Durch den Monat mit Angelika Hilbeck (Teil 4): Ein schönes Handbuch?

Nr. 47 –

Angelika Hilbeck: «Ohne die Liebe zum Objekt geht nichts.»

WOZ: Sie arbeiten derzeit in einem grossen internationalen Projekt. Worum geht es da?
Angelika Hilbeck: Wir entwickeln wissenschaftliche Methoden zur Beurteilung von Umweltrisiken des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO). Kolleginnen und Kollegen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem aus Brasilien, baten uns immer wieder um Hilfe bei den Aufgaben, die ihnen ihre Regierungen stellten. Das war gegen Ende der neunziger Jahre, als sich in Brasilien die herbizidresistente Soja auszubreiten begann ...

... die nicht zugelassen war ...
... genau. Aber es wurde klar, dass man die Risiken würde abschätzen müssen. Nur wusste niemand so genau, wie man das macht.

Dann kamen Sie und halfen?
Wir konnten nicht einfach sagen, seht her, so geht das. Wir hatten ja selber noch keine vernünftigen Verfahren – meiner Meinung nach sind die heute noch unausgereift. Wir hatten also ein globales Defizit. Damals wurde das internationale Abkommen über den Umgang mit GVO, das Cartagena-Protokoll, verhandelt. Es sieht vor, dass die Länder des Nordens die des Südens in der Risikoabschätzung unterstützen. So konnten wir 2002 mit Geldern der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit starten.

Und jetzt haben Sie ein Handbuch, wo drin steht, wie mans macht?
Wir haben gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Süden Konzepte erstellt und an Fallbeispielen getestet. Bis 2007 wollen wir diese Konzepte in eine Form bringen, die auch für Nichtfachleute, zum Beispiel Behörden, verständlich ist, und die Konzepte umsetzen.

Stellten Sie während dieser Arbeit kulturelle Unterschiede im Umgang mit Biosicherheitsfragen fest?
Ja. Vietnam ist klar hierarchisch, da funktionieren die Dinge entlang von Kommandoketten. So sind natürlich auch die Wege kurz und schnell. Brasilien ist viel eher mit Europa vergleichbar, die Kontroverse ist da genauso polarisiert. Doch kennt das Land enorme Gegensätze, dort gibt es noch Subsistenzlandwirtschaft und Landlose, aber auch eine riesige Industrielandwirtschaft, die es so in Europa kaum gibt.

Brasilien hat den GVO-Anbau 2004 zugelassen, weil es vor der Realität kapitulierte: GVO wurden schon lange illegal angebaut. Ist ein schönes Handbuch angesichts solcher Entwicklungen nicht vergebliche Müh?
So was ist natürlich frustrierend, vor allem für unsere brasilianischen Kolleginnen und Kollegen, die sich sehr ins Zeug legen. Aber die Arbeit war nicht völlig umsonst, denn einige Massnahmen wurden doch ergriffen, in gewissen Gegenden soll etwa keine GVO-Baumwolle angebaut werden. Doch man muss eine hohe Frustrationstoleranz haben.

Gentech-Befürworterinnen werfen den Gentech-Kritikern des Nordens eine kolonialistische Attitüde vor: Sie wollten den Ländern des Südens den GVO-Anbau verbieten.
Das ist Propaganda. Die Risiken des GVO-Anbaus sind real und müssen abgeklärt werden, das gilt auch für Entwicklungsländer. Sollen wir sie denn umgekehrt mit Technologien «beglücken», mit denen wir selber ein Problem haben?

In Sambia herrscht derzeit eine Hungersnot. Vor drei Jahren weigerte sich das Land, Nahrungsmittelhilfe aus GVO anzunehmen. Die Regierung wurde heftig attackiert, sie opfere ihre hungernde Bevölkerung der Ideologie der Gentech-Freiheit.
Da sehen Sie, welch zynische Dimension die Sache erreicht hat. Selbstverständlich muss jede Nahrungsmittelhilfe die Souveränität der Staaten und die Ernährungsgewohnheiten berücksichtigen. Es ist zynisch zu sagen: Friss oder stirb. Es ist zynisch, wenn man vor allem seine Agrarüberschüsse abbauen will, die halt gentechnisch verändert sind. Wenn ich einem Verhungernden helfen will, und er will das, was ich ihm anbiete, nicht essen, dann frage ich ihn doch nicht nach seinen Gründen: Eine Krise ist der falsche Moment. Solche Dinge kann man später diskutieren. Es gibt ja Alternativen. Wenn jetzt ein Land sagt, wir wollen uns wegen einer Hungersnot nicht eine Option für die Zukunft verschliessen, dann ist es ungerecht, ihm das vorzuwerfen. Das gehört sich nicht, nicht in diesem Moment.

Werden Sie den Sonntag gespannt vor dem Radio verbringen?
Vor zwei Monaten dachte ich noch, das Moratorium geht die Forscherinnen und Forscher doch gar nichts an. Wenn ich jetzt sehe, auf welchem Niveau die Debatte teilweise läuft, dann finde ich das Moratorium dringend nötig. Was bringt es, wenn Sie eine Technologie auf den Markt puschen, angesichts einer zutiefst gespaltenen Wissenschaftsgemeinde und einer mehrheitlich ablehnenden Bauernschaft und Gesellschaft?

Angelika Hilbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geobotanischen Institut der ETH und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Biosicherheit.

Nachtrag: Siehe auch das Interview in WOZ Nr. 9/15.