Nestlé: Der Drachentöter wird Ehrenbürger
Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern musste im Streit um eine Wasserquelle in Brasilien klein beigeben. Massgeblich am Sieg über Nestlé beteiligt war der Umweltschützer Franklin Frederick.
Franklin Frederick ist wieder in der Schweiz. Der brasilianische Umweltschützer kämpft gegen das Wassergeschäft von Nestlé in Brasilien. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern hat in der Stadt São Lourenço im grossen Stil Wasser abgepumpt und damit Schäden an der Umwelt verursacht (siehe unten stehenden Text). Eigentlich könnte er sich jetzt zurücklehnen und den Sieg feiern. Denn Nestlé musste nach einem längeren Hin und Her im Frühling dieses Jahres eine Vereinbarung mit dem Staatsanwalt des Bundesstaates Minas Gerais unterzeichnen, die ihr die weitere Ausbeutung der Quelle verunmöglicht. Auch muss Nestlé Schadenersatz leisten. Doch Franklin Frederick will keine Ruhe geben. «Eine Schlacht wurde gewonnen, mehr nicht», sagt er im Gespräch mit der WOZ. «Nestlé will weiterhin die Kontrolle über die grossen Wasserreservoirs in Brasilien übernehmen. Aber künftig werden sie es klüger anstellen. Und so tritt er auch jetzt wieder an Veranstaltungen in der Schweiz auf, spricht mit VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (NGO), Kirchen und mit AktivistInnen. Der Druck auf Nestlé soll nicht nachlassen.
Tatsächlich kauft der Schweizer Multi seit Jahren überall auf der Welt Wasserquellen auf, um sie auszubeuten. Längst geht es nicht mehr nur um das klassische Mineralwassergeschäft. Nestlé hat sich auch dem Verkauf von gewöhnlichem Trinkwasser verschrieben - für Gegenden dieser Welt, wo das Hahnenwasser schwer nach Chlor riecht oder gänzlich fehlt. Im brasilianischen São Lourenço hat Nestlé 1992 mit dem Kauf der Firma Perrier auch einen ganzen Park erworben, in dem es verschiedene Heil- und Mineralquellen gibt. Dort wurde schon seit längerer Zeit Mineralwasser produziert. 1998 liess Nestlé jedoch eine neue Fabrik auf dem Gelände erstellen, um fortan im grossen Stil die Quelle Primavera auszubeuten. Seit 1999 liess die Firma dieses sehr eisenhaltige Wasser illegalerweise entmineralisieren und fügte ihm anschliessend einige Mineralien wieder zu. Verkauft wurde das Wasser unter dem Etikett «Pure Life». Nestlé hat dieses Einheitswasser inzwischen in vielen Ländern mit aggressiven Werbemethoden eingeführt (siehe WOZ 28/03).
In Brasilien sah sich der Schweizer Konzern aber schon sehr bald einer Reihe von Klagen von UmweltschützerInnen und BürgerInnen gegenüber, denen sich auch die Staatsanwaltschaft anschloss. Allerdings gelang es den Anwälten von Nestlé immer wieder, Gerichtsverhandlungen hinauszuzögern und gegen Entscheide zu rekurrieren. Franklin Frederick ist überzeugt: «Die ganzen Prozesse hätten noch Jahre gedauert und wären irgendwann sogar versandet.»
Den brasilianischen UmweltschützerInnen wurde bewusst, dass es auch Druck im Mutterland des Weltkonzerns braucht. Ein Dutzend Mal reist daraufhin der Aktivist Franklin Frederick in die Schweiz, um über Nestlés Abpumperei in São Lourenço aufzuklären. Auf offene Ohren stösst er zuallererst bei der Attac-Regionalgruppe im Kanton Neuenburg. Die AktivistInnen dieser globalisierungskritischen Bewegung haben sich 2001 selbst erfolgreich gegen den Verkauf der Trinkwasserquelle in Bevaix an Nestlé gewehrt. Frederick nahm auch Kontakt zum Zentrum für Umwelt und Entwicklung der Universität Bern auf, um ein Alternativkonzept für den Wasserpark zu entwickeln. 2003 trifft sich Frederick mit Organisationen wie der Erklärung von Bern, Greenpeace und Helvetas in der Schweiz, die ihn unterstützen. Zudem tritt er am Schweizerischen Sozialforum in Freiburg auf und an einer Tagung der Fachstellen für Ökumene, Mission und Entwicklung (OeME) der reformierten Kirchen in der Schweiz.
