BIOLOGISCHE VIELFALT: Im Park der Knollen

Nr. 47 –

Für sechs Indiogemeinden aus den peruanischen Anden ist die Kartoffel mehr als eine Kulturpflanze. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, 4000 Sorten anzubauen.

An eine Banane erinnert die lang gestreckte, leicht gekrümmte Knolle. Nur die bräunlich-beige Farbe und die tiefen Einkerbungen im Fruchtfleisch, aus denen die Keime spriessen, stören diese spontane Assoziation. Yana Estaquilla heisst die Kartoffelsorte auf Ketschua, der Sprache der Inkas. Der Name steht mit einer Nummer säuberlich auf einem kleinen Zettel notiert, der an das Regalbrett geheftet ist. Auf diesem liegt die keimende Knolle neben etlichen anderen Saatkartoffeln. T’ika Waman, Condor Runtu, Wayro oder Puka Mama heissen diese. Puka Mama ist annähernd kugelförmig und zweifarbig: Ein breites lilafarbenes Band, das an eine Schärpe erinnert, ziert die beige-braune Kartoffel. Nichts Ungewöhnliches für peruanische Hochlandkartoffeln, die nicht nur durch ihr Aussehen, sondern auch durch ihren Geschmack überzeugen.

«Die meisten andinen Kartoffeln haben Namen, die ihre Form beschreiben», erklärt Antoli Castañeda und deutet auf die Puma Maki, die Pumakralle, im Regal. Die bräunlich-schwarze, lang gestreckte Knolle weist vier tiefe Furchen auf und erinnert an die geschlossene Pranke des Raubtiers. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Castañeda die schmalen Regale gebaut, die im Ausstellungsraum des Empfangsgebäudes vom Kartoffelpark aufgestellt sind. Rund dreissig Kilometer von Cusco entfernt, im heiligen Tal der Inka, liegt der Park. Antoli arbeitet seit vier Jahren dort.

Der 38-jährige Kartoffeltechniker gehört zur Indiogemeinde von Cuyo Grande, der mit rund 3000 Einwohnern grössten im Kartoffelpark. 1998 wurde der Park von sechs Indiogemeinden gegründet. Deren Ziel - und das Ziel der nichtstaatlichen Organisation Andes, die die Gemeinden unterstützt - ist es, alle andinen Kartoffelarten im Park anzubauen. «Zwei Kartoffelspezialisten hat jede der sechs Gemeinden unter den Bauern gewählt», sagt Antoli, der den nach traditionellen Mustern gewebten Poncho seiner Dorfgemeinschaft trägt. «Unsere Aufgabe ist es, die vorhandenen Kartoffelsorten zu registrieren, zu klassifizieren und nach weiteren Arten Ausschau zu halten.»

Mehr als eine Kulturpflanze

Derzeit sind knapp tausend der im Park vorkommenden traditionellen Arten registriert. Gentechnisch manipuliertes Saatgut und solches aus konventioneller Hochleistungszucht sind genauso wenig zugelassen wie chemische Düngemittel oder Pestizide. Darüber wachen Antoli und seine Kollegen. Die haben alle Hände voll zu tun, um die Kartoffeln zu klassifizieren. Insgesamt sind in den Anden laut dem Internationalen Kartoffelinstitut in Lima (Cip) 4000 Sorten heimisch. Viele davon werden rund um Cusco auf den Terrassen der Indiogemeinden angebaut, viele aber auch in Huancayo, der zweitwichtigsten Kartoffelregion des Landes. «Doch über eine ganze Reihe von Sorten verfügt nur noch das Kartoffelinstitut», sagt Milton Gamarra Montañez.

Der Agrartechniker ist verantwortlich für den Erhalt der Artenvielfalt im 9000 Hektar grossen Park und koordiniert die Arbeit zwischen den Gemeinden. Regelmässig ist er im Zentrum des Kartoffelparks anzutreffen, einem von einem Indioarchitekten konzipierten lichten Bau aus Stein, Holz und Glas. Dort laufen die Fäden zusammen. In den Computer wird alles eingegeben, was die Techniker über die wichtigsten Anbaupflanzen in den Gemeinden erfahren. Nicht allein über die Kartoffel und ihre Sorten, sondern auch über Mais, Getreide, die wichtigsten Medizinalpflanzen und die traditionellen Bäume der Region.

