffenarsenal aufzubauen, dann wird das Dilemma deutlich. Weshalb wird es einem Staat erlaubt, dem anderen aber nicht? Wie auch in anderen Bereichen internationaler Beziehungen laufen solche Sonderstellungen einem guten Verhältnis zwischen den Staaten zuwider. Ich denke, dass das israelische Nu­klear­programm das Miss­trauen gegen­über der hiesigen Regierung in den umliegenden Staaten massiv geschürt hat. Erst wenn Israel in diesem Sinne mit offenen Karten spielt, wird ein dauerhafter Frieden möglich sein.

Doch der internationale Trend weist in eine andere Richtung: Indien und Pakistan haben sich atomar bewaffnet, während in den USA an der Entwicklung so genannter Mini­atombomben gearbeitet wird. Warum sollte die israelische Regierung nun abrüs­ten?
Die nukleare Abrüstung wird nicht von alleine geschehen. Sie muss erkämpft werden. Und wenn ich an die Situation 1985 denke und sie mit der heutigen Lage vergleiche, dann glaube ich, dass dafür weit mehr Möglichkeiten bestehen. Die Welt ist heute enger zusammengerückt. Über Medien wie das Internet können Informationen viel schneller und unmittelbarer ausgetauscht werden. Das versetzt uns, die Menschen, in die Lage, effektiv eine Welt zu fordern, die endlich von Atomwaffen frei ist. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte diese Hoffnung schon einmal bestanden. Sie ist aber nur allzu schnell zunichte gemacht worden. Heute nehmen die Konflikte und die militärische Aufrüstung wieder zu – und atomare Waffen sind davon nicht ausgenommen. Die Menschen sollten sich daher gemeinsam dafür einsetzen, dass das 21. Jahrhundert endlich atomwaffenfrei wird. Diesem Ziel ist auch mein Engagement in Israel untergeordnet.

Kritik der USA

Tut sich etwas in Richtung atomwaffenfreier Naher Osten? Jedenfalls kritisiert neuerdings das US-Aussenministerium das israelische Atomwaffenprogramm, wenn auch nur auf niedriger Ebene. Dies meldet die israelische Tageszeitung «Haaretz». Im Hinblick auf die Erneuerung des Atomwaffensperrvertrags habe eine US-Vertreterin Israel, Indien und Pakistan aufgefordert, dem Sperrvertrag beizutreten – nachdem sie auf Atomwaffen verzichtet haben würden. So, wie es Südafrika und die Ukraine in den frühen neunziger Jahren getan hätten.

Mordechai Vanunu

Als Mordechai Vanunu nach achtzehn Jahren Gefängnis – davon gut elf Jahre in Isolationshaft – im letzten April freigelassen wurde, war er immer noch nicht frei. Die israelischen Behörden verboten ihm jeglichen Kontakt mit AusländerInnen. Auch Internet-Chaträume darf er nicht besuchen. Wenn er seinen Wohnort verlässt, muss er die Polizei informieren. Er darf keinem Ort näher als 500 Meter kommen, «von wo aus es möglich ist, Israel zu verlassen» – dazu zählt auch die israelisch besetzte Westbank. Vanunu wurde daran gehindert, einen Weihnachtsgottesdienst in Betlehem zu besuchen.

«Spionage» und «Weitergabe von Staatsgeheimnissen»: Deswegen wurde Vanunu seinerzeit verurteilt. Tatsächlich hatte Vanunu das bestgehütete israelische Geheimnis gelüftet, das allerdings gar keines mehr war: das israelische Atomwaffenprogramm. Die Enthüllung war glaubwürdig – und durchaus im israelischen Interesse der Abschreckung.

Mordechai Vanunu, Sohn strenggläubiger EinwanderInnen aus Marokko, hatte auf ein Stelleninserat hin 1977 mit der Arbeit als Atomtechniker im gut gesicherten nuklearen Forschungszentrum Dimona in der Negev-Wüste begonnen. Wie für so viele seiner AltersgenossInnen bedeutete für den gläubigen und patriotischen Vanunu der israelische Libanon-Feldzug von 1982 einen Wendepunkt. Er entwickelte sich zum aktiven Kriegsgegner. Als Vanunu im Dezember 1985 mit 150 weiteren Kollegen entlassen wurde, hatte er bereits eine unterirdisch getarnte Produktionsstätte zum Bau von Atomsprengköpfen entdeckt und die Einrichtungen heimlich gefilmt. Nach seiner Entlassung ging er erst einmal in die Welt hinaus und trat in Australien zum Christentum über. Und beschloss bald einmal, dass es seine moralische Aufgabe sei, sein Wissen über Israels Atombombe öffentlich zu machen. Die Londoner «Sunday Times» veröffentlichte schliesslich seine Erkenntnisse – nach penibler Überprüfung.

Zwei Tage nach Veröffentlichung des Artikels wurde Vanunu mittels einer «Zufallsbekanntschaft» nach Rom gelockt, dort in einer Wohnung von Geheimdienstleuten überwältigt und per Schiff nach Israel geschafft. Dort wurde ihm alsbald unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gemacht.

Nun wird, spätestens am 21. April, wieder über Vanunu verhandelt. Denn er hat sich seit seiner Freilassung nicht an die Auflagen gehalten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zahlreiche Interviews gegeben zu haben und dabei «heikle und vertrauliche Informationen» weitergegeben zu haben. Ausserdem habe er beschrieben, wie er in Dimona Informationen gesammelt hatte und wie er in gesperrte Zonen gelangt war und dort fotografiert hatte.

Armin Köhli