Der Doppelmord von Wohlen AG. Teil 1: Der Clown, zwei Brüder und das Medium

Nr. 29 –

Seit fast vier Jahren sitzt der aidskranke Romano Breitschmid in Untersuchungshaft, angeklagt, seinen Artistenpartner und dessen Bruder zur Ermordung seiner Adoptiveltern angestiftet zu haben. Am 9. Januar wird in Bremgarten der Prozess beginnen. Medien, Hellseherinnen und Pendler sagen, Romano Breitschmid ist unschuldig.

Am Abend des 11. Februars 1991 gegen halb elf Uhr werden der Industrielle Peter und seine Frau Ursula Breitschmid-Bretscher, ein angesehenes Wohlener Ehepaar, in ihrem Haus von ihrem leiblichen Sohn Christian und dessen Freund Sandro F. tot aufgefunden. Christian Breitschmid alarmiert sofort die Ambulanz und die Polizei, während sein Freund an der Hintertüre des Hauses wartet.

Das Ehepaar Breitschmid ist mit je zwei Kopfschüssen getötet worden. Es gibt keinerlei Hinweise auf einen Kampf oder auf einen Raubmord. Am Tatort findet die Polizei weder die Tatwaffe noch Fingerabdrücke. Die einzigen Spuren, welche die Täterschaft hinterlassen hat, sind eine Patrone und eine Patronenhülse des Kalibers .22 long rifle. Und obwohl in dieser Nacht Schnee liegt auf dem Wohlener «Millionenhügel», werden von der Polizei auch keine Fussstapfen festgestellt - obschon Sandro F. im Schnee frische Fussspuren gesehen haben will und dies drei Tage später der Polizei gegenüber auch erwähnt. Doch im hundertseitigen Schlussbericht über die polizeilichen Ermittlungen ist dazu lediglich festgehalten: Es «konnte im nachhinein nicht mehr festgestellt werden, ob diese Spuren im Schnee täterischer Herkunft waren». Sowohl hinsichtlich der Täterschaft als auch in bezug auf das Motiv tappt die Polizei im dunkeln. Einziger Anhaltspunkt sind Aussagen von ZeugInnen, die in der Tatnacht einen hellen oder grauen Renault 5 mit französischen Kennzeichen sowie eine unbekannte Person gesehen haben wollen.

Der zweite Sohn des ermordeten Ehepaars, Romano Breitschmid, kommt am Abend des 15. Februars, einen Tag vor der Beerdigung seiner Adoptiveltern, in Zürich-Kloten an. Romano Breitschmid wurde 1968 als Vierjähriger vom Ehepaar Breitschmid in Pflege genommen und 1973 von ihnen adoptiert. In den Jahren vor dem Doppelmord war er als Artist im Ausland tätig, zur Tatzeit mit einem festen Engagement im spanischen Ferienort Benidorm, vorher in Lloret de Mar. In der Nacht vor der Beerdigung vertraut er seinem Bruder, einer Freundin der Familie und seinem Freund René B., einem bekannten Aargauer Discjockey, an, er fühle sich mitschuldig am Tod seiner Eltern: Er habe unter Druck seines Artistenpartners Giorgio Sbardella mit diesem geplant, seine Eltern umbringen zu lassen, die Tat dann aber zu verhindern versucht. Eine der Anwesenden berichtet der Polizei von der Unterredung. Direkt nach der Beerdigung am nächsten Tag wird Breitschmid verhaftet.

Romano Breitschmid: «Ich weiss nicht, wer ‘Dick Fulmine’ ist»

Ein untersetzter älterer Herr im Frack betritt die Bühne. Er nimmt am Klavier Platz, beginnt zu spielen. Mit schmalziger Belcantostimme singt er italienische Tenorarien, Gassenhauer. Plötzlich betritt ein Kellner die Bühne, stört den Vortrag. Ein junger, drahtig-schlanker Mann. Ein Disput entspinnt sich. Der befrackte Herr will seinen Vortrag fortsetzen, während der Kellner beginnt, artistische Kunststücke und clowneske Nummern darzubieten. Für kurze Zeit ein, zwei ungeheuer dichte, poetische Momente. Der vom Publikum besser beachtete Rest ist artistisch-musikalischer Klamauk, Handstand, Radschlagen, Saltos über und auf das Klavier. - Eine Videoaufzeichnung der damaligen Show von Giorgio Sbardella und Romano Breitschmid. Breitschmid lernte Sbardella 1987 in Deutschland kennen. Dieser suchte gerade einen neuen Partner für seine Show. Seither traten die beiden gemeinsam an verschiedenen Orten Europas auf.

