Geflügel: Imperium der Hühner

Nr. 50 –

In der Schweiz leben Hühner etwas besser als anderswo. Aber auch sie müssen nur eines: Höchstleistungen bringen. Und pro Jahr werden zwei Millionen Küken vergast.

Es ist grau und kalt im Fricktal. Ein Dutzend brauner Hennen drängelt sich an die grünen Netze. Seit Wochen langweilen sie sich in ihrem Häuschen mit Wintergarten. Der Wintergarten ist ein kleines Geviert unter dem Vordach, das mit feinen Netzen abgesperrt ist, damit die Spatzen nicht zu den Hühnern fliegen. Der Vogelgrippe wegen ist das Geflügel seit Oktober eingesperrt.

Es sind die Hühner des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick. Das Institut hält drei kleine Hühnerherden. Ab diesem Freitag dürfen die Tiere wieder ins Freie. Dann kann der Versuch weitergehen. Das FiBL will herausfinden, wie man verhindern kann, dass die Hühner ihren grünen Auslauf in einen Acker verwandeln. Hühner fressen Gras und scharren gern, bis kein Halm mehr wächst. Auf der nackten Erde überleben Parasiten besonders lange, die Hühner kriegen Würmer und legen nicht mehr richtig. Also muss man dafür sorgen, dass die Hennen die Grasnarbe nicht zerstören. Und daran forscht das FiBL im Moment.

Esther Zeltner ist Ethologin, Tierverhaltensforscherin beim FiBL. Sie hat sich auf Hühner spezialisiert. Unser Haushuhn stamme vom Bankivahuhn ab, erzählt sie, einem roten Dschungelhuhn aus Indonesien.

In der Schweiz gibt es knapp acht Millionen Hühner, davon etwa zwei Millionen Legehennen. Jährlich werden hierzulande 1,3 Milliarden Eier verzehrt.

Hühner als Jägerinnen

Das Huhn produziert wie eine Maschine. In den fünfziger und sechziger Jahren integrierte man es in Fliessbandabläufe. Die Batteriehaltung versprach eine effiziente und saubere Eierproduktion. Das Huhn lebte in einem Käfig kleiner als ein A4-Blatt. Im Ausland sind Batterien noch weit verbreitet, die EU will sie bis 2012 abschaffen. Das Schweizer Tierschutzgesetz ist fortschrittlicher, es lässt nur Boden- oder Freilandhaltung zu.

Doch auch das gibt Probleme. Oft picken die Hühner aneinander herum, Federpicken nennen es die Fachleute. Sie tun es vermutlich aus Langeweile, aus Gewohnheit oder weil es ihre Kolleginnen auch tun. Esther Zeltner versuchte herauszufinden, wann die Vögel beginnen, aneinander herumzupicken. Zeltner sperrte einige Federpickerinnen zu einer Herde, die sich nicht an die Federn ging. Die Tiere lebten in einem Gehege, in denen sie sich nicht zu langweilen brauchten. Nach einer gewissen Zeit begannen die Nichtfederpickerinnen an ihren Mithühnern herumzupicken. «Federpicken hängt offenbar nicht nur mit der Haltung oder der Fütterung zusammen», resümiert Zeltner, «es scheint auch ein erlerntes Verhalten zu sein, das die Tiere voneinander übernehmen.»

Und Hühner lieben Rot. Sehen sie etwas Rotes, picken sie darauf herum. Manchmal mit grausigen Folgen: Ist ein Huhn verletzt und blutet, picken die anderen die Wunde auf. Sie habe schon gesehen, dass einem Huhn die Gedärme herauskamen, weil die Mithühner es aufgepickt hatten. Kannibalismus nennt man das. Liegt ein totes Huhn im Stall, kann es vorkommen, dass die anderen es aushöhlen. Sie sind Allesfresser, mögen Körner, Würmer, Mäuse. Zeltner erzählt von einer Maus, die in einem Stall gefangen war. Zeltner konnte zuschauen, wie die Hühner die Maus jagten, gemeinsam totpickten und frassen.

Hühner haben keine Mimik, gehen wie Roboter und sehen dumm aus. Aber sie sind klug. «Die Spatzen fressen den Hühnern immer das Futter weg», sagt Zeltner, «deshalb hat man spezielle Körnerspender entwickelt: Die Hühner müssen auf eine Platte stehen, damit Futter herauskommt. Sie lernen enorm schnell, wie das funktioniert.»

