Giesserei in Reconvilier vor dem Aus: Fehlstart mit Sputnik

Nr. 46 –

Der Swissmetal-Chef investiert 75 Millionen Franken ins angeschlagene Unternehmen. Die Gewerkschaft Unia sieht ihn als rücksichtslosen Abbauer. Beide Seiten argumentieren mehr mit hitziger Symbolik als mit industrieller Logik.

Die Swissmetal-Belegschaft in Reconvilier kann es drehen und wenden, wie sie will. Eigentlich weiss sie schon seit zwanzig Jahren, was ihr jetzt blüht: die 1986 beschlossene Integration der beiden Produktionsstandorte von Swissmetal, Reconvilier im Berner Jura und Dornach im solothurnischen Nordzipfel bei Basel. Nüchtern betrachtet versucht das neue Management nichts anderes, als den alten Beschluss buchstabengetreu umzusetzen: Statt an beiden Standorten je eine Presse und eine Giesserei zu betreiben, soll die vorgelagerte Produktionsstufe in Dornach konzentriert werden. Beidenorts werden zudem zweistellige Millionensummen in die eigentliche Kerntätigkeit, die Fertigung von unterschiedlichen Metalllegierungen zu Weltmarktspezialitäten, investiert. Die zum grössten Teil unbekannten Investoren stecken 75 Millionen Franken in den Umbau eines Unternehmens, dessen Umsatz seit 2001 um ein Drittel geschrumpft ist und das nach einem Beinahekonkurs erst seit kurzem wieder schwarze Zahlen schreibt.

Wirtschaftlicher Selbstmord

Dass zwei Standorte, die kaum sechzig Kilometer auseinander liegen, nur eine vorgelagerte Produktionsstufe benötigen, bezweifeln nicht einmal die Hartgesottenen in Reconvilier. «Aber nach industrieller Logik sollte diese eben bei uns stehen und nicht in Dornach», betont Nicolas Wuillemin, Präsident der internen Angestelltenkommission. «Uns ist egal, wo; Hauptsache, die längst überfällige Straffung der Kompetenzen wird endlich durchgezogen», hält ein Investor entgegen, der sich nicht namentlich in «klein karierten Regionalpartikularismus» einmischen will.

Industrielle Logik oder Regionalpartikularismus? Wer dieser Frage nachgeht, erhält zwei Antworten, die beide die industrielle Logik für sich beanspruchen und der anderen Seite unterstellen, einen Standort gegen den anderen auszuspielen. Wuillemin und sogar Patrick Rebstein, Direktor des Werkes in Reconvilier, behaupten, die Verlagerung der Giesserei sei «wirtschaftlicher Selbstmord», weil sie immense logistische Aufwendungen nach sich ziehe und Reconvilier seiner Innovationsbasis beraube. «Das Management will Reconvilier krank machen, um Dornach zu retten», bringt es der Angestelltenvertreter auf den Punkt. Dass Dornach tatsächlich eher «gerettet» werden muss als Reconvilier, legt ein interner Rapport nahe: Das Dornach-Werk hat seit 1995 ein knappes Drittel seines Umsatzes (von 65 auf 47 Millionen Franken) verloren, während dieser in Reconvilier mit 57 Millionen Franken praktisch unverändert geblieben ist. Ausserdem wurde in Reconvilier im aktuellen Halbjahr beinahe zweimal so viel Geld pro Kilo abgelieferter Ware erwirtschaftet wie in Dornach.

Swissmetal-CEO Martin Hellweg will diesen «Zahlenstriptease» aus Wettbewerbsgründen nicht vertiefen. Ein solcher Vergleich nütze ohnehin wenig, «unser Ziel ist, die Rendite des Gesamtunternehmens auf neun Prozent zu steigern». Das in Dornach geplante Giesserei- und Pressezentrum werde das Entwicklungspotenzial beider Standorte fördern, verspricht der Manager und kehrt die Logik seiner Angestellten ins Gegenteil um: «Es ist logistisch sinnvoller und rentabler, die vorgelagerte Produktionsstufe in der Nähe der internationalen Verkehrsströme aufzustellen.» Was die Kritiker bis dato ausser Acht lassen: Der zumindest konzeptionell ambitionierte Unternehmer will langfristig auch für andere europäische Spezialitätenhersteller Metalle warm verformen. Da kämen die unzähligen Kurven und Klusen nach Reconvilier seinen Sattelschleppern in die Quere. Nimmt man ihn beim Wort, träumt er sogar davon, den schlank geschrumpften Schweizern langfristig zwei europäische und eine asiatische Schwester zur Seite zu stellen. Das modernisierte Presse- und Giessereizentrum müsse so gut wie möglich ausgelastet werden und Swissmetal soll auch dort produzieren, wo die Nachfrage am meisten wächst: in China.