Breitschmid war zu dieser Zeit alkoholabhängig, erst in der Untersuchungshaft wurde er, notgedrungen, trocken. Mit seinem Partner verband Breitschmid, der mit Anfang Zwanzig seine homosexuellen Neigungen entdeckte, nicht nur die gemeinsame Show, sondern auch eine Liebesbeziehung. Dazwischen hatte Breitschmid jedoch auch immer wieder Frauenbeziehungen. Laut Breitschmids Aussagen bei den polizeilichen Einvernahmen sei er in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Giorgio Sbardella gestanden, der auch die finanzielle Seite ihrer Auftritte geregelt und ihm dabei immer wieder zu wenig Lohn ausbezahlt habe. Jedenfalls hatte Breitschmid Mühe, sich finanziell über Wasser zu halten, und ging daher des öftern seine Eltern um finanzielle Unterstützung an. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung hatte er allerdings mit Ausnahme der Forderung eines Bekannten aus Deutschland von 900 Franken keine Schulden.

Im Sommer 1988 besuchte Christian Breitschmid das Artistenpaar in Mallorca. Dort liess er die Bemerkung fallen, das Vermögen des Vaters belaufe sich auf mehrere Millionen Franken. Ende 1988 bemerkte Romano Breitschmid gegenüber Sbardella während eines Engagements in Monte Carlo im Suff mehrmals, er wolle seinen Vater umbringen oder ihn umbringen lassen, falls er jemanden finde. Dann könne er eine Erbschaft von zwei Millionen Franken antreten. Auf diese Bemerkung hin habe Sbardella ihm einige Zeit später mitgeteilt, er habe einen Mafiakiller, dem er den Decknamen «Dick Fulmine» gab, gefunden, der bereit sei, seinen Vater umzubringen. Die Tat sei geplant worden, doch habe er vor dem vereinbarten Termin Gewissensbisse bekommen und den Plan abgeblasen.

Aufgrund von Romano Breitschmids belastenden Aussagen wird sein Partner Giorgio Sbardella noch im Februar 1991 in Spanien verhaftet. Doch bis zu seinem Eintreffen in der Schweiz kommt die Untersuchung nicht weiter. Den Ermittlungsbehörden liegt zwar ein Geständnis vor, doch sie haben keinen Täter und auch keine Spur zu ihm, da Breitschmid nicht weiss, wer «Dick Fulmine» ist und ob dieser tatsächlich seine Eltern umgebracht hat.

Giorgio Sbardella: «Der Mörder ist mein Bruder»

Im Sommer 1992 wird Giorgio Sbardella von den spanischen Behörden an die Schweiz ausgeliefert. Nach einem Monat Untersuchungshaft gesteht er, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Er habe als Vermittler zwischen Breitschmid und «Dick Fulmine» gedient. Damit erhält die Polizei einen ersten Hinweis auf den möglichen Täter: Giorgio Sbardella bezichtigt seinen Bruder Riccardo, das Ehepaar Breitschmid ermordet zu haben. «Dick Fulmine», eine Figur aus einer italienischen Comicserie, sei niemand anderes als Riccardo Sbardella.

Ende 1988, Anfang 1989 erholte sich Giorgio Sbardella bei seiner Schwester in Almunecar von einem Herzanfall. Während dieses Erholungsurlaubes sei er, Giorgio, mehrmals von seinem Bruder Riccardo Sbardella besucht worden. Dabei habe er ihm von Breitschmids Äusserungen in Monte Carlo erzählt. Sein Bruder sei darauf sofort angesprungen und habe sich bereit erklärt, Peter Breitschmid umzubringen, wenn er dafür gut bezahlt werde.

