Wie die WOZ 1994/1995 über den Mordfall Breitschmid berichtete: Romano und die Sbardella-Brüder
Die publizistische Teilnahme an den grossen Kriminalfällen gehört nicht ins Kerngeschäft der WOZ. Das ist schade. Denn nirgendwo erfährt man so viel Authentisches aus dem Privatbereich einer Gesellschaft wie vor Gericht. So blieb es denn immer beim Wunsch, regelmässig Prozesse zu besuchen und darüber zu schreiben. Mit einigen Fällen hat sich die WOZ allerdings genauer auseinander gesetzt. Etwa mit der Geschichte eines Tunesiers, der wegen eines Mordes in der Drogenszene wahrscheinlich zu Unrecht verurteilt worden ist, und für die WOZ-Autor Fredi Lerch später den Zürcher Journalistenpreis erhalten hat. Oder mit dem Fall Breitschmid.
1991 wurde das Ehepaar Peter und Ursula Breitschmid tot in seinem Haus in Wohlen AG aufgefunden - erschossen. Verdächtig machte sich Adoptivsohn Romano Breitschmid. Der homosexuelle Artist hatte im Bekanntenkreis erzählt, dass er unter dem Druck seines Partners Giorgio Sbardella geplant habe, seine Eltern umbringen zu lassen. Mögliches Motiv: Seine Adoptiveltern waren reich, und Breitschmid wollte erben. Giorgio Sbardella wurde in Spanien verhaftet und gestand nach längerem Verhör, er habe seinen Bruder Riccardo (Deckname Dick Fulmine) auf Romanos Eltern angesetzt. Romano bekam kalte Füsse und versuchte den Plan zu stoppen.
Riccardo Sbardella, der sich mit Mafiakontakten brüstete, bestritt die Tat. Doch die Indizien sprachen gegen ihn. Ein Renault 5, den er genau zu jenen Tagen in Annecy gemietet hatte, wurde in der Tatnacht in Wohlen gesehen - der Kilometerstand des Autos entsprach der Strecke Annecy-Wohlen-Annecy sehr genau. Er wurde wegen Mordes angeklagt, Romano Breitschmid und Giorgio Sbardella mussten sich wegen Anstiftung und Gehilfenschaft verantworten.
Da trat eine Jugendbekanntschaft des Ermordeten auf den Plan und glaubte mit spiritistischen Methoden die Unschuld von Romano Breitschmid nachweisen zu können. Bei ihren Recherchen erfuhr sie auch, dass Romano der Sohn einer Jenischen gewesen sei, der zwei weitere Kinder von der Pro Juventute im Rahmen des Programms «Kinder der Landstrasse» weggenommen worden waren. Die WOZ fragte deshalb: «Romano Breitschmid, ein Artist, ein Bisexueller, ein Aidskranker, ein Jenischer. Der ideale Schuldige?» (WOZ Nr. 51+52/94) Über Herkunft und Jugend von Romano Breitschmid schrieb die WOZ in der zweiten Folge der insgesamt vierteiligen Serie. Demnach waren Breitschmids erste Jahre - abgesehen, dass man ihn seiner Mutter weggenommen hatte - relativ glücklich. Er verbrachte sie in einem Kinderheim in Chur. Die Adoption durch das kinderlose Ehepaar Breitschmid empfand er zuerst als Bedrohung und versteckte sich unter dem Kinderbett. Als das Paar später noch ein eigenes Kind erhielt, fühlte er sich zurückgesetzt. Aus dem engen Milieu des Kantons Aargau brach er aus, als er sich entschied, beim Clown Dimitri in die Schule zu gehen. Später zog es ihn nach Budapest und Paris, er arbeitete als Artist auch in Spanien. Dort lernte er Giorgio Sbardello kennen.
Im dritten Teil der Serie berichtete die WOZ über den Prozess vor dem Bezirksgericht, über die Bemühungen der Verteidigung, das Gericht von der verminderten Zurechnungsfähigkeit Breitschmids zu überzeugen - und von der seltsamen Feststellung des Gerichtspsychiaters, wonach der psychisch und physisch angeschlagene Breitschmid haftfähig sei, weil er ja die Haft bisher auch überstanden habe. Die WOZ folgerte daraus in einer etwas missglückten Wortwahl: «Mit einer derartigen Begründung wäre fehlende Hafterstehungsfähigkeit erst durch Selbstmord oder Tod erwiesen.» Die Brüder Sbardella ihrerseits erschienen nun nicht mehr als gefährliche Leute mit Mafiakontakten, sondern als traurige Gestalten, die sich mit allen Mitteln über Wasser zu halten versuchten.
Das Gericht kam einer Indizienkette entlang zu einem harten Urteil. Lebenslänglich für Riccardo Sbardello, und vierzehn Jahre für Romano Breitschmied. Und Giorgio sollte härter bestraft werden als von der Staatsanwaltschaft verlangt. Die WOZ beschrieb den Prozess nicht nur als einen Versuch, die Wahrheit herauszufinden, sondern auch als ein soziales Bemühen, die Angeklagten aus ihrem Zigeunerleben in die wohlanständige Mittelmässigkeit des Kantons Aargau zurückzuholen. Bei Breitschmid und Giorgio Sbardello habe das funktioniert. In der Sache des mutmasslichen Mörders aber nicht: «Ricccardo Sbardello blieb mit seinen undurchsichtigen Konstrukten unheimlich, deshalb lebenslänglich, da war Hopfen und Malz verloren.»
Der WOZ war es zwar nicht gelungen, die Hypothesen der Staatsanwaltschaft zu widerlegen - aber der Blick in den Gerichtssaal von Bremgarten und das Gefängnis von Lenzburg öffnete den Spannungsbogen von den ordentlichen Schweizern zu ihren Bemühungen, Unordnung zu beseitigen - und sei es auch mit so rassistischen Methoden wie der Aktion «Kinder der Landstrasse» der Pro Juventute.
Romano Breitschmid starb am 9. Januar 1996 im Gefängnis an den Folgen seiner HIV-Infektion.
Die VOLLSTÄNDIGEN TEXTe zum Fall Breitschmid finden Sie hier: Der Clown, zwei Brüder und das Medium
Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir an dieser Stelle eine kleine AUSWAHL DER HIGHLIGHTS vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal bietet das Thema «Tod und Verbrechen» Anlass zum Rückblick auf einen Prozess der besonderen Art.