Altlasten: Fischt frische Fische

Nr. 47 –

Die Munition, die die Armee vor Jahrzehnten in Schweizer Seen entsorgt hat, enthält TNT. Eine Bergung sei zu gefährlich, weil sie Schadstoffe freisetzen würde, meinen die Behörden.

Die Schweizer Armee hat Probleme mit der Entsorgung von Kriegsmaterial. Gaben vor kurzem fragwürdige Panzerdeals zu reden, so sind bald wieder Altlasten Thema. Laut einem Bericht des Verteidigungsdepartements (VBS) von 2004 versenkte das Militär bis in die sechziger Jahre Munition in Schweizer Seen; meist an den tiefsten Stellen. So liegen etwa im Urnersee 2800 Tonnen, im Brienzersee 600 Tonnen, im Thunersee 4600 Tonnen. Im Thunersee wurde bei Balmholz Munition auch am Ufer in den See gekippt. Dort hob das VBS einen Teil davon. Das geschah auch aufgrund von politischem Druck. Im Nationalrat und im Berner Kantonsrat wollten Politiker wissen, ob die Munition geborgen werde. Nach wie vor steht die Vermutung im Raum, dass das TNT (Trinitrotoluol) der Munition die seit dem Jahr 2000 beobachteten Deformationen an den Geschlechtsteilen der Thunerseefelchen hervorruft. Die Antworten des Bundesrats und der Berner Regierung gleichen sich: Erst soll das Risiko einer Bergung und die Wirkung der Munition auf das Ökosystem abgeklärt werden. Die Agency for Toxic Substances and Disease Registry des US-Gesundheitsministeriums jedenfalls warnt vor TNT und dessen Abbauprodukten: Bei Menschen könnte der Sprengstoff Schäden in Blut und Leber verursachen. Tierversuche zeigten, dass der Stoff die männlichen Geschlechtsorgane schädige.

Das VBS wird im Januar 2006 einen Bericht über das weitere Vorgehen präsentieren. Unter anderem prüfte es Bergungsarten auf deren Machbarkeit und Kosten hin. Brigitte Rindlisbacher, zuständig für Umweltpolitik im Generalsekretariat des VBS, will sich nicht dazu äussern. Derzeit liege der Bericht bei den beteiligten Kantonen und Institutionen zur Stellungnahme. MitarbeiterInnen von Kantonen und Bund sagen auf Anfrage, dass das VBS die Munition auf Grund belassen wolle. Rindlisbacher dazu: «Schon Ende 2004 sagten wir, dass eine Bergung eher unwahrscheinlich ist.» Ob alle betroffenen Kantone diese Haltung teilen, ist offen. Der Kanton Zürich liess im Sommer verlauten, dass die neunzig Tonnen Munition nicht aus dem Zürichsee gehoben werden. Ein Grund dafür ist, dass «bei einer allfälligen Bergung viel Sediment aufgewirbelt und dabei die darin gebundenen Schadstoffe freigesetzt» würden.

Das lässt vermuten, dass die Sedimente TNT enthalten. Untersuchungen der Wädenswiler Forschungsanstalt Agroscope im Auftrag des VBS wiesen für den Thunersee jedoch weder in Sedimenten noch im Wasser oder Plankton TNT nach. Thomas Poiger von Agroscope: «Im Wasser war die Konzentration nicht nachweisbar, also unter fünfzehn Milliardstelgramm pro Liter.» Allerdings wurden nicht alle Tests mit den empfindlichsten Geräten und genauesten Prüfmethoden gemacht. Im Sediment und im Plankton sei ein Nachweis schwieriger. Bei Sedimentproben hängt es davon ab, wo diese genommen werden. Die Munition liegt über zwei Quadratkilometer verteilt unter einer 25 Zentimeter dicken Sedimentschicht. Weiter hat die Eawag, das ETH-Wasserforschungsinstitut, für das VBS Einzelsubstanzen der Munition auf ihre Hormonaktivität in Hefezellen untersucht. «Darin haben wir keine Hormonaktivität nachweisen können. Allerdings haben wir nicht Fische den Substanzen ausgesetzt», sagt Eawag-Forscher Rik Eggen.

Unabhängig vom Bericht des VBS läuft die Suche nach den Gründen für die Deformationen der Felchengonaden weiter. Koordiniert wird sie vom Fischereiinspektorat des Kantons Bern. Vierzehn verschiedene Thesen werden geprüft. Das reicht von genetischen Untersuchen über die Suche nach hormonaktiven Stoffen bis hin zu Zuchtversuchen. Am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin der Universität Bern (Fiwi) werden Felchen unter verschiedensten Rahmenbedingungen aufgezogen. Fische bekommen hormonaktive Stoffe verabreicht, andere werden in Quell-, in Urner- und in Thunerseewasser gezüchtet. Oder der Laich wird auf Thunerseesedimenten erbrütet. Diese stammen aus den Gebieten, wo Munition versenkt wurde. «So untersuchen wir, ob die Fische, wenn sie in frühem Stadium den Sedimenten exponiert sind, häufiger Veränderungen aufweisen», erklärt Daniel Bernet vom Fiwi. Das Experiment geht auf die Erkenntnis zurück, dass vor allem tief laichende Felchen (Brienzlig) starke Deformationen aufweisen. Im Jahr 2007, wenn die Fische geschlechtsreif sind, sollen die ersten Resultate vorliegen.

Bisher hat noch niemand in den Felchen nach TNT-Spuren gesucht. Das empfahl das Büro für Gewässerökologie Aqua Sana 2001 in einem Bericht an das Berner Fischereiinspektorat. Christoph Küng vom Fischereiinspektorat redet von «methodischen Schwierigkeiten»: «Chemikalien können erst ab bestimmten Konzentrationen nachgewiesen werden. Da Felchen etwa im Vergleich zum Hecht in der Nahrungskette weiter unten liegen, sind Schadstoffe nicht im Muskelfleisch zu erwarten.» Würde TNT im Fleisch gefunden, wüsste man trotzdem nicht, wo der Fisch das aufgenommen habe. Derweil wollen die Thunerseefischer vermehrt den Brienzlig befischen, da beim Albock, der am häufigsten gefangenen Felchenart, die Fangerträge zurückgehen. Gerade der Brienzlig weist mit bis fünfzig Prozent am meisten Gonadendeformationen auf. Trotzdem gibt Küng Entwarnung. Gemäss Beurteilung durch das kantonale Labor unterscheide sich das Fleisch des Brienzlig bezüglich Farbe und Beschaffenheit in keiner Weise von dem anderer Felchen. Zudem seien die Fischbestände im Thunersee konstant und die Fische fruchtbar.

So richtig wohl ist es niemandem bei der Sache. Fischereiinspektor Küng wird es «gschmuech», wenn er an die deformierten Felchengonaden denkt: «Der Fisch ist auch ein Indikator für die Wasserqualität.» Deshalb will der Kanton Bern das Thunerseewasser regelmässig untersuchen lassen. Das VBS überlegt sich, die Beobachtung und Kontrolle mitzufinanzieren. Auch wenn es betont, die Munitionshüllen würden Jahrhunderte halten. ◊