Im Dezember 1989 nahm Giorgio Sbardella seine Arbeit wieder auf. Die beiden Artisten trafen sich nach zehnmonatigem Unterbruch, während dem sie keinen Kontakt miteinander hatten, wieder. Breitschmid soll damals Sbardella, so dessen Aussagen, wieder auf die Tötung seines Vaters angesprochen und seinem Partner eine Beteiligung an seiner erhofften Erbschaft in Aussicht gestellt haben, wenn er ihm dabei helfe. Von den Kontakten Giorgios mit dessen Bruder Riccardo Sbardella und von dessen Angebot wusste Breitschmid gemäss seinen mit Giorgio Sbardella übereinstimmenden Aussagen nichts.

Am 13. Mai 1990 schlossen Giorgio Sbardella und Romano Breitschmid, nachdem Sbardella von Breitschmids positivem HIV-Befund erfahren hatte, einen testamentarischen Vertrag ab, in dem sie vereinbarten, dass Sbardella die Hälfte von Breitschmids Vermögen zufalle und im Todesfall das ganze. Laut Breitschmid sei dieser Vertrag auf Drängen Sbardellas zustande gekommen. Dieser bestreitet, dass der Erbvertrag mit der geplanten Ermordung Peter Breitschmids in Verbindung gestanden habe. Vielmehr habe er damit seinen Ausstieg aus dem Berufsleben vorbereiten wollen. Laut Aussagen Breitschmids habe ihm sein Partner immer wieder Hoffnungen auf eine grosse Karriere, beispielsweise in Las Vegas, gemacht, wenn nur das nötige Geld da sei. Im Frühjahr 1990 will Giorgio Sbardella von seinem Bruder in Lloret de Mar in Spanien wieder auf die geplante Ermordung Peter Breitschmids angesprochen worden sein. Riccardo Sbardella habe gesagt, er sei für 200000 Franken bereit, den Mord zu begehen. Giorgio Sbardella soll später mit Breitschmid gesprochen und ihm mitgeteilt haben, «Dick Fulmine» sei bereit, seinen Vater umzubringen. Breitschmid habe sich einverstanden erklärt und zugesichert, der Killer erhalte das Geld nach der Tat.

Bei einem weiteren Treffen mit seinem Bruder soll dieser von Giorgio Sbardella ein Foto des Opfers Peter Breitschmid, die genaue Adresse des Hauses Breitschmid sowie eine exakte Planskizze des Hauses gefordert haben, um die Tat ausführen zu können. Romano Breitschmid überreichte Giorgio Sbardella das Gewünschte, wobei es sich bei der Skizze nur um einen groben Lageplan des Hauses handeln soll. Der Plan liegt als eines der wenigen Beweisstücke bei den Akten. Breitschmid macht geltend, er habe die Unterlagen seinem Partner nur auf Drängen und auf massive Drohungen ausgehändigt.

Zwischen Herbst 1989 und Ende 1990 soll Giorgio Sbardella von Romano Breitschmid mehrmals Vorauszahlungen für «Dick Fulmine» eingefordert haben, so Breitschmids Aussage. Er habe zuerst nicht zahlen wollen, doch Sbardella habe ihm mit seinen Verbindungen zur Mafia gedroht. So habe er im Sommer 1990 über einen Aargauer Freund seinen Ford Escort für 2000 Franken verkaufen müssen, um überhaupt bezahlen zu können. Giorgio Sbardella bestreitet, von Breitschmid je Geld gefordert oder erhalten zu haben. Er habe auch seinem Bruder nie eine Vorauszahlung für dessen angebotene Killerdienste geleistet.

