Rufus Wainwright: Was von Herzen kommt

Nr. 24 –

Gibt es so etwas wie schwule Musik, eine schwule Kultur? Und welche Probleme haben Homosexuelle in den USA? Ein paar Antworten des kanadischen Sängers, der Anfang Mai in der Schweiz gastierte.

In den USA gibt es - im Unterschied zu Grossbritannien - keinen Popstar, der offen schwul ist. Einer der ganz wenigen, die schon mal durchblicken lassen, dass ihnen «homosexuelle Handlungen» nicht ganz fremd sind, ist Michael Stipe. Der Sänger von R.E.M. benutzt für sich den Begriff «queer», um die sexuelle Festlegung zu unterlaufen. Bedenken dieser Art sind Rufus Wainwright fremd. Der Sohn des Folkpaares Kate McGarrigle und Loudon Wainwright III. gibt sich gern als schwule Opera Queen und wird vor allem in Grossbritannien als einer der begabtesten Songwriter der Gegenwart gefeiert.

WOZ: Welche Rolle hat die Kunst in Ihrem Leben gespielt? Hat sie dazu beigetragen, dass Sie in der Pubertät sagen konnten: «Ich bin schwul»?

Rufus Wainwright: Ja, ich habe mich immer stark auf die grossen Figuren homosexueller Kunst bezogen, sei das Jean Cocteau, Oscar Wilde oder Gertrude Stein. Mit dieser Tradition habe ich mich identifiziert. Dazu hatte ich eine besondere Erziehung. Als ich vierzehn und es klar war, dass ich schwul bin, da wusste mein Vater nicht, wie er damit umgehen sollte. Also brachte er mich mit Penny Arcade zusammen. Sie war damals ein berühmtes Andy-Warhol-Chick und hing mit dem Schriftsteller und Selbstdarsteller Quentin Crisp herum. So kam ich schnell in die Downtownszene rein, traf dann Taylor Meade, einen Popkünstler aus dem Umfeld von Warhols Factory, und andere aus der Golden Era des Gay New York. Und ich las Bücher über Ludwig von Bayern.

Und welche Rolle spielte die Musik?

Klar habe ich immer Cole Porter geliebt, Rodgers & Hart, Tschaikowsky! Ich liebe die Oper. Auch wenn es komischerweise keine schwule Oper gibt, so gibt es doch einen schwulen Subtext in der Tradition der Oper. Das wird in der heutigen Gay-Welt eher mit Verachtung betrachtet. Wenn du eine Opera Queen bist, dann giltst du als altmodisch oder verrückt, aber ich habe diese Tradition immer begrüsst. Zumal sich die Oper viel mit Tod beschäftigt, mit Entfremdung und vergeblicher Liebe auf eine Art, mit der ich mich gut identifizieren kann.

Ihre Eltern waren erfolgreiche Folksänger, geprägt von den Umbrüchen der sechziger Jahre. War Ihre Hinwendung zur Oper eine Rebellion gegen die Hippieeltern? So wie es bei anderen Punks war?

Meine Eltern waren schockiert, als ich mit vierzehn Verdis «Requiem» im Dunkeln hörte oder Puccini-Arien unter der Dusche sang. Folk war vor allem Aufrichtigkeit, die Werte der Arbeiterklasse, Einfachheit. In der Oper dreht sich alles um Fantasie, Aristokratie und Eskapismus. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Beide Genres haben einen grossen Sinn fürs Dramatische. Ich habe auch viel gelernt von meinen Eltern und meiner Schwester, vor allem das Von-Herzen-Sprechen. Wie Beethoven sagt: Was von Herzen kommt, das geht ans Herz. Das war immer unser Familiencredo.

Gibt es so etwas wie schwule Musik?

Viele Leute sagen, die Tatsache, dass du schwul bist, hat nichts mit deiner Musik zu tun. Ich tendiere zum Gegenteil: Ich fühle mich einer bestimmten schwulen Tradition sehr verbunden, und sie hat mich stark beeinflusst. Im Songschreiben, in der Kunst insgesamt. Die Tatsache, dass ich schwul bin, hat meinen Stil definiert und gab mir eine solide kulturelle Erziehung. Ich habe mir die Geschichte der Homosexualität in der Kunst angeschaut, um mich selbst zu verstehen. Dieser Welt schulde ich sehr viel. Aber ich glaube nicht, dass nur schwule Leute das verstehen können, oder dass heterosexuelle Leute keine Beziehung dazu haben. Zumal die gegenwärtige schwule Kultur ziemlich öde ist.

