Durch den Monat mit Angelika Hilbeck (Teil 1): Sind Sie risikoscheu?

Nr. 44 –

Angelika Hilbeck: «Wir zählen Insekten, wir zählen immer wieder Insekten und schauen, was aus ihnen wird.»

WOZ: Frau Hilbeck, haben Sie sich schon mit Tamiflu eingedeckt?
Angelika Hilbeck: (Lacht.) Nein. Ich werde mich auch nicht gegen Grippe impfen lassen.

Wie gehen Sie als Risikoforscherin mit Risiken um?
Ich glaube nicht, dass ich ein risikoscheuer Mensch bin. In diesen Zeiten Risikoforschung zu betreiben, ist riskant: für die Karriere, für das Befinden – man ist ständig Angriffen ausgesetzt, die nicht generell über die Gürtellinie zielen. Aber in der ganzen Risikodebatte geht es immer darum: Entscheide ich nur für mich – wie bei der Frage, ob ich mich gegen Grippe impfen lasse – oder auch für andere Menschen? Das ist ein riesiger Unterschied.

Was tun Sie eigentlich genau?
Ich bin Agrarökologin. Meine Motivation war, dass die industrielle, chemielastige Landwirtschaft von Anfang an eine Fehlentwicklung war. Die Einführung der Pestizide ist für mich das Paradebeispiel dafür, wie eine Technologie auf den Markt geworfen wird, ohne dass man sich über deren Folgen Gedanken macht, und wie diese dann völlig aus dem Ruder läuft. Für meine Dissertation über Insektenökologie und ökologische Schädlingsbekämpfung war ich in den USA, wo ich mit dem Thema «Gentechnisch veränderte Organismen (GVO)» in Berührung kam. Da begann ich mich dafür zu interessieren, wie GVO sich auf Nutzinsekten – das waren damals die Florfliegen – auswirken. Das tun wir auch heute noch.

Sie schneiden Florfliegen die Bäuche auf und schauen, ob es da GVO drin hat?
Auch (lacht). Wir betrachten den gesamten Organismus: Wie geht es ihm, wie stirbt er und so weiter. Wir tun das im Labor, in der Klimakammer und im Feldversuch. Auf dem Feld brauchen Sie sehr grosse Stichproben. Wir zählen Insekten, wir zählen immer wieder Insekten und schauen, was aus ihnen wird.

Könnte es sein, dass Sie eines Tages zur Ansicht gelangen, jetzt sei die Sache sicher, und zur Gentech-Befürworterin werden?
Das ist mir zu simpel gefragt. Wir werden an einen Punkt kommen, wo wir nach Jahren der Debatte eine Entscheidung treffen müssen, und diese werde ich akzeptieren. Wir sind aber weit von einem solchen Prozess entfernt. Da gehören für mich weit mehr Faktoren dazu als die Ergebnisse meiner Forschung. Ich werde nie absolut nachweisen können, ob etwas sicher oder nicht sicher ist. Aber die Risikoforschung kann einen Beitrag leisten, wenn sie richtig gemacht wird. Und daran hapert es eben immer wieder.

Am 27. November [2005] gelangt ein fünfjähriges Gentech-Moratorium zur Abstimmung. Begrüssen Sie dieses, weil Sie denken: Wir sind noch nicht weit genug?
Ja, sicher. In die Biosicherheitsforschung wird ja nur ein Bruchteil dessen investiert, was in die Entwicklung neuer Produkte fliesst. Wir hinken gnadenlos hinterher. Wenn ein Antrag zum Anbau von transgenen Pflanzen gestellt wird, tritt man mit einer ganzen Reihe guter Fragen an uns heran, die wir noch nicht beantworten können. Es soll ja jetzt ein nationales Forschungsprogramm zu Nutzen und Risiken der Gentechnologie geben, das fiele genau in die Zeit des Moratoriums, was optimal wäre.

Warum dieser Rückstand? Müssten nicht gerade die Gentech-Befürworter und -Befürworterinnen, aber auch die ETH daran interessiert sein, dass Sie so schnell wie möglich vorankommen?
Sollten sie eigentlich. Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten.

Gibt es denn Leute, die meinen, Ihre Forschung dürfte gar nicht stattfinden?
Auch in anderen Technologiebereichen werden Leute, die die Risiken erforschen, als BremserInnen gesehen, als VerhinderInnen – das haben Sie in der Handystrahlendiskussion, in der Atomenergiedebatte. Man unterstellt: Du willst ja nur verhindern, weil du Fundamentalistin bist. Es ist aber kurzsichtig, sich der Debatte zu entziehen. Denn wenn Schäden auftreten, holt uns das wie ein Bumerang ein. Nur die Leute, die damals daran verdient haben, die holt es in der Regel nicht mehr ein. Kurzfristiges Denken in Zeiträumen von Businessplänen steht einem Denken gegenüber, das an mögliche Folgen in zwanzig, fünfzig, hundert Jahren denkt.

Wünschten Sie sich manchmal, Sie wären Altägyptologin und könnten unbehelligt von politischen Grabenkämpfen einfach forschen?
Ja, natürlich, irgendwann hat man die Nase voll und wünscht sich, an der Migros-Kasse Zahlen einzutippen ... Aber auch an der Kasse streitet man sich, da braucht man halt mal eine Pause und ein gutes Netz von Leuten, die einen stützen, und dann sagt man sich, nein, so leicht lasse ich mich nicht unterkriegen.

Angelika Hilbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geobotanischen Institut der ETH und Mitglied der Eidg. Kommission für Biosicherheit.

Nachtrag: Siehe auch das Interview in WOZ Nr. 9/15.