Im Sommer 1990 soll Giorgio Sbardella von seinem Bruder einen Anruf aus Zürich erhalten haben: Er sei in Wohlen gewesen. Im Haus Breitschmid hätten sich aber zu viele Leute aufgehalten, so dass er unverrichteter Dinge wieder habe abziehen müssen. Er wolle es Ende Jahr nochmals versuchen. Im Oktober soll dann das Mordkomplott ausgeweitet worden sein. Nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter, die Grossmutter und der Bruder Romano Breitschmids sollten umgebracht werden, damit dieser in den Genuss des ganzen Erbes komme. Laut Romano Breitschmid sei diese Idee von seinem Partner gekommen, während dieser Breitschmid beschuldigt, den Mordplan ausgeweitet zu haben. Als Mordtermin wurde Heiligabend bestimmt, an dem sich die Familie im Haus von Peter und Ursula Breitschmid zu versammeln pflegte. Riccardo Sbardella soll sich über eine Ausweitung des Mordplanes zuerst nicht begeistert gezeigt haben. Laut Giorgio Sbardella habe Breitschmid daraufhin den Killerlohn auf 400000 Franken erhöht, worauf Riccardo Sbardella zusagte.

Beatrix S.: «Ich hielt es für einen schlechten Witz»

Am 17. November 1990 verlobte sich Romano Breitschmid mit der jungen Deutschen Beatrix S., die er im August in Lloret de Mar kennengelernt hatte, nicht zuletzt wohl in der Hoffnung, sich aus der Abhängigkeit von Sbardella zu lösen. Als ihn seine Verlobte Ende November/Anfang Dezember in Spanien besuchte, vertraute er sich ihr an und erzählte ihr von den Mordplänen. Sie habe das ganze zuerst für einen schlechten Witz gehalten, gab sie zu Protokoll. Sie habe ihrem Verlobten zu verstehen gegeben, dass sie mit der ganzen Sache nichts zu tun haben wolle, und mit ihrer Abreise aus Spanien gedroht. Er habe ihr darauf versichert, den Plan fallenzulassen, und ihr vorgeschlagen, seine Eltern in Wohlen zu besuchen. Mitte Dezember reisten Breitschmid und seine Verlobte mit einem Mietwagen in die Schweiz, wo sie bei seinen Eltern eineinhalb Tage zu Besuch blieben.

Zurück in Spanien täuschte Breitschmid Giorgio Sbardella ein Telefongespräch mit seinen Eltern vor, bei dem er vorgab, von seiner Mutter erfahren zu haben, dass die Eltern an Weihnachten ausnahmsweise nicht daheim seien. Er forderte Sbardella auf, dies dem Killer mitzuteilen: Der Plan müsse fallengelassen werden. Später erfuhr Breitschmid, dass die Familie den Heiligabend tatsächlich nicht zu Hause verbringen werde. Er sei daraufhin erleichtert gewesen und habe die Sache als beendet betrachtet, sagt er. Giorgio Sbardella teilte seinem Bruder Riccardo telefonisch mit, dass die Familie Breitschmid zum vorgesehenen Termin nicht daheim sei und der Plan fallengelassen werde. Auch Giorgio Sbardella habe die Sache damit als erledigt betrachtet. Sein Bruder jedoch reagierte auf die Mitteilung verärgert und drohte, ihn und Breitschmid umzubringen, falls die Sache nicht klappen sollte. Er habe schon zuviel an Zeit und Geld in den Plan investiert. Nach diesem Gespräch seien die Sbardella-Brüder nicht mehr in Kontakt getreten.

Nach Giorgio Sbardellas Geständnis wird auch dessen Bruder Riccardo Sbardella alias «Dick Fulmine», gegen den in Brüssel 1983 wegen Waffen- und Mädchenhandel und wegen Erpressung ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden war, ohne dass es zur Anklage kam, im spanischen Almunecar in Haft gesetzt und im Februar 1993 an die Schweiz ausgeliefert.