Frederick gelingt es in kurzer Zeit, so viel Druck aufzubauen, dass am 22. Januar 2004 der Nestlé-Chef Peter Brabeck eine Erklärung am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos abgab. Während einer Podiumsveranstaltung des Open Forums wird Brabeck durch bohrende Fragen von Franklin Frederick bedrängt. Schliesslich sagt der oberste Nestlé-Boss überraschend, seine Firma wolle gar nicht weiter Wasser aus der umstrittenen Quelle in Brasilien abpumpen. Die WOZ bekommt einige Tage später von der Nestlé-Pressestelle zu hören, dass es sich dabei um eine «Reorganisation der Geschäftsaktivitäten» handle. Von Entschädigungszahlungen hingegen könne keine Rede sein (siehe WOZ 4/04). Tatsächlich baute Nestlé gleichzeitig Gegendruck auf: Gemäss Franklin Frederick hat Nestlé einige BürgerInnen dazu bringen können, eine Erklärung zu unterzeichnen, die die Firma zum Verbleib auffordert. Nestlé produziert also weiter sein Pure Life und legt im März 2004 sogar Einspruch gegen einen von der zuständigen Aufsichtsbehörde DNPM verlangten Produktionsstopp ein. Ende Oktober 2004 gibt die Firma die Pure-Life-Produktion in Brasilien offiziell auf.
Doch auch im folgenden Jahr kommt Nestlé nicht aus der Defensive heraus. Im Januar 2005 kritisiert Franklin Frederick vor dem Weltsozialforum in Porto Alegre den Schweizer Konzern, er zapfe weiterhin gesetzwidrig Wasser ab. Pure Life findet sich zu diesem Zeitpunkt auch immer noch in den Supermärkten Brasiliens. Im April treffen sich VertreterInnen der brasilianischen Kirchen mit ihren KollegInnen aus der Schweiz. Mit dabei ist auch Franklin Frederick. Bei dem Treffen wird in einer Erklärung Wasser als «Menschenrecht und öffentliches Gut» bezeichnet. Wieder kommt Gegendruck: Der Bürgermeister von São Lourenço stellt sich in einem offenen Brief hinter Nestlé. Er greift Franklin Frederick scharf an. Dieser wohne gar nicht in der Stadt und mische sich in Dinge ein, die ihn nichts angingen. Frederick tritt Ende Oktober an einer symbolischen Gerichtsverhandlung gegen Nestlé in Bern auf, organisiert von der Organisation MultiWatch. Die eingeladenen Nestlé-VertreterInnen erscheinen nicht.
Im Januar 2006 ist es dann Franklin Frederick, der an einer geplanten Podiumsveranstaltung mit Peter Brabeck nicht erscheint. Die Begegnung hätte am Open Forum in Davos stattfinden sollen. «Ich hatte Angst vor einer Falle», sagt er dazu. Die fünfzehn Minuten Redezeit hätten ihm nicht genügt, um Überraschungen von Peter Brabeck zu kontern. Tatsächlich hat Nestlé tags zuvor in São Lourenço ein grosses Fest, inklusive Feuerwerk, veranstaltet. Dabei ist auch angekündigt worden, dass die Kirche, die auf dem Gelände des Wasserparks liegt, der Gemeinde geschenkt werde. Brabeck ist am Open Forum bereits im Besitz von Fotografien von diesem Fest.
Nestlé will sich mit den Kirchen offenbar gut stellen: Im Februar 2006 trifft sich der ökumenische Weltrat der Kirchen in Porto Alegre. Zuvor besucht eine zwölfköpfige Delegation aus Schweizer KirchenvertreterInnen São Lourenço und informiert sich vor Ort über die ökologischen Schäden, die Nestlé verursacht hat. In Porto Alegre wird eine Erklärung zum Wasser verabschiedet, in der die Privatisierung des Wassers kritisiert wird.
Am 16. März 2006 unterzeichnet Nestlé schliesslich die Vereinbarung mit dem Staatsanwalt. Für Franklin Frederick ist das ein Sieg der Umweltbewegung über den Grosskonzern. Genau das will jedoch der Nestlé-Sprecher Robin Tickle so nicht gelten lassen: «Wir haben uns immer an die Gesetze gehalten», sagt er. Und: Die im März unterzeichnete Vereinbarung bedeute nicht, dass Nestlé «die Verantwortung für etwas übernehme, das auf grundlosen Beschuldigungen von einigen NGO basiere».
Grundlose Beschuldigungen? Das Parlament von São Lourenço ist anderer Meinung: Es hat am 22. Mai beantragt, dass Frederick das Ehrenbürgerrecht der Stadt erhält.
Nestlés Wassergeschäft
Im Geschäft mit dem Flaschenwasser ist Nestlé inzwischen weltweite Marktführerin. Letztes Jahr betrug der Umsatz mit Wasser rund 8,8 Milliarden Franken. Im ersten Halbjahr 2006 wuchs er um 10,2 Prozent. Nestlé-Wasser beschäftigt 30 000 Personen, betreibt 103 Fabriken und bewirtschaftet 75 Marken. Neben den weltweit verkauften Mineralwassern wie Perrier, Vittel und San Pellegrino expandiert Nestlé seit sieben Jahren im Geschäft mit in Flaschen abgefülltem Tafelwasser. Die entsprechende Marke Pure Life will die Firma zum meistverkauften Wasser der Welt machen.