AHV und Nationalbank: Lexikon des Überschusses

Nr. 22 –

Die Kosa-Initiative will einen Teil der Nationalbankgewinne an die AHV abführen. Der Finanzplatz ist dagegen. Eine Einführung.

AHV: Der langjährige SP-Präsident Helmut Hubacher zitierte kürzlich seinen Grossvater, einen Fabrikarbeiter aus der Stadt Bern. Dieser habe die erste AHV-Rentenzahlung 1948 mit einem Bewusstsein für den historischen Moment als grösste sozialpolitische Errungenschaft seiner Generation kommentiert. Damals wurden bescheidene 40 Franken ausbezahlt - heute beträgt die niedrigste Rente 1075 Franken und die höchste 2150 Franken. Die AHV ist das grösste Sozialwerk der Schweiz. Artikel 112 der Bundesverfassung hält fest, dass die Renten den Existenzbedarf angemessen zu decken haben und der Preisentwicklung angepasst werden müssen. Bundesrat Pascal > Couchepin stellt mit der 11. AHV-Revision diese Grundsätze in Frage.

Bankiervereinigung: Bei Annahme der > Kosa-Initiative befürchtet die Bankiervereinigung schweren Schaden für den Finanzplatz Schweiz und den Franken. Sie bezweifelt, dass die > Nationalbankgewinne die AHV langfristig sichern können. Letzteres behaupten nicht einmal die BefürworterInnen der Initiative. Sie wollen mit der Zweckbindung von Teilen der Nationalbankgewinne unter anderem verhindern, dass diese vom Bund für > Steuergeschenke verwendet werden.

Couchepin, Pascal: Der Innenminister will die AHV durch Rentenkürzungen und Verzicht auf den Teuerungsausgleich finanziell ins Lot bringen. Zusätzliche Einnahmen sind - mit Ausnahme der Erhöhung der > Mehrwertsteuer - nicht vorgesehen. Mit der «Methode Couchepin» ist absehbar, dass die AHV langfristig nicht einmal die bescheidensten Ansprüche decken kann. Dies würde auf eine weitgehende > Privatisierung der Altersvorsorge hinauslaufen.

Franken: Die Geldpolitik und die Stabilität des Frankens sind die zentralen Aufgaben der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Sie muss vor allem inflationäre Entwicklungen bekämpfen. Sie tut dies, indem sie die Geldmenge und die Zinsen steuert. Der Finanzplatz befürchtet, dass die Nationalbank bei Annahme der > Kosa-Initiative in einen Zielkonflikt zwischen einem stabilen Franken und der Sicherung der AHV geraten würde. Die Kosa-InitiantInnen sehen diese Gefahr nicht und betonen die Unabhängigkeit der Nationalbank. Sie wollen nicht das tägliche Geschäft beeinflussen, sondern nur den Verteilschlüssel der auszuschüttenden Gewinne ändern.

Gold: Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war der Franken durch die Goldbestände der Nationalbank gedeckt. Nach Ende des in der Nachkriegszeit gültigen, auf festen Wechselkursen beruhenden Bretton-Woods-Systems wurde die Golddeckung aufgehoben. Die SNB trennte sich deshalb in den letzen Jahren von 1300 Tonnen Gold, was zu ausserordentlichen Erträgen von 21,1 Milliarden Franken führte. Diese wurden zwischen den > Kantonen und dem Bund im Verhältnis zwei zu eins geteilt.

Goldinitiative: Mit der Goldinitiative wollte die SVP 2002 den Bundesanteil der überschüssigen Goldreserven in die AHV umleiten. Das eigentliche Ziel der SVP war es aber, die ungeliebte > Solidaritätsstiftung zu bodigen. Die Initiative fiel bei der Stimmbevölkerung knapp durch. Der Bundesanteil aus dem Goldverkauf ist seither auf dem Konto des AHV-Fonds zwischengelagert und soll zur Sanierung der Invalidenversicherung benutzt werden, falls die > Kosa-Initiative abgelehnt wird.

Goldraub: Nationalrat Rudolf > Rechsteiner bezeichnete die eilige Verteilung des überschüssigen Nationalbankgoldes im Frühsommer 2005 als den grössten Goldraub aller Zeiten - und Finanzminister Hans-Rudolf > Merz dementsprechend als den grössten Goldräuber. Das Gold hätte nicht so übereilt verteilt werden dürfen. In dieser Auffassung wird er inhaltlich gestützt durch ein Gutachten von Rechtsprofessor Philippe Mastronardi und durch die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates.

Interessenkonflikt: Die GegnerInnen der Kosa-Initiative behaupten, es entstünde ein Interessenkonflikt zwischen der Geldpolitik der Nationalbank und der politischen Erwartung, die AHV zu finanzieren, falls die Initiative angenommen würde. Die > Bankiervereinigung schreibt, die Unabhängigkeit der SNB und die Preisstabilität seien gefährdet. Es drohe die Ausdehnung von Geldmenge, der Abbau von Währungsreserven und die Bereitschaft, höhere Risiken einzugehen. SchwarzmalerInnen argumentieren so, denn der Entscheidungsspielraum der SNB wird kaum durch eine Bestimmung über die allfällige Verteilung von Gewinnen geschmälert. Die bürgerlich dominierten Leitungsorgane der Bank werden sich zu wehren wissen.