Romano Breitschmid, der sich während der Untersuchungen kooperativ gezeigt und in der Untersuchungshaft gut geführt hatte, hoffte nun, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Ursprünglich war ihm bereits die Entlassung dreissig Tage nach Giorgio Sbardellas Eintreffen in der Schweiz in Aussicht gestellt worden. Mit dem Wechsel des zuständigen Haftrichters wurde Breitschmids Untersuchungshaft jedoch bis zum Eintreffen der Anklage beim Gericht verlängert. Mehrere Haftentlassungsgesuche wurden abgelehnt, auch vor Bundesgericht. Weder auf die Argumentation, Breitschmid sei aufgrund seiner fortgeschrittenen Aidserkrankung nicht hafterstehungsfähig, stiegen die Behörden ein, noch auf juristische Argumente. Sie sahen den Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben, da Breitschmid eine langjährige Haftstrafe zu erwarten habe. Für ihn und seinen Anwalt eine unhaltbare Argumentation, da sie einerseits von der Unschuld Breitschmids ausgehen, da dieser mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht habe, das Mordkomplott zu stoppen. (Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen war Breitschmid die Identität des «Dick Fulmine» nicht bekannt, so dass er nicht mehr tun konnte, als via Giorgio Sbardella zu versuchen, die Tat zu verhindern.) Andererseits sei auch bei einer allfälligen Verurteilung keine Fluchtgefahr gegeben, da Romano Breitschmid wegen seiner Erkrankung regelmässig kostspieliger Medikamente und ärztlicher Behandlung bedarf, für welche er im Falle einer Flucht nicht selbst aufkommen könne. Breitschmid ist zur Zeit auf der Lenzburg nur zu fünfzig Prozent arbeitsfähig, eine Arbeit als Artist wäre aufgrund seines Gesundheitszustandes unmöglich. Zudem habe Breitschmid in der Schweiz ein einigermassen gesichertes Einkommen aufgrund einer Rente, die ihm nach dem freiwilligen Verzicht auf die Erbschaft seiner Eltern zugestanden wurde: 500 Franken monatlich erhält Breitschmid, solange er in Haft ist, 2000 Franken werden es in Freiheit sein.

«E fatto»

Riccardo Sbardella bestreitet jegliche Beteiligung an der Tat. Die Staatsanwaltschaft sieht jedoch genügend Indizien, um ihn des Mordes anzuklagen: Von Ende Januar bis Mitte Februar 1991 besuchte Riccardo Sbardella zusammen mit seinem Sohn seinen Adoptivsohn im französischen Annecy. Am Morgen des 11.Februars, dem Tag des Doppelmords von Wohlen, mietete er dort einen weissen Renault5 mit französischen Kennzeichen, den er am Nachmittag des nächsten Tages zurückbrachte. Mit dem Mietwagen hatte er 676 Kilometer zurückgelegt. Die Distanz von Annecy auf der Autobahn via Genf nach Wohlen beträgt hin und zurück 638 Kilometer. Sbardella will mit dem Auto einen Freund besucht haben (der angibt, ihn seit 1976 nicht mehr gesehen zu haben) und in der Gegend herumgefahren sein.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1991 erfahren Giorgio Sbardella und Romano Breitschmid vom Tod der Eltern Breitschmid, eine Nachricht, die sie völlig überrascht habe: Sie hätten nicht damit gerechnet, dass der Killer aktiv werde. Am folgenden Abend nimmt Breitschmid einen Anruf für Sbardella entgegen. Laut Giorgio Sbardella war der Anrufende sein Bruder Riccardo, der ihm mitteilte: «E fatto.» (Es ist getan.) Gemäss Breitschmid habe ihn sein Partner anschliessend aufgefordert, sich nun rasch um sein Erbe zu kümmern, damit der Killer bezahlt werden könne.

Die Staatsanwaltschaft fordert für Romano Breitschmid eine Zuchthausstrafe von sechzehn Jahren wegen Anstiftung zu mehrfachem Mord. Giorgio Sbardella ist der Gehilfenschaft angeklagt, für ihn werden vierzehn Jahre Zuchthaus gefordert. Riccardo Sbardella schliesslich soll wegen mehrfach begangenen und mehrfach versuchten Mordes eine lebenslängliche Zuchthausstrafe erhalten.

