Irak: Der falsche Glanz des toten Despoten

Nr. 1 –

Saddam Husseins Tod am Strang wird die Gewalt im Irak nicht zum Verschwinden bringen. Im Gegenteil.

Saddam Hussein an den Galgen. Es war eine einfache Forderung. Und wer hätte es mehr verdient, seine letzten Schritte mit einer Schlinge um den Hals auf einem Schafott zu tun, als die Bestie von Bagdad, als jener Mann, der Hunderttausende unschuldige IrakerInnen ermorden liess und Giftgas gegen seine FeindInnen einsetzte?

Bereits kurz nach Saddam Husseins Hinrichtung am 30. Dezember haben die Kriegsherren von einem «grossen Tag» für die IrakerInnen gesprochen. Sie hoffen darauf, dass die muslimische Welt bald vergessen haben wird, dass Saddam Husseins Todesurteil von der irakischen «Regierung» - im Auftrag der USA - am Vorabend des Opferfests unterschrieben wurde. Dieses gilt in der arabischen Welt als ein Anlass der Vergebung.

Doch die Zukunft wird zeigen, dass nicht nur die AraberInnen und Muslime nach Saddams Tod eine andere Frage stellen werden. Eine Frage, die in westlichen Zeitungen kaum je gestellt und von unseren PolitikerInnen auch nicht beantwortet wird: Wer sind die anderen Schuldigen?

Nein, Tony Blair ist nicht Saddam. Er vergast seine FeindInnen nicht. Auch George Bush ist nicht Saddam. Er hat weder Iran noch Kuwait besetzt - er ist nur im Irak eingefallen. Aber Hunderttausende IrakerInnen haben ihr Leben verloren - und Tausende westliche SoldatInnen sind tot -, weil die Herren Bush und Blair, wie auch der damalige spanische Ministerpräsident José María Aznar, der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der australische Premierminister John Howard im Jahr 2003, aufgrund von Lügen und falschen Angaben, in einen Krieg gezogen sind.

In der Zeit nach 2001 und den damals verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben die westlichen Besatzungstruppen gefoltert, gemordet, sie haben die unschuldige Bevölkerung verrohen lassen und sie umgebracht. Sie haben zu Saddams Schande von Abu Ghraib ihre eigene Schande von Abu Ghraib hinzugefügt - und nun glauben sie allen Ernstes, die Welt würde all diese Verbrechen vergessen, nur weil sie für einen am Strang hängenden toten Diktator applaudiert.

Wer war es denn, der Saddam Hussein dazu antrieb, 1980 im Iran einzumarschieren und seine grössten Kriegsverbrechen zu begehen, die anderthalb Millionen Menschen das Leben kosteten? Und wer war es, der ihm die Bestandteile für seine chemischen Waffen verkaufte, die er gegen den Iran und die KurdInnen einsetzte? Es waren die westlichen Regierungen. Kaum verwunderlich also, dass die USA, die den bizarren Prozess von Saddam kontrollierten, dabei jede Erwähnung dieser obszönen Fakten untersagt hatten (siehe WOZ Nr. 45/06).

Hätte Saddam zur Verurteilung dieser Kriegsverbrechen nicht an den Iran ausgeliefert werden können? Natürlich nicht, denn das hätte die Mitschuld des Westens blossgestellt. Wer wird also für all die Verbrechen, die von den Besatzungsmächten seit 2003 begangen wurde, für die Massentötungen mit uranangereicherten Granaten, für die «bunkerbrechenden» und Phosphor-Bomben, die mörderischen Belagerungen von Falludscha und Nadschaf, für die Hölle der Anarchie, der die irakische Bevölkerung seit dem «Sieg» des Westens ausgesetzt ist, zur Verantwortung gezogen werden? Erklärungen dafür werden wir mit grosser Wahrscheinlichkeit in den selbstgefälligen Memoiren erhalten, die George Bush und Tony Blair ohne Zweifel im bequemen und wohlhabenden Ruhestand schreiben werden.

