Staatsschutz nach den Attentaten in den USA: Wird Schnüffeln salonfähiger?

Nie war das Klima günstiger als jetzt, den von der Fichenaffäre zurückgebundenen Staatsschutz auszubauen. Die Ideologen gehen in Stellung.

Kaum haben sich die Staubwolken am Ort des Anschlages gelegt, tauchen auch schon die ersten Politiker auf, die eine Stärkung des Staatsschutzes verlangen. So etwa der Appenzeller SVP-Nationalrat Jakob Freund in der Sonntagspresse. FDP und CVP stossen nach und nicht einmal die SP kann sich der neuen Dynamik entziehen. Gemeinsam mit den anderen Bundesratsparteien hat sie am Montag in einem Communiqué erklärt: «Notwendig ist eine Lagebeurteilung hinsichtlich der Sicherheit in unserem Land. Überprüft werden muss die Ausgestaltung von Nachrichtendienst, Staatsschutz und internationaler Zusammenarbeit.»

Im Klartext bedeutet dies unter dem Eindruck der kollabierten WTC-Türme mehr Geld, mehr Personal und mehr Kompetenzen für den im Bundesamt für Polizei (BAP) angesiedelten Dienst Analyse und Prävention (DAP) unter der Leitung des ehemaligen Bundespolizeichefs Urs von Daeniken und für den militärischen Nachrichtendienst.

Terrainverlust durch die Fichenaffäre

Gleichzeitig hat nun Franz Wicki, CVP-Ständerat und Präsident der für die Überwachung des Staatsschutzes zuständigen Delegation der Geschäftsprüfungskommission, den Staatsschützern auf die Schultern geklopft: Sie hätten bereits im Mai und Juni verschiedene Hinweise bekommen, die vermutlich im Zuge des regelmässigen Austausches an die US-Behörden weitergegeben worden seien. Wicki erwähnte Attentatsrisiken für «bislang sicher geglaubte Destinationen» und von «Bin-Laden-Vertrauten» angekündigte Anschläge unter anderem auf amerikanische Einrichtungen.

So vage Informationen sind normalerweise kein starkes Argument für die Aufrüstung des Staatsschutzes. Doch in diesen Tagen allgemeiner Hektik und Hysterie sollen sie einen kleinen Beitrag an die Relegitimation leisten, mit der der Staatsschutz sein in der Fichenaffäre Anfang der neunziger Jahren verlorenes Terrain zurückerobern will. 900 000 angelegte Fichen waren damals aus den Aktenschränken an der Taubenstrasse an den Tag befördert worden und hatten schlagartig die lange von der bürgerlichen Mehrheit in Abrede gestellte Existenz eines eigentlichen Schnüffelapparates aufgedeckt. Die Bupo wurde an die Kandare genommen. Um ihr Bild in der Öffentlichkeit aufzubessern, präsentierte sie ab 1995 einen jährlichen «Staatsschutzbericht», der weitgehend eine Kompilation von öffentlich zugänglichen Medienberichten ist. Zu Usama Bin Laden etwa wird seit 1998 jeweils dieser Wissensstand rapportiert.

Bis zur Einführung des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) 1998 gab es ein vorbildliches Einsichtsrecht der Betroffenen. Dem «gläsernen Staatsschutz» schob das Gesetz dann aber einen Riegel. Wer Akteneinsicht verlangt, muss sich inzwischen mit einer nichtssagenden Standardantwort des Datenschutzbeauftragten begnügen. Doch das neue Gesetz hat in den Augen des Staatsschutzes immer noch zu viele Auflagen und Kontrollen.

Einen ersten Versuch, sich der engen Fesseln zu entledigen, gab es nach dem 1. August 2000. Damals hatten etwa hundert Skinheads auf dem Rütli die Ansprache von Bundesrat Kaspar Villiger gestört. Politiker forderten daraufhin mehr Kompetenzen im Kampf gegen den Rechtsextremismus. So die GPK-Mitglieder Franz Wicki (CVP) und Hugo Fasel (CSP). Aus dem Kanton St. Gallen meldete sich FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter mit einer düsteren Analyse des Potenzials der rechtsextremen Szene und forderte Korrekturen: «Die Linken haben mit dem Angriff auf den Staatsschutz überreagiert. Jetzt sieht man die Konsequenzen.» Und auch der «Blick» betätigte sich als Lautsprecher der Bupo: «Jetzt muss die Politik wieder Zustände herstellen, die es der Bundespolizei erlauben, diese gefährliche Szene auszuforschen und zu bekämpfen.»

