«BUTT»: Schon gar nicht queer
Nun sind sie in Buchform erschienen: ausgewählte Beiträge eines Magazins mit dem Anspruch, Sex in die Homosexualität zurückzubringen.
Die «New York Times» wollte einen Text über dieses Amsterdamer Magazin bringen, aber sie konnte nicht so recht. Also schrieb sie «über das Magazin, dessen Namen wir nicht drucken können». Der undruckbare Name ist «Butt» (also: Arsch). Der Untertitel verspricht «Abenteuer in der schwulen Subkultur des 21. Jahrhunderts».
Grenze zur Pornografie
Auf knapp 600 schweinchenrosa Seiten ist «das Beste» aus fünf Jahren des Magazins versammelt. Man könnte auch sagen: das Populärste. Und Ärsche, von oben und unten, von nah und fern, allein, zu zweit, behaart oder glatt, penetriert oder blank, fotografiert von Könnern. Wolfgang Tillmans, der Cheffotograf von «Butt», gehört zu den Herausgebern und steuert neben Bademantelfotos von R.E.M.-Sänger Michael Stipe auch ein paar Ärsche bei. Jop van Bennekom und Gert Jonkers, Mittdreissiger aus Holland mit protestantisch-calvinistischem Hintergrund, wollten was tun gegen ihre lästigen Schamgefühle, ein «sexuell aufrichtiges» Magazin sollte her, unterhaltsam, urban, intelligent, nicht zu konsumistisch, nicht zu viel Hochglanz. «Butt» ist ein in Wort und Bild explizites Magazin von homosexuellen Männern für homosexuelle Männer und in zweiter Linie für Menschen, die sich für homosexuelle Männer interessieren. Homosexuell wohlgemerkt! Nicht gay, nicht schwul und schon gar nicht queer. «Butt» bringt den Sex zurück in die Homosexualität, auch den schmutzigen. Das ist für sich genommen schon ein politischer Akt in Zeiten, da das Wort «gay» ein Synonym für Zwangshedonismus ist. Da schmücken sich Hetero und Hetera gern mit schwulen Freunden, solange der Sex aussen vor bleibt. Auch im öffentlichen Leben ist Schwulsein nicht mehr zwingend mit Ächtung und Ausschluss verbunden. Berlin und Hamburg werden von schwulen Bürgermeistern regiert, mit Patrick Lindner ist einer der populärsten «Volksmusiker» schwul. Leuten wie Lindner wird Schwulsein verziehen, weil ihre HomoSEXualität unsichtbar ist. Dieser um sich greifenden repressiven Toleranz setzt «Butt» eine konfrontative Betonung des Sexuellen entgegen und streift dabei die Grenze zur Pornografie. Das Magazin gibt die Homosexualität den Männern zurück. Auf über tausend Fotos sieht man ganze drei Frauen: eine Mama und eine Schwester auf einem Familienfoto und Barbra Streisand in Öl, dahinter versteckt sich ein nackter Mann.
Rückhaltlose Eitelkeit
Die Betonung des Männlichen kann gelesen werden als Antwort auf den Queer-Boom der letzten Jahre, nicht nur in akademischen Zirkeln. Im Pop, im Kino und in der Kunst taucht das Q-Wort auf, sobald die Geschlechter nicht so eindeutig sind wie bei Paris Hilton und Bruce Willis. Der schwule Filmemacher Bruce La Bruce spricht in seinem Vorwort von der «traurigen Entstellung des Wortes ‹queer›», vermutlich gehen ihm die Trittbrettfahrer auf die Nerven, für die queer nicht mehr heisst als «ein bisschen schwul». So verständlich der Überdruss an Fashion- und Teilzeit-Queers, so geschlechterpolitisch fragwürdig ist die fast vollständige Verbannung von Queer-Diskursen aus dem «Butt»-Universum. Befreit von der lästigen Pflicht, einem heterosexuellen Interviewer und Publikum die eigene Homosexualität wohldosiert erklären, womöglich gar um Toleranz werben zu müssen, redet sichs unter Gleichgeschlechtlichen offener. Man suggeriert eine Unter-uns-Situation. Vermutlich erzählen die Interviewten so bereitwillig, weil ihnen «Butt» die Lizenz zur rückhaltlosen Eitelkeit gewährt. Mit dieser Technik gelangte Andy Warhols Magazin «Interview» schon vor dreissig Jahren zu ebenso erstaunlichen wie amüsanten Erkenntnissen. Wenn alle vom Arschficken reden, alle Arschficken sagen und nicht Analverkehr, dann ist das keine private Sexpraktik mehr, sondern wird als Kulturtechnik erkennbar.
Jop van Bennekom und Gert Jonkers (Hrsg.): Butt Book. Taschen Verlag. Köln 2006. 560 Seiten. 42 Franken (das Buch ist in englischer Sprache)