Die Superhuhn-Designer

Ein kommerzielles Huhn legt im Jahr bis zu 320 Eier, doppelt so viele wie die alten Landrassen, die man früher auf Bauernhöfen hielt. Möglich ist dies dank der drei Grosskonzerne, die diese Superhühner kreieren.

In der Schweiz gibt es zwar noch GeflügelhalterInnen, die sich ZüchterInnen nennen. Bis sie aber mit der Arbeit beginnen, ist die genetische Selektion längst gemacht. Diese ZüchterInnen kaufen bei den Konzernen perfekt aufeinander abgestimmte Elterntiere, die ein Höchstleistungs-Hybridhuhn hervorbringen. Würde man mit den Hybridhühnern weiterzüchten, gäbe es nur mittelmässige Legehennen. Der weltweit führende Hennenzüchter ist der deutsche Erich-Wesjohann-Konzern, dem die Lohmann Tierzucht AG gehört. Neben Hühnern ist der Wesjohann-Konzern auch im tiermedizinischen Bereich tätig und stellt Futtermittel her. Daneben produzieren noch Hendrix und Natexis Industrielegehennen. Hendrix präsentiert sich als Familienunternehmen und ist in den Niederlanden domiziliert. Natexis ist eine französische Investmentgruppe, die neben dem Hühnergeschäft auch noch Firmen besitzt, die PVC-Böden, Autoteile und Polyesterfasern herstellen.

Ausser diesen drei Legehennenproduzenten gibt es vier Grossfirmen, die für die ganze Welt Masthühner züchten (Aviagen, Cobb, Grimaud und Nutreco). Kein anderes Tier wird weltweit so konzentriert reproduziert wie das Huhn.

Lohmann lässt keine JournalistIn-nen in seinen Zuchtbetrieb in Cuxhaven. Auf der firmeneigenen Homepage kann man jedoch die angebotenen Produkte konsultieren: Lohmann Tradition, Lohmann Silver oder Lohmann Brown - die meisten Hennen sind weiss oder braun zu haben. Biobetriebe bevorzugen braune Hühner, die braune Eier legen, weil KonsumentInnen glauben, ein braunes Ei stehe für naturnah. Die Tiere unterscheiden sich aber durch nichts. Es sind in Fleisch verpackte Maschinen, und entsprechend klingt der Beschrieb der Lohmann Brown: Eierproduktion: in 14 Legemonaten 330 bis 335; Eimasse: in 14 Legemonaten 21,0 bis 22,0 Kilo; Eiermerkmale: Schalenbruchfestigkeit > 35 Newton; Futterverbrauch: Produktionsperiode 115 bis 125 Gramm/Tag.

Die ZüchterInnen, die Lohmann «Vermehrer» nennt, kaufen bei der Tierzucht AG Elterntiere, entweder als Eier oder frisch geschlüpfte Küken. Küken brauchen die ersten Tage noch kein Futter, was ihren Versand einfach macht. Die Vermehrer ziehen die Jungtiere auf, lassen sie Eier legen und verkaufen den Nachwuchs an die Eierproduzenten. Haben die Elterntiere ausgedient, müssen die Vermehrer bei Lohmann frische besorgen.

Die hohe Kunst des Sexens

Sind die Legehuhnküken geschlüpft, muss man «sexen»: das Geschlecht bestimmen. Eine schwierige Kunst. In Japan gibt es eine Schule, wo man das Sexen lernen kann. Der beste Sexer schafft es, in einer Stunde das Geschlecht von 1682 Küken zu bestimmen. Laien sind kaum in der Lage, ein weibliches von einem männlichen zu unterscheiden. Die professionellen Sexer reisen von Land zu Land, um in den Aufzuchtstätten die Hennen von den Hähnen abzusondern. Eine andere Möglichkeit ist, die Tiere farblich so zu züchten, dass die Männchen anders gefärbt sind als die Weibchen. Dann sieht man aufgrund des Gefieders, welche Tiere man töten muss.