«Letztlich versuchen wir, das traditionelle Wissen der Gemeinschaft zu erhalten», erläutert Milton Gamarra den zentralen Ansatz. Der ist auf äusserst fruchtbaren Boden gefallen. «Vor einigen Jahren gab es noch viel Streit zwischen den Gemeinden. Seit der Gründung des Parks gibt es weniger Konflikte, denn wir alle haben mit dem Aufbau des Parks ein gemeinsames Ziel», sagt Alejandro Suca, der Kartoffeltechniker der Gemeinde Paru Paru. «Mit leuchtenden Augen», sagt Suca, «geben die Alten weiter, was sie über die Pflanzen im Park wissen. Sie freuen sich, dass ihr Wissen gefragt ist, und so lernen wir Jüngeren viel Neues über die Pflanzen, aber auch über unsere eigene Identität.» Ein Wandel habe sich eingestellt. Der schlage sich in steigendem Selbstbewusstsein und sinkendem Alkoholismus nieder, konstatieren die Kartoffeltechniker einmütig.

Die haben zu den meisten Kartoffelsorten eine kleine Legende mit den wichtigsten Eigenschaften und der kulturellen Bedeutung erstellt. Es gibt Kartoffeln, die ausschliesslich für Hochzeitsfeste zubereitet werden, andere werden nur zur Beerdigung gereicht. Andere haben medizinische Wirkung; sie stärken das Immunsystem und heilen Hautkrankheiten. Das sei wissenschaftlich erwiesen, sagt Alejandro Argumedo. Der Agrarökonom ist Vizedirektor der Nichtregierungsorganisation Andes, die Gamarra und seine Kollegen bezahlt. Der aus dem Hochland von Ayacucho stammende Agrarökonom ist eine treibende Kraft hinter dem Kartoffelpark und überzeugt davon, dass für den Erhalt der Artenvielfalt mehr getan werden muss. Und genau dafür ist der Kartoffelpark ein interessantes Beispiel, denn viele der andinen Kartoffelsorten sind vom Aussterben bedroht.

Genbank auf 4000 Metern Höhe

Derzeit fahnden die Agrartechniker in den Nachbargemeinden des Kartoffelparks nach Sorten, die bisher im Park nicht angebaut werden. Bis Dezember haben sie noch Zeit, denn dann müssen die Saatkartoffeln unter die Erde. Die Felder befinden sich zwischen 3600 und 4500 Metern über Meer. Jede Sorte hat ihre spezifische Höhenlage, erklärt Antoli Castañeda. Er deutet auf den Bildschirm, wo die Daten zur Puma Maki erscheinen. Die wächst am besten in einer Höhe von etwa 3800 Metern.

Wie viele Sorten in den sechs Gemeinden im Dezember ausgesät werden, kann er noch nicht sagen. Von etwa 2200 gingen die Techniker noch im Frühling letzten Jahres aus, doch als man kurz darauf begann, die Sorten zu klassifizieren und ein verbindliches Register anzulegen, stellte man fest, dass einige der Knollen doppelt und dreifach vorhanden waren. Also musste der Bestand bereinigt werden. Derzeit sind laut Antoli etwa 920 Sorten im Computer erfasst. Hinzu kommen die 246 Sorten, die im letzten Jahr vom CIP geliefert wurden, und die, die noch nicht klassifiziert sind oder von den Technikern aus den Nachbargemeinden herangeschafft werden. Auf etwa 1400 Kartoffelpflanzen beläuft sich der komplette Bestand, schätzen die Techniker. Und der soll kontinuierlich aufgestockt werden, bis spätestens 2020 alle Kartoffelarten im Park angebaut werden. Dann wäre das Ziel der weltweit einzigartigen lebenden Genbank endlich Realität. Dabei spielt das Cip in Lima als Saatgutlieferant eine wichtige Rolle. Das Institut, eines der weltweit fünfzehn Agrarforschungsinstitute der Consultative Group on International Agricultural Research, beherbergt die grösste genetische Kartoffelsamenbank der Welt. Über 4000 Kartoffel- und rund 1200 Süsskartoffelsorten lagern neben 1000 vorwiegend in den Anden vorkommenden Arten von Knollenfrüchten in zahllosen Reagenzgläsern im Kühlraum des Instituts. Ein genetischer Schatz, aus dem der Kartoffelpark beliefert wird. So sehen es die Verträge zwischen den sechs Gemeinden, der Nichtregierungsorganisation Andes und dem Institut vor.

