Bolivien: Aus geplündert!

Nr. 18 –

Die angekündigte Verstaatlichung der Öl- und Gasbetriebe geniesst in der Bevölkerung breite Unterstützung. Vom Ausland dagegen sind warnende Worte zu hören.

Am ersten Mai erfüllte der bolivianische Präsident Evo Morales sein wichtigstes Wahlversprechen. Überraschend landete an diesem Tag der indigene Staatschef samt Kabinett auf einer Erdgasförderanlage in der Tieflandprovinz Tarija. Um 12 Uhr 33 Ortszeit gab er bekannt: Der Staatsbetrieb Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos (YPFB) übernimmt die Regie über die gesamte Produktionslinie von Erdöl und Erdgas. «Der Staat erlangt den Besitz und die volle Kontrolle dieser Ressourcen zurück», sagte Morales, «es ist vorbei mit der Ausplünderung durch die Multis.» Dann wies er die Armee an, sämtliche 56 Förderanlagen des Landes zu besetzen.

Die im Energiesektor tätigen ausländischen Firmen werden nicht enteignet, doch innerhalb der kommenden sechs Monate müssen sie neue Verträge mit der Regierung aushandeln. YPFB wird bei allen Unternehmen Mehrheitsaktionär und setzt Produktionsmengen sowie die Preise für das In- und Ausland fest. Ausserdem übernimmt das Staatsunternehmen ab sofort die Weiterverarbeitung und den Vertrieb von Erdgas und Öl.

Druck aus Brasilien

Firmen, die nach dem Ablauf der 180-Tage-Frist die Regierungsvorgaben nicht akzeptieren, müssen das Land verlassen. Bis zur Unterzeichnung neuer Verträge müssten die Unternehmen weiterhin fünfzig Prozent ihrer Einnahmen an den Staat abführen - bis Mitte 2005 waren es noch achtzehn Prozent. Im Fall der zwei grössten Erdgasfelder, an denen der brasilianische Staatskonzern Petrobras bedeutende Anteile hält, beträgt dieser Prozentsatz jedoch neu sogar 82 Prozent.

Entsprechend verschnupft waren die Reaktionen in Brasilien, das zudem der wichtigste Abnehmer für bolivianisches Erdgas ist. Energieminister Silas Rondeau bezeichnete die Nationalisierung als «unfreundlichen Akt». Bei einer so tiefen Gewinnbeteiligung würden sich neue Investitionen nicht mehr lohnen, sagte Petrobras-Chef José Sergio Gabrielli. Präsident Luiz Inácio «Lula» da Silva, einer der wichtigsten Verbündeten von Morales, liess die Verstaatlichung zwar diplomatisch zum «Akt der Souveränität» erklären, machte jedoch gleichzeitig deutlich, dass man die Interessen von Petrobras mit Verhandlungen zu wahren gedenke. Für den Donnerstag hat Lula kurzfristig ein Treffen mit Evo Morales veranlasst, bei dem auch die Amtskollegen Hugo Chávez aus Venezuela und Néstor Kirchner aus Argentinien dazustossen sollen.

Vorbild Chávez

Die bolivianische Regierung orientiert sich am selbstbewussten Umgang von Hugo Chávez mit den Erdölmultis. Erst Ende März hatte dieser einen neuen juristischen Rahmen für die Erdölförderung durchgesetzt: Siebzehn ausländische Firmen willigten ein, zusammen mit dem Staatsbetrieb Petróleos de Venezuela (PDVSA) «gemischte Unternehmen» zu bilden. Dadurch kann der Staat künftig mindestens die Hälfte der Bruttoeinkommen einstreichen, was ihm zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe bringt. Schon jetzt finanziert Chávez mit dem Geldregen der Petrodollars umfangreiche Sozialprogramme und seine Diplomatie auf dem Subkontinent.

Doch kann Bolivien da mithalten? Im Vergleich zu Petrobras oder der venezolanischen PDVSA ist die bolivianische YPFB ein Zwerg. Ausserdem gilt das Unternehmen als korrupt und ineffizient. Die YPFB ist aus den 1937 beziehungsweise 1969 verstaatlichten Tochtergesellschaften der US-Konzerne Standard Oil und Gulf entstanden. Ab Mitte der Neunzigerjahre wurde der Betrieb finanziell und personell ausgeblutet. Von der Nationalisierung erhofft sich Morales statt bislang 460 Millionen Dollar jährlicher Einnahmen im kommenden Jahr 780 Millionen.

Ob sich Morales durchsetzen kann, ist noch offen, zumal auch Europa sofort die Interessen seiner Energiekonzerne verteidigt hat: «Wir haben das Verstaatlichungsdekret mit Sorge zur Kenntnis genommen», sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Die spanische Regierung hofft auf einen «echten» Verhandlungs- und Dialogprozess.

Innenpolitisch präsentiert sich die Lage anders. Der Streit über eine gerechte Verteilung der Ressourcen war der Treibstoff für die Volksbewegung, die im Oktober 2003 und im Juni 2005 zwei Präsidenten stürzte und Morales im Dezember zu seinem glänzenden Wahlsieg verhalf. Am Montagabend wurde erst einmal gefeiert: «Willkommen jene ausländischen Firmen, die sich der Verfassung und den Gesetzen unterordnen», rief Evo Morales vom Balkon des Präsidentenpalastes in La Paz vor zehntausenden begeisterten AnhängerInnen - und setzte noch eins drauf: «Wir fangen mit dem Erdgas an, morgen oder übermorgen werden es die Bergbau- und dann die Forstindustrie sein und irgendwann alle natürlichen Ressourcen, für die unsere Vorfahren gekämpft haben.»