Kantone: Die Kantone sind Miteigentümer der > Nationalbank. Jahrzehntelang hat ihnen die Bank nur minimale Gewinne zukommen lassen. Den Rest stellte sie als Reserve zurück. In den letzten zehn Jahren stiegen dann aber die Ausschüttungen. Heute haben die Kantone Angst davor, dass die Kosa-Initiative ihre Einnahmen schmälert. Tatsache ist allerdings, dass die Initiative eine Milliarde Franken des Gewinnes für die Kantone reserviert. Nur der Rest soll an die AHV überwiesen werden. Die InitiantInnen rechnen mit jährlichen Beträgen von 1 bis 1,5 Milliarden Franken.

Kosa: Das «Komitee für eine sichere AHV» wurde 2001 gegründet und deponierte 2002 die Initiative «Nationalbankgewinne für die AHV». Neben SP und Grünen unterstützten die Initiative auch einzelne PolitikerInnen der CVP und der EVP. Zu den Gründungsmitgliedern des Komitees gehörten unter anderem alt Bundesrat Hans Peter > Tschudi und Helmut Hubacher. Das Komitee entstand als Antwort auf verschiedene > Weissbücher und Vorstösse bürgerlicher Politiker, die die Privatisierung der AHV verlangten. Am 24. September wird über die Initiative abgestimmt.

Mehrwertsteuer (MwSt.): Um die demografisch bedingten Finanzierungslücken zu stopfen, braucht es mittelfristig mehr Geld. Die Stimmbevölkerung genehmigte 1993 ein zusätzliches MwSt.-Prozent. Weitere MwSt.-Prozente werden in den nächsten Jahrzehnten fällig. Wird die Kosa-Initiative angenommen, müssen diese erst zu einem späteren Zeitpunkt beansprucht werden.

Merz, Hans-Rudolf: Der FDP-Bundesrat ist ein Mann des Finanzplatzes und der Versicherungslobby. Er hat kein Interesse daran, die AHV zu stärken - aber jedes Interesse, die Altersvorsorge in private Kanäle umzuleiten. Solidarität ist ihm scheinbar ein Fremdwort, sonst wäre ihm nie der Satz über die Lippen gekommen, dass die Reichen die AHV nicht brauchen - er hätte sonst hinzugefügt, dass umgekehrt die AHV die Reichen sehr wohl braucht, wie das Beispiel Daniel > Vasella zeigt.

Nationalbank: Die SNB nahm 1907 als Gemeinschaftswerk von Bund und Kantonen ihren Betrieb auf. Zuvor war ein Vorläuferprojekt mit einer zentralen Bundesbank von der Bevölkerung verworfen worden. Zudem beteiligten sich auch Private an der SN, die sich allerdings mit beschränkten Dividenden begnügen müssen. Die Nationalbank hat grosse Währungs- und Goldreserven angehäuft, um den Franken zu stützen und in Krisensituationen agieren zu können. Sie würde auch im Falle eines Crashs einer grossen Schweizer Bank mit Geld einspringen, um die AnlegerInnen zu beruhigen. Diese besondere Art der Versicherung ist für die Akteure des Finanzplatzes kostenlos. 2005 betrug der > Nationalbankgewinn rund zwölf Milliarden Franken - ein absoluter Rekord.

Nationalbankgewinne: Über die Gewinne gehen die Meinungen der Parteien auseinander. Die GegnerInnen der Initiative gehen von einem Vermögen von 85 Milliarden Franken aus und von schrumpfenden Gewinnen. Mittelfristig könne man nach obligatorischen Rückstellungen noch mit knapp einer Milliarde Franken rechnen. Da zuerst die Kantone zu befriedigen seien - wie es auch die Kosa-Initiative vorsieht - würde also nichts in die AHV fliessen. Die InitiantInnen gehen hingegen von einem Vermögen von 106 Milliarden Franken aus. Wie in den Jahren 1988 bis 2005 lasse sich damit ein durchschnittlicher Gewinn von 3,3 Milliarden Franken erzielen. Sie begründen dies mit Erträgen auf zusätzliche Notenemissionen und einer attraktiven Anlagepolitik, die sich in Mehrerträgen niederschlägt.

Privatisierung: Auch die Altersvorsorge soll verstärkt auf privater Basis organisiert werden. Das forderten bereits die Autoren des > Weissbuches «Mut zum Aufbruch» von 1995. Damals kam das gar nicht gut an - doch steter Tropfen höhlt den Stein. Auch wenn die Rentenklaudebatte von 2003 zeigte, dass Banken und Versicherungen keine Garanten für stabile Renten sind.