«Die Gemeinden haben ein Recht auf die Pflanzen, denn schliesslich sind es ihre Vorfahren, die diese Pflanzen gezüchtet haben», sagt William Roca, Leiter der Abteilung Biodiversität am Cip. Für ihn liegt es im Interesse des Instituts, die Bauern des Kartoffelparks zu unterstützen. «Der Anbau von möglichst vielen Kartoffelarten ist ein Beitrag zur Arterhaltung, den wir genauso wie das Modell des Kartoffelparks unterstützen», sagt der Wissenschaftler. Der Aufbau lokaler Genbanken in den Gemeinden ist für Roca eine weitere Option, um das Erbgut der Kartoffel so gut wie möglich zu sichern. «Traditionelle Arten», sagt er, «sind schliesslich die Basis, um neue Arten zu entwickeln und typische Krankheiten zu bekämpfen.»

Chips mit violetten Herzen

Davon profitieren auch Saatgutfirmen, auch wenn das Cip nicht mit diesen zusammenarbeitet. Wohl aber mit den Bauern, weshalb das Institut nach Möglichkeiten für eine Kommerzialisierung der selbst in Peru teilweise unbekannten traditionellen Arten sucht. So wird gemeinsam mit der Supermarktkette Wong ein Beutel mit besonders schmackhaften Papas nativas (natürlichen Kartoffeln) angeboten. Um die Knollen auch ausserhalb der Erntezeit anbieten zu könne, fehlt es allerdings noch an Kühlkapazitäten. Die sollen in den nächsten Jahren geschaffen werden. Auch der Versuch, Papas nativas zu Kartoffelchips zu verarbeiten, ist weit gediehen. Der Clou dabei sind die Farben und Muster: Chips mit einem lilafarbenen Kreis in der Mitte, mit knallroten geometrischen Mustern oder einem violetten Herzen könnten zu einem Partygag und Verkaufsschlager werden, hofft André Deveaux vom Cip. Bis zur Marktreife fehle nicht mehr viel. Bereits reif für den Vertrieb ist das Puré andino, der Kartoffelstock aus tiefgelben Andenkartoffeln, das mit Unterstützung der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) entwickelt wurde.

Für den Kartoffelpark und dessen Bauern sind derartige Initiativen überlebenswichtig, denn sie schaffen neue Perspektiven. Die Anschubfinanzierung, die das Projekt von der Rockefeller Foundation erhielt, ist mittlerweile weitgehend aufgebraucht. Um aber wie geplant Hotel, Restaurant und Wanderwege zu bauen und sich den Tourismus als Einnahmequelle zu erschliessen, braucht der Kartoffelpark frische Mittel. Die sollen über das Programm «Adoptiere eine Kartoffel», das zeitgleich in Deutschland, England und den USA vorgestellt werden soll, geworben werden. Internationale Organisationen und Privatleute sollen als Paten für den Erhalt einer Kartoffelart gewonnen werden. Über die Spenden soll dann der Kartoffelpark weiter ausgebaut werden. Ein optimistisches Finanzkonzept. Aber vielleicht kommt über den Verkauf von bunten Chips, andinem Püree und schmackhaften Knollen auch schon früher Geld in die Kasse. ◊