Moçambique im Fokus: Der Ochse explodiert

Nr. 24 –

Kaum jemand kennt das seit dreissig Jahren unabhängige Land im Südosten Afrikas - das soll sich ändern.

Im Schatten Südafrikas liegt ein Land, zwanzigmal so gross wie die Schweiz und mit knapp zwanzig Millionen EinwohnerInnen. Für viele EuropäerInnen Terra incognita, ist das ehemals von Portugal kolonialisierte Moçambique seit dreissig Jahren unabhängig. Gebeutelt vom sechzehn Jahre dauernden Bürgerkrieg, galt Moçambique 1992 als ärmstes Land der Welt. Seitdem aber befindet es sich - zumindest in der relativ reichen Hauptstadt Maputo - im stetigen Wirtschaftsaufschwung. Aber noch über die Hälfte der EinwohnerInnen leben in absoluter Armut (vgl. Seite 1 der Printausgabe).

Ein Land der Widersprüche und der Vielfalt. Es gibt zahlreiche indigene Minderheiten, aber es mischen sich vor allem Menschen portugiesischer, asiatischer und arabischer Herkunft. Dass das ein reiches Kulturschaffen hervorbringt, ist jetzt in Zürich in der Veranstaltungsreihe «Moçambique - 30 Jahre Unabhängigkeit» zu entdecken.

Schiller räubert in Afrika

Für den Kurator Bruno Z’Graggen sind das Land und seine Kultur zur Leidenschaft geworden. Besonders fasziniert hat ihn die Fotografie, die schon unter portugiesischer Besatzung eine starke eigene Ausdrucksform von internationaler Anerkennung entwickelt hat: «In Moçambique besteht eine für Schwarzafrika einzigartige Fotografieszene. Dreh- und Angelpunkt ist das vom international berühmten Fotografen Ricardo Rangel gegründete Ausbildungszentrum CFF (Centro de Formação Fotográfica). Dort ist eine ganze Generation von Fotojournalisten herangewachsen. «Nachdem ich immer mehr von deren Werken kennen gelernt hatte, wurde mir klar, dass man die in der Schweiz zeigen muss.» So kam die Ausstellung «Iluminando Vidas» zustande, die nach der Schweiz auch in Mali, in Südafrika und in Portugal Station machte. Einer der Fotografen ist Sérgio Santimano, der nun mit einer Einzelausstellung im Theater Rigiblick zu sehen sein wird. Er hat sich spezialisiert auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg und konzentriert seine Bilder auf einzelne Personen oder Personengruppen aus ganz verschiedenen Ethnien - Santimano selbst hat indische Vorfahren. So entsteht ein Panoptikum des heutigen multikulturellen Moçambique.

Ein Panoptikum auf literarischer Ebene entwirft der renommierte moçambiquanische Autor Mia Couto. Obwohl er selbst der Sohn portugiesischer Einwanderer ist und somit einer weissen Minderheit angehört, erzählt er aus der «schwarzafrikanischen» Perspektive. Wer seine Prosa noch nicht kennt, dem bietet sich jetzt die Chance: in einer Diskussion im Romanischen Seminar über die Geschichtlichkeit seines Schreibens und in einer Lesung des Autors im Literaturhaus. Die deutsche Übersetzung liest Daniel Rohr, Schauspieler und Leiter des Theaters Rigiblick - in welchem zum Abschluss der Veranstaltungsreihe die Aufführung des Teatro Avenida aus Maputo stattfindet. Gespielt werden Friedrich Schillers «Räuber» in einer Bearbeitung von Mia Couto.

Daniel Rohr schätzt bei ihm den magischen Realismus: «Mia Couto ist sehr nah an dem, was die Leute beschäftigt. Wenn er magische oder mystische Szenen beschreibt, dann gehört das zum Alltag dieses Landes. Gleichzeitig ist er ein gesellschaftspolitischer Autor, nicht nur in seiner journalistischen Arbeit.» Da gibt es etwa die Geschichte von einem jungen Hirten, der völlig verstört sieht, wie einer seiner Ochsen plötzlich explodiert. Für ihn ein aus übler Laune ausgedachter Streich des Blitzwesens Ndlati. Dass das Tier auf eine Landmine getreten ist - von denen noch immer über zwei Millionen in ganz Moçambique verstreut sind -, kommt ihm nicht in den Sinn. Stattdessen wird er durch seine Unbefangenheit selbst zum Opfer.