Prognosen: Die AHV wird immer wieder an den Rand des Abgrundes geredet. Die Prognosen haben sich aber nie bestätigt. Die demografische Entwicklung ist absehbar und durch zusätzliche > Mehrwertsteuerprozente finanziert. Bis 2035 wird die Zahl der Erwerbstätigen pro RentnerIn auf 2,3 sinken. Anschliessend stabilisiert sich diese Zahl, sagt das Departement des Innern. Es klammert allerdings die Tatsache aus, dass eine verstärkte Migration das Verhältnis zugunsten der Verdienenden bereits früher verbessern könnte. Wichtig für die Lage der AHV ist auch die Wirtschaftsentwicklung, denn die Beiträge sind direkt an die Löhne gekoppelt. In den letzten dreissig Jahren stieg die Zahl der RentnerInnen von etwa 960 000 auf knapp 1,7 Millionen - und nur zweimal mussten die Beiträge an die AHV erhöht werden. 2005 machte die AHV einen Überschuss von 2,4 Milliarden Franken.

Rechsteiner, Rudolf: Der Basler SP-Nationalrat ist die treibende Kraft hinter der Kosa-Initiative. Er kennt die Zahlen.

Stampfli, Walther: Der freisinnige Bundesrat war einer der Väter der AHV. Er setzte die 1925 als Verfassungsauftrag verankerte obligatorische AHV 1948 um. Dieses Erbe scheint der FDP inzwischen egal zu sein.

Solidaritätsstiftung: Bundespräsident Arnold Koller versprach 1997 überraschend, mit dem Bundesanteil des überschüssigen Nationalbankgoldes eine Stiftung zur Finanzierung von gemeinnützigen Projekten zu gründen. Dies, um die Schweiz vom Ruch zu befreien, sich schamlos aus den nachrichtenlosen Vermögen der Opfer des Naziregimes bereichert zu haben. Kollers Idee wurde im politischen Alltag zugrunde gerichtet. Die > SVP bezeichnete die Stiftung als Resultat einer «Erpressung». 2002 verwarf die Mehrheit der Stimmbevölkerung den Stiftungsvorschlag an der Urne.

SVP: In der Partei haben die VertreterInnen des Finanzplatzes Oberwasser bekommen. Mit einer Unterstützung der Kosa-Initiative ist nicht mehr zu rechnen. Ihre > Goldinitiative von 2002 entpuppt sich im Nachhinein als reines Störmanöver gegen die Solidaritätsstiftung.

Steuersenkungen, Steuergeschenke: Einerseits haben die Kantone - vor allem die kleinen - den Goldsegen von 14 Milliarden Franken genutzt, um Schulden zu bezahlen und Steuern zu senken. Andererseits möchte der Bund seinen Anteil am SNB-Gewinn dazu verwenden, um weitere Steuerentlastungen für Gutverdienende (Unternehmenssteuerreform, Abschaffung der «Heiratsstrafe») zu finanzieren.

Tschudi, Hans Peter: Er war SP-Bundesrat in den Wirtschaftswunderjahren der sechziger und frühen siebziger Jahre. In seiner Amtszeit wurden die AHV-Renten sukzessive angehoben und die Ergänzungsleistungen eingeführt. Bis zu seinem Tod im Jahre 2002 war er Ehrenpräsident der > Kosa-Initiative.

Ungern-Sternberg, Thomas von: Der Lausanner Ökonom machte 2002 auf die grossen Rückstellungen der Nationalbank aufmerksam - und verlangte ihren Abbau.

Umlageverfahren: Beim Umlageverfahren der AHV fliessen die Beiträge in einen grossen Topf und werden entsprechend den politischen Vorgaben an die Berechtigten ausbezahlt. Beim Kapitaldeckungsverfahren erhalten RentnerInnen nur Leistungen ausbezahlt, die sie zuvor angespart haben.

Vasella, Daniel: Die Höhe des Lohnes des Novartis-Bosses - etwa 20 Millionen Franken - ist kaum zu rechtfertigen. Gut daran ist nur, dass sein Lohn voll AHV-pflichtig ist - und schätzungsweise hundert AHV-Renten finanziert.

Villiger, Kaspar: Der ehemalige FDP-Finanzminister bläute im Anschluss an eine Kommissionssitzung des Ständerats den anwesenden bürgerlichen ParlamentarierInnen ein, dass die > Kosa-Initiative gefährlich sei. Er bereitete dann die schnelle Verteilung der überschüssigen Goldmilliarden vor.

Weissbuch: 1995 schlugen die Autoren des Weissbuchs «Mut zum Aufbruch» Alarm: «Wenn eine unerträgliche, volkswirtschaftlich ruinöse Belastung der Arbeit mit Sozialabgaben vermieden werden soll, ist eine weitgehende Abkehr vom > Umlageverfahren dringend geboten.» Sie propagierten Konzentration der staatlichen Vorsorge auf die Bedürftigen und eine umfassende Vorsorgepflicht auf der Basis der Wahlfreiheit.

Zürich: In der Stadt Zürich wird inzwischen rund ein Viertel aller Steuern von Banken und Versicherungen bezahlt.