Die Legehähnchen werden in der Schweiz vergast. Man wirft sie in einen mit CO2 gefüllten Bottich. Das CO2 betäubt die Küken, danach ersticken sie. In anderen Ländern wirft man die Küken in den Schredder, sagt Esther Zeltner. Das klingt hässlich. Es könne aber humaner sein als das Gas, gibt Zeltner zu bedenken: «Wenn schon viele Küken im CO2-Bottich liegen, sieht man manchmal, dass die obersten nach Luft schnappen, weil zu wenig Gas drin ist und sie nicht sofort betäubt werden, weshalb sie langsam ersticken.»

Pro Jahr werden in der Schweiz zwei Millionen Küken vergast. Denn als Masthähnchen taugen sie nicht, da sie zu wenig Fleisch ansetzen und zu langsam wachsen. Die Labelorganisation Kagfreiland versuchte zusammen mit dem FiBL und dem Bundesamt für Veterinärwesen ein «Zweinutzungshuhn» zu entwickeln: Die Hennen sollten Eier legen, die Männchen wollte man mästen. Doch der Versuch scheiterte. Die Hühner hätten mindesten 260 Eier legen sollen, die Kombihühner schafften nur 240. Das reichte nicht. Ein Biobauer erhält für ein direkt vermarktetes Ei 65 Rappen. Hat er eine Herde von 2000 Hennen, müsste er mit Zweinutzungshühnern einen jährlichen Minderverdienst von 26 000 Franken in Kauf nehmen. Das Projektteam erkannte, dass die Grundlage nicht reiche, um eigene Zuchten im grossen Stil voranzutreiben. Grosszüchter wie Lohmann müssten sich des Zweinutzungshuhns annehmen, doch sind sie bislang nicht daran interessiert.

Künstliche Mauser

Eine Legehenne lebt knapp eineinhalb Jahre - auch Biohennen. Danach landen sie als «Brennstoff im Zementwerk oder als Suppenhuhn im Kochtopf», schreibt Kagfreiland. Man schlachtet sie, bevor sie in die Mauser fallen, wie das im Fachjargon heisst. Alle erwachsenen Vögel mausern sich einmal im Jahr. Ihr Gefieder erneuert sich, und sie hören auf, Eier zu legen, weil sich ihr Legeapparat regeneriert. Die Mauser dauert einige Wochen.

Esther Zeltner hat ein spezielles Programm entwickelt, um die Hühner künstlich, also kontrolliert und gleichzeitig, in die Mauser fallen zu lassen. Sie gab ihnen nur noch wenig zu fressen und verkürzte die Tage künstlich, indem sie den Stall abdunkelte. Die Vögel wurden apathisch und wirkten krank - typische Mausersymptome. Nach zwei, drei Wochen waren sie wieder fit und begannen wieder zu legen.

Im Biolandbau ist die künstliche Mauser verboten, weil es die Tiere angeblich zu stark belastet. «Ist nur ein Tier in Mauser, kann es von den anderen geplagt werden», sagt Zeltner, «das verursacht Stress. Fallen jedoch alle miteinander in die Mauser, weil sie künstlich ausgelöst wird, ist die Belastung geringer. Alle Tiere sind apathisch, alle sind in derselben körperlichen Verfassung und alle sind mit sich selbst beschäftigt.» Die Bioorganisationen setzten sich deshalb dafür ein, dass die künstliche Mauser zugelassen wird. Das Bundesamt für Landwirtschaft hat inzwischen entschieden: Die künstliche Mauser ist auf Ökobetrieben ab Januar zugelassen. Die Hühner können länger leben und Eier legen - und man muss weniger Hennen entsorgen und weniger Küken vergasen. Sofern die Biobauern das wollen.


Eier und Poulets

• In der Schweiz gab es 2004 fast acht Millionen Hühner, davon rund zwei Millionen Legehennen und fünf Millionen Mastpoulets, der Rest waren Zuchthähne und -hennen sowie Jungtiere.

• Jährlich werden hierzulande 1,3 Milliarden Eier verbraucht, davon 47 Prozent aus inländischer Produktion.

• Pro Kopf werden 9,97 Kilo Geflügel, 10,23 Kilo Rind und 24,8 Kilo Schweinefleisch gegessen.

• Die USA sind weltweit die grössten Hühnerfleischproduzenten (15,5 Millionen Tonnen), vor China (9,5) und Brasilien (8,7 Millionen Tonnen).