Eine Glaubensfrage

Eine solche industrielle Logik mag ihre Tücken haben, aber einem «wirtschaftlichen Selbstmord» (Rebstein), einem «Schnellschuss» (Volkswirtschaftsdirektorin Elisabeth Zölch) oder einer «zweifelhaften Strategie» (Unia) entspricht sie kaum. Sie ist auch nicht, wie ein internes Manager-Memo behauptet, «revolutionär». Es gibt kaum ein international tätiges Schweizer Unternehmen, das sich in den letzten Jahren keine heimische Kur verordnet hätte, um sich gegen asiatische Produzenten und für den asiatischen Markt fit zu trimmen. Warum also kommt es im Fall von Swissmetal wiederholt zu Unterstellungen wie, Hellweg verfolge nur die kurzfristigen, finanziellen Interessen der AktionärInnen und habe nur ein Ziel: Swissmetal so bald wie möglich Gewinn bringend und auf dem Rücken der Angestellten zu verscherbeln? «Wir investieren auch 25 Millionen Franken in Reconvilier», bemüht sich Hellweg unentwegt, sein Bekenntnis zum Berner Jura zu unterstreichen. Aber die Angestellten glauben ihm nicht: «Die Verlagerung der Giesserei entspricht einer ebenso grossen Desinvestition», meint Wuillemin bitter. «Irgendwann sollte man etwas einmal glauben oder davon ablassen», kritisiert der solothurnische Wirtschaftsförderer Jonas Motschi die ewigen Zweifler. «Die Strategie des Managements ist doch nachvollziehbar. Blosse Strukturerhaltung würden auch wir nicht unterstützen.» Dass Hellweg mehr sei als ein Finanzraider, findet im Solothurnischen sogar ein Gewerkschafter, der seine Analyse angesichts der regionalpolitischen Brisanz aber nur namenlos weitergibt: «Hellweg versucht eindeutig, Swissmetal nachhaltig konkurrenzfähig zu machen.» Die Angestellten in Dornach, zu achtzig Prozent Grenzgänger, hätten das längst begriffen. «Als unlängst ein Stellenabbau anstand, reduzierten sie freiwillig ihr Pensum und verzichteten auf Lohnersatz.» Im Jura hingegen legte vor einem Jahr tout Reconvilier die Arbeit nieder, nachdem Hellweg einen einzigen Kader freigestellt hatte. Mit «wahrer Leidenschaft» titelte die WOZ (Nr. 49/04) die kollektive Arbeitsniederlegung damals. Journalistische Anwaltschaft schien berechtigt: Der noch frische Manager aus Deutschland hatte den «Aufstand einer realen Arbeitswelt gegen eine virtuelle Finanzwelt» mit seinem abgehobenen Globalisierungsenglisch geradezu provoziert. Die Unia stellte sich erst in letzter Minute vor die DemonstrantInnen, die gegen vermeintliche Absichten auswärtiger Spekulanten protestierten. 2004 ging es noch um schwer fassbare Menschenwürde. Aber jetzt steht ein konkretes Restrukturierungsprogramm zur Debatte. Die Arbeitnehmer überlegen, bevor sie vielleicht doch noch streiken. Aber die Gewerkschaft ist in der alten Symbolik stecken geblieben: «Swissmetal-Bosse pokern nur noch um Konzessionen für den Rückzug ihrer unrealistischen Pläne», titelt ein Communiqué. Wahr ist, dass die von Hellweg propagierten Synergieeffekte mit dem massiven Abbau von 150 Stellen (von 750) erkauft werden. Wie viel der so eingesparten vierzehn Millionen Franken in einen Sozialplan einfliessen, spielt in der bisherigen Debatte keine Rolle. Und eine Strategie, wie die Giesserei in Reconvilier zu retten wäre, hat auch die Unia nicht. «Wir suchen noch nach einem Plan B», hiess es letzte Woche aus der Zentrale. Derweil zweifelt man lieber am Charakter des bösen Managers, als sich inhaltlich mit dessen Strategie auseinander zu setzen. Umso schwerer lässt sich deshalb auch der Vorwurf des Swissmetal-Präsidenten Friedrich Sauerländer widerlegen: «Unia benutzt Reconvilier, um sich selbst zu profilieren.» Nur: die Gewerkschaft trägt die Schuld nicht allein, dass die Debatte noch nicht über einen symbolischen Schaukampf hinausgekommen ist.

Das Sputnik-Projekt

Auch Hellweg und sein Kommunikator Sam V. Furrer benutzen eine Symbolik, die das schwächste Arbeiterherz in Wallung bringt: Der Restrukturierungsplan wurde dreissig Kadern als «Sputnik»-Projekt verkauft. Zudem mussten sie im Oktober auf der Rigi hoch und heilig auf dessen Geheimhaltung schwören. Ein geheimer, kapitalistischer Sputnik? Das war wohl zu viel Symbolik für ein paar rechtschaffene Werkkader, die prompt die Unia unterrichteten. Das wiederum war ein gefundenes Fressen für einen Gewerkschafter, der das geheime Memorandum an die welschen Medien verteilte. Nun hatten alle schwarz auf weiss, dass die Verlagerung der Giesserei nach Dornach beschlossene Sache ist, während Hellweg und Sauerländer der Belegschaft und den Kantonsregierungen weismachen wollten, man wolle den Entscheid gemeinsam fällen.

Am Konzept ändert das wenig, an der Haltung der Betroffenen allerdings viel: «Man muss den Menschen glauben machen, dass nichts unmöglich ist, dass die Technik des sozialistischen Staates alles zu überwinden erlaubt, selbst die Gesetze der Natur.» (Nikita Chruschtschow, 1957, nach der ersten Sputnik-Weltraummission.) So allmächtig kann es nicht einmal Hellweg gemeint haben, aber die Arbeitnehmer müssen sich ob solcher Symbolik umso ohnmächtiger vorkommen. Sputnik stehe eben für einen technologischen Durchbruch und «passte deshalb zu einem Projekt, das mit einer revolutionären Idee anfing, von der wir wussten, dass sie beeindrucken würde», erklärt Furrer die Namenswahl und scheint zu bedauern: «Den Kontext Kommunismus-Kapitalismus haben wir dabei völlig ausgeblendet.»

Was wäre, wenn die Belegschaft den Sputnik unter dem Logo «Verlagerung der Giesserei» in der Betriebskantine, unseretwegen auch auf der Rigi, in corpore und auf Französisch hätte zur Kenntnis nehmen können? Die welschen Medien hätten weniger symbolträchtige Schlagzeilen, die Unia möglicherweise einen konstruktiven Plan B.