Inwiefern?

Die Musik ist vorhersehbar, die Mode und die Attitüden sind gewöhnlich (lacht). Ich liebe diese schwule Kultiviertheit alter Schule: Weil wir unterdrückt sind, müssen wir smarter sein als alle anderen. Das war ein Segen für meine Erziehung, dass ich ein bisschen härter arbeiten musste, mehr Bücher lesen musste. Dagegen sehe ich jetzt eine Art schwarzes Gay-Loch, in das sich junge Leute reinfallen lassen: in die Clubs gehen, Madonna hören, ins Gym gehen.

Gibt es eine Corporate Gay Culture, eine kommerzielle Schwulenkultur?

Es laufen einige Dinge schief: Das eine ist der Konsumismus, eine Hautcreme hier, ein Hautbalsam dort, Regenbogenhalsketten und Regenbogenfähnchen, das sind die hässlichsten Flaggen der Welt. Kein aufrichtiger Mensch, keine stilbewusste schwule Person würde all diese Farben zusammenschmeissen auf einer Flagge, das sieht scheusslich aus. Zweitens: Das Ganze ist viel zu hedonistisch im Sinne von verantwortungslosem Drogengebrauch. Ich habe selbst viele Drogen genommen, und ich würde nicht sagen, dass die Leute keine Drogen nehmen sollten, das ist nicht meine Mission. Aber heute wird es von Schwulen einfach erwartet, Drogen zu nehmen. Manche Leute sollten einfach keine Drogen nehmen. Drittens gibt es eine grosse Verleugnung. Viele nehmen an, wer jung und gesund aussieht, ist auch gesund, und Aids spielt keine Rolle mehr. Der Aidsaktivismus hat nachgelassen, in New York gibt es wieder eine Aidskrise.

Wie beurteilen Sie die Situation der Schwulen in den USA nach der Wiederwahl von George Bush?

Ich kann das schlecht beantworten, ich war lange weg. Ausserdem lebe ich in New York, und diese Stadt unterscheidet sich sehr vom Rest des Landes. Was ich von der Politik mitbekomme, das ist ziemlich beängstigend. Wenn du siehst, wer Bush gewählt hat und was diese Leute über Schwule denken - sie haben mehr Angst vor uns als vor Terroristen. Andererseits gab es in den letzten Jahren keine gewaltsamen Ausbrüche gegenüber Schwulen. An diesem Punkt der amerikanischen Geschichte ist es in Europa viel leichter, zu tun und zu sagen, was man will, im Guten und im Schlechten. In den USA ist eine sehr konservative Haltung weit verbreitet, die Mehrheit denkt konservativ. Ich wollte meine Ansichten immer äussern und über alles reden, was mir wichtig ist, und das ist in Europa viel leichter.

Zurzeit spricht man von einem grossen Exodus kritischer US-Amerikaner und -Amerikanerinnen nach Kanada. Sie sind in Montreal aufgewachsen - was macht das Land so attraktiv?

Kanada ist im Moment eine der grossartigsten Gesellschaften dieser Welt. Ich bewundere sehr, wie sie hier ihre Individualität bewahrt haben in unmittelbarer Nachbarschaft zu den USA. Sie stehen auf ihren eigenen zwei Beinen und gewähren ihren Leuten einen hohen Lebensstandard. Ich lege eigentlich keinen gesteigerten Wert darauf, dass ich dort gross geworden bin, aber das Land gefällt mir immer besser. Dabei liebe ich die USA immer noch, ich liebe Amerika, ich liebe New York, ich liebe Amerikaner. Der einzige Grund, weshalb ich so kritisch bin, ist die Gefährdung der Meinungsfreiheit: einer der grossen Werte Amerikas, um die man kämpfen muss, um sie zu retten.

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