Invalidenversicherung: Therapie mit bösen Folgen

Nr. 50 –

Die fünfte IV-Revision ist ein fieses Paket: Man kürzt Leistungen und will die Behinderten zur Arbeit nötigen. Doch die Arbeitsplätze gibts nicht.

Auch eine gute Idee wird schlecht, wenn sie nur Mittel zum bösen Zweck ist. Die fünfte Revision der Invalidenversicherung (IV) tritt an mit einer guten Idee: «Eingliederung statt Rente» lautet ihr Slogan. Das Böse daran: Die Eingliederung wird benutzt, um Behinderte unter Druck zu setzen, um ihnen die Renten zu kürzen oder zu verweigern - und um den Sozialabbau vernünftig und tragbar erscheinen zu lassen.

Gegenwärtig werden Unterschriften gegen diese IV-Revision gesammelt. Hier einige Gründe dafür, das Referendum zu unterzeichnen:

• Fehlende Verpflichtung für Unternehmen und Behörden: Eingliedern statt Rente wäre sinnvoll, wenn die notwendigen Arbeitsplätze zur Verfügung stünden. Die Unternehmen sind jedoch nicht verpflichtet, Menschen einzustellen, die nicht voll leistungsfähig sind. Die Bürgerlichen sperren sich selbst gegen eine bescheidene Quote, die zum Beispiel grössere Firmen zwingen würde, ein Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen. Nicht einmal der Bund würde heute diese Quote erfüllen. (In Deutschland hingegen verpflichtet das Sozialgesetzbuch die Grossbetriebe und öffentliche Einrichtungen, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze für Schwerbehinderte zu reservieren.)

• Zusatzrenten werden gestrichen: Angehörige von IV-BezügerInnen bekamen bislang eine Zusatzrente. Diese soll nun ersatzlos gestrichen werden. Die Zusatzrenten kommen vor allem Frauen über fünfzig zugute, die ihre invaliden Männer pflegen.

• Jüngere erhalten weniger: Wer vor dem 45. Lebensjahr invalid wird, erhält künftig weniger Rente - der sogenannte Karrierezuschlag, der künftige Lohnerhöhungen berücksichtigen sollte, wird gestrichen.

• Neuer Mitwirkungszwang: Die Betroffenen sind in Zukunft verpflichtet, «aus eigenem Antrieb alle zumutbaren Massnahmen zu ergreifen», damit sie nicht zu einem IV-Fall werden. Wer dieser «Selbsteingliederungspflicht» - wie der Bund es nennt - nicht nachkommt, riskiert, keine oder geringere IV-Leistungen zu erhalten.

Unbestritten ist: Die IV steckt in finanziellen Schwierigkeiten und hat einen Schuldenberg von über acht Milliarden Franken angehäuft. Die vorliegende Revision hilft jedoch weder diese Schulden abzubauen, noch löst sie die Finanzierungsprobleme langfristig. Zudem werden die geplanten Massnahmen wenig bringen, aber viel nehmen: Es sind vor allem Menschen ab Mitte fünfzig - insbesondere Männer - , die auf eine IV-Rente angewiesen sind. «Einer von fünf Männern kurz vor der Pensionierung ist IV-Rentner», hält die jüngste IV-Statistik fest. Überdurchschnittlich oft leiden sie an psychischen Erkrankungen. Ihre Chance, der «Selbsteingliederungspflicht» nachzukommen, dürfte gering sein. Die Wirtschaft will sie nicht mehr, weil sie nicht mehr belastbar oder zu unproduktiv sind. Das hat ja erst dazu geführt, dass die IV mit immer mehr Fällen und rapide steigenden Kosten konfrontiert ist: Wer nicht mehr leistungsfähig war, wurde in die IV abgeschoben.

Der Slogan «Eingliederung statt Rente» hilft deshalb wenig. Werden die Unternehmen nicht in die Pflicht genommen, kann weder die IV noch der oder die Einzelne ihre Eingliederungsaufgabe erfüllen. Ohne Spareffekt ist aber die nächste Abbaurunde bereits programmiert.

Derzeit sind etwa 20000 Unterschriften für das Referendum gesammelt. Die regionalen Referendumskomitees versuchen verzweifelt, bis Ende Januar die nötigen 50000 Unterschriften zusammenzutragen. Es dürfte knapp werden: Vor allem in der Deutschschweiz wird nur wenig auf der Strasse gesammelt, und bald kommen die Weihnachtsferien. Dabei geht es um mehr als Invalidenrenten: Diese IV-Revision ist eines der ersten entscheidungsreifen Gesetze, die einen massiven Sozialabbau festschreiben. Eine Annahme führt lediglich dazu, dass Fürsorge und Ergänzungsleistungen stärker beansprucht und die Kosten auf die Gemeinden und Kantone verlagert werden, die heute schon über leere Kassen klagen.

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