Wer seinen schlichten, aber präzisen Stil liest, versteht, dass Mia Couto gerade auf Schillers Stück zurückgreift, um es auf afrikanische Verhältnisse zu übertragen. Bei Couto gibt es keine Räuberbande, dafür eine Theatertruppe: Carlos - der an einem Austauschprogramm teilnimmt, das in den Jahren 1979 bis 1989 junge MoçambiquanerInnen in die DDR zum Arbeiten und Studieren schickte - lernt Friedrich Schillers «Räuber» kennen. Er ist so begeistert, dass er es nach der Heimkehr in die Enge seines afrikanischen Dorfes unter den Leuten verbreiten will. Also sammelt er eine Theatertruppe und zieht mit ihr erfolgreich durchs Land. «Um ein Stück Freiheit zu erleben und weiter zu geben», wie Daniel Rohr es beschreibt. Gleichzeitig diskutiert Couto mit seinem Stück die Sprengkraft von Theater. Was kann es leisten, wo ist es machtlos?» Zuhause erschleicht sich derweil Carlos Bruder Francisco dessen Job, dessen Freundin, dessen Ansehen. Und die Mutter ist tief enttäuscht von ihrem theaterbesessenen Sohn, denn sie versteht nicht, dass er das Stück nur spielt. Sie hält seine Räuberbande für Realität.

Brot für das Theater

Zentral in Schillers Original und in der Version aus Moçambique ist die Umdrehung der offiziellen Moral. Der vermeintlich Böse ist der eigentlich Gute und umgekehrt. Doch Couto bricht das Stück von Schiller weiter auf. Die SchauspielerInnen verlassen plötzlich ihre Rollen, um aktuelle Diskussionen zu führen, unter anderem mit dem Autor selbst. Schliesslich tritt sogar Schiller selbst auf, und die resolute Mutter will kurzerhand seine Stücke konfiszieren - so lange, bis die Menschen das Räubern aufgeben. Das Ende ist kreativ, aber direkt; Mia Couto schreibt für Menschen, die klare Worte und Gesten verstehen.

Auch die künstlerische Ausdrucksweise des Teatro Avenida ist deutlich und kraftvoll. Ohne Scheu vor Expressivität. Gegründet wurde es 1986 von der heutigen Intendantin Manuela Soeiro - mit tat- und finanzkräftiger Unterstützung des schwedischen Krimiautors Henning Mankell, der seit langem seinen zweiten Wohnsitz in Moçambique hat. Mittlerweile kann es sich durch den Gewinn der hauseigenen Bäckerei weitgehend selbst tragen. Auch Gastspiele sind natürlich gut fürs Budget - auf beiden Seiten. Diese Produktion ist durch die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Regisseur Stephan Bruckmeier dazu prädestiniert, europäische Bühnen zu erobern. Für SpielerInnen und ZuschauerInnen eine Erweiterung des theatralen Horizonts. Wie Mia Couto einmal sagte: «Durch die Nachrichten weiss man vom Krieg, vom Hunger, vom Elend. Was zu erzählen bleibt, ist fast immer der andere Teil des Lebens, ein ganzes Volk, das schafft, das träumt und Schönheit produziert.»

«Moçambique - 30 Jahre Unabhängigkeit» in: Zürich Kolloquium mit Mia Couto, Uni, Romanisches Seminar, Sa, 18. Juni, 15 h. Lesung von Mia Couto, Literaturhaus, Mo, 20. Juni, 20 h. Teatro Avenida, Rigiblick, Di/Mi, 21./22. Juni, 20 h. Ausstellung von Sérgio Santimano, Theater Rigiblick, Di, 21. Juni, 18 h, Vernissage. Ausstellung bis 17. Juli.

Infos

www.theater-rigiblick.ch, www.literaturhaus.ch