In einem eilends vom Bundesrat angeforderten Bericht kam eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des BAP zum Schluss, dass der Staatsschutz zu stark geknebelt werde: «Das BWIS regelt die Tätigkeiten der Staatsschutzorgane einschränkend und abschliessend und nimmt eine Güterabwägung von öffentlichen und privaten Interessen oft zu Gunsten Letzterer wahr. Es stellt sich deshalb die Frage, ob das Gesetz zu revidieren und in einigen Bereichen das präventive Dispositiv zu verstärken sei.» In diesem Zusammenhang forderte die Arbeitsgruppe, dass die Telefonüberwachung ins Repertoire der präventivpolizeilichen Massnahmen aufzunehmen sei. Der Bericht machte aber dem Bundesrat offensichtlich nicht genügend Eindruck. Er verzichtete auf Sofortmassnahmen. Dies vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil die Bupo kurz zuvor zur Einschätzung gelangt war, dass die Skinheads keine grosse Gefahr für die innere Sicherheit seien.

Renaissance des Staatsschutzes?

Doch die Begehren des Staatsschutzes blieben auf der Tagesordnung. Dies wegen der Antiglobalisierungsbewegung, die in der Schweiz vor allem die Veranstaltungen des World Economic Forums (Wef) in Davos im Auge hatte. Sowohl in einem Bericht des BAP über das Gewaltpotenzial der Antiglobalisierungsbewegung vom August 2001 als auch im so genannten Arbenz-Bericht zuhanden der Regierung des Kantons Graubünden werden verstärkte Kontroll- und Überwachungsbefugnisse gefordert, diesmal mit der naiven Bemerkung, polizeilich erfasste Personen hätten nichts zu befürchten, solange sie nicht straffällig würden.

In seiner Antwort auf eine Interpellation der FDP machte der Bundesrat darauf aufmerksam, dass, gestützt auf das BWIS, die Kantone ihre Staatsschutzstellen auszubauen hätten. Deren Tätigkeiten waren nach der Fichenaffäre weitgehend eingefroren worden. Ebenfalls im Zusammenhang mit Davos erlaubte der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Anfrage von SVP-Ständerat Maximilian Reimann einen kleinen Blick in die «Beobachtungsliste». Dies ist ein politisches Führungsinstrument, mit dem gegenüber der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden soll, die staatliche Überwachungstätigkeit beschränke sich auf einen klar abgrenzbaren Personenkreis.

Die Liste ist geheim und wird jährlich aktualisiert. Zu den bespitzelten Organisationen dürften aber gemäss Auskünften des Bundesrates People’s Global Action (PGA) und die Anti-WTO-Koordination Bern gehören. Sie zeichnen sich gerade nicht durch einen klar definierten Kreis von Mitgliedern aus. Sie stehen vielmehr für einen neuen Organisationstyp, der sich durch Vielfalt und Verschiedenartigkeit auszeichnet – und dem hierarchische Strukturen fehlen. Eine polizeiliche Beobachtung dieser Organisationen ist im Rahmen des Gesetzes kaum zu bewerkstelligen, und ein Gesetz, das ihre Überwachung ermöglichen würde, käme einem Freipass zum Schnüffeln gleich.

Nach dem BAP-Bericht zur Antiglobalisierungsbewegung winkte Vizekanzler Achille Casanova ab. Gesetzesänderungen im Bereich des Staatsschutzes seien nicht vorgesehen, zitierte ihn die NZZ. Doch nach Manhattan könnte es mit derartiger Zurückhaltung vorbei sein. In der «SonntagsZeitung» forderte DAP-Chef von Daeniken eine Ausdehnung der Überwachungskompetenzen. Es sei zu überdenken, ob jemand wirklich nicht überwacht werden dürfe, solange er nicht physisch Gewalt anwende, sondern lediglich gewalttätige Ideologien verbreite.

Bislang sieht es allerdings noch so aus, als bleibe der Staatsschutz vorderhand das ungeliebte Schmuddelkind der Politik. Im Rahmen der Reorganisation der Polizeibehörden des Bundes ist er zurückgestuft worden und hat zurzeit keinerlei kriminalpolizeiliche Befugnisse mehr. «Das bedeutet, dass die wirklich ernsten und wichtigen Dossiers nicht vom DAP behandelt werden, dem nur noch die Überwachung eindeutig unschuldiger Personen überlassen wird», sagt SP-Nationalrat Nils de Dardel.