Die Anklage sieht in allen drei Fällen den Vorsatz gegeben sowie «das Merkmal besonderer Skrupellosigkeit», welches ein Tötungsdelikt als Mord qualifiziert, da «insbesondere der Beweggrund und der Zweck der Tat besonders verwerflich erscheinen, da aus rein finanziellen Motiven gehandelt wurde».

Die drei Anklageschriften und der Schlussbericht der polizeilichen Ermittlungen stützen sich auf Indizien, insbesondere auf die Aussagen Romano Breitschmids und Giorgio Sbardellas sowie verschiedener ZeugInnen. Vor Gericht wird zu klären sein: Stammte die konkrete Idee für das angebliche Mordkomplott von Giorgio Sbardella oder von Romano Breitschmid? Und: Konnte Romano Breitschmid nach dem fingierten Telefongespräch und nachdem ihm auch Giorgio Sbardella zu verstehen gegeben hatte, das «Projekt Wohlen» sei für ihn gestorben, nicht tatsächlich davon ausgehen, der ihm angeblich aufgezwungene Plan sei definitiv aufgegeben worden, womit er unschuldig im Sinne der Anklage wäre?

Priska S.: «Romano Breitschmid ist unschuldig»

Von Romanos Unschuld überzeugt ist Priska S. Die Psychologin besuchte in ihrer Jugend gemeinsam mit Romanos Adoptivvater Peter Breitschmid die Mittelschule in einem Trogener Internat. Ende der achtziger Jahre traf sie ihn gemeinsam mit seiner Ehefrau an einem esoterischen Seminar wieder. Zwischen ihr und Ursula Breitschmid entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.

Priska S. interessiert sich für Parapsychologie. Im Herbst 1993 weilte ein schottisches Medium bei ihr zu Gast. Während des Essens habe er sie auf einen jungen Mann aufmerksam gemacht, der um Hilfe rufe. Seine Mutter sei im Raum, sie bitte, ihrem Sohn zu helfen. Darauf habe das Medium haargenau Ursula Breitschmid beschrieben. Seither kümmert sich Priska S. um Romano Breitschmid. Ihrer Meinung nach waren die Ermittlungen zu einseitig auf Romano Breitschmid und seine angebliche Anstifterrolle konzentriert. Die Berichterstattung in der Presse und die Informationspolitik der Ermittlungsbehörden hätten vielfach die Unschuldsvermutung verletzt: «Wenn die ‘Schweizer Illustrierte’ titelt: ‘Ich bin überzeugt, dass Romano den Mord an unseren Eltern geplant hat’, kommt das einer Vorverurteilung gleich.»

Bei verschiedenen anderen Medien, Hellseherinnen und Pendlern versuchte Priska S., Indizien für Breitschmids Unschuld zu finden. Sie geht davon aus, dass Breitschmid nicht nur im Sinne der Anklage unschuldig sein könnte, sondern dass sogar andere Täterhypothesen möglich seien. Beweise dafür hat sie allerdings keine gefunden. Ein Pendler habe ihr zum Beispiel den Ort, an dem die Tatwaffe in einen Wohlener Bach geworfen worden sei, genannt, doch sei ihre Suche erfolglos gewesen, da einige Tage vorher ein Unwetter in Wohlen getobt habe. Das Hochwasser müsse die Waffe fortgespült haben.

Die Psychologin hat sich auch um Romano Breitschmids Vergangenheit gekümmert - und dabei herausgefunden, dass seine leibliche Mutter eine Jenische ist, der ihre beiden anderen Kinder im Rahmen des Pro-Juventute-Programms «Kinder der Landstrasse» weggenommen wurden und die Romano Breitschmid unter dem Druck der Umstände in ein Kinderheim gab. Romano Breitschmid, ein Artist, ein Bisexueller, ein Aidskranker, ein Jenischer. Der ideale Schuldige?

Lesen Sie mehr über Romano Breitschmid, seine leiblichen und seine Adoptiveltern und die nicht ganz so heile Wohlener Welt in der nächsten Folge der WoZ-Serie «Der Fall Breitschmid»: Ein Clown, drei Eltern, vierzig Geschwister.