Bereits Stunden vor der Vollstreckung von Saddams Todesurteil hatte seine Familie - seine erste Frau Sadschida, seine Tochter und andere Verwandte - die Hoffnung aufgegeben. «Was getan werden konnte, wurde getan - nun können wir nur noch den weiteren Verlauf der Dinge abwarten», sagte ein Familienmitglied in der Nacht vor der Exekution. Saddam war sich seines Schicksals wohl bewusst und hatte bereits sein eigenes «Märtyrertum» angekündigt: Er sei noch immer der irakische Präsident und würde für sein Land sterben.

Alle zum Tod verurteilten Menschen haben sich zu entscheiden: Wollen sie mit einer letzten, unterwürfigen Bitte um Gnade sterben oder ihre letzten Stunden mit so viel Würde wie möglich verbringen? Bei seinem letzten Auftritt während des Prozesses hatte Saddam Hussein - ein blasses Lächeln auf dem Gesicht des Massenmörders - bereits gezeigt, wie er seinen letzten Gang anzutreten gedachte.

Jahrelang habe ich über Saddam Husseins monströse Verbrechen berichtet. Ich habe mit den kurdischen Überlebenden von Halabja gesprochen und mit jenen SchiitInnen, die 1991 auf Betreiben des Westens gegen den Diktator einen Aufstand organisiert hatten und dabei vom Westen schmählich verraten wurden. Saddam liess Zehntausende von ihnen mitsamt ihren Familien hängen. Ich habe auch die Hinrichtungskammern von Abu Ghraib gesehen - nur wenige Monate bevor unsere eigenen Regierungen dasselbe Gefängnis für Folterungen und Morde benutzte. Ich habe mit angesehen, wie IrakerInnen Tausende ihrer Angehörigen aus den Massengräbern von Hilla geborgen haben. Eine der Leichen hatte ein gerade erst eingefügtes künstliches Hüftgelenk und noch die Patientennummer am Handgelenk. Der Mann war direkt aus dem Krankenhaus zur Exekution geführt worden. Und wie Donald Rumsfeld habe auch ich die weiche, feuchte Hand des Diktators geschüttelt, der seine letzten Tage an der Macht mit dem Schreiben von romantischen Geschichten verbracht hatte.

Mein Kollege Tom Friedman - heute messianischer Kolumnist bei «The New York Times» - hatte kurz vor der US-amerikanischen Invasion 2003 Saddam Husseins Charakter auf den Punkt gebracht: Saddam sei «halb Don Corleone, halb Donald Duck». Mit dieser Definition hatte Friedman das ganze schreckliche Spektrum eingefangen, das allen Diktatoren eigen ist: ihre sadistische Anziehungskraft und die unglaublich fratzenhafte Natur ihrer Grausamkeit.

Doch das ist nicht das Bild, das in der arabischen Welt von Saddam Hussein überleben wird. Zum einen werden all jene, die unter seiner Grausamkeit gelitten haben, froh sein über seine Hinrichtung. Hunderte hatten sich zuvor um das Henkersamt beworben. Auch viele KurdInnen und SchiitInnen ausserhalb des Iraks werden Saddams Ende begrüssen. Aber sie werden - wie Millionen anderer Muslime - sich daran erinnern, wie er die Nachricht von der Exekution am Vorabend des Opferfests erfahren hat, jenes Fest, das an Abrahams Bereitschaft erinnert, Gott seinen eigenen Sohn zu opfern. Selbst der grauenhafte Saddam Hussein nahm das Fest jedes Jahr in zynischer Weise zum Anlass, Gefangene freizulassen.

Kurz vor seinem Tode war Saddam Hussein «den irakischen Behörden übergeben» worden. Trotzdem wird die Verantwortung für seine Hinrichtung - zu Recht - der US-Regierung zugeschrieben. Die Zeit wird das Ihre dazu tun, dem Ganzen einen falschen, aber bleibenden Glanz zu verleihen - dass der Westen einen arabischen Führer zerstörte, der nicht länger den Anweisungen aus Washington gehorchen wollte, und dass er trotz all seiner Untaten als ein «Märtyrer» auf Befehl der neuen «Kreuzritter» sterben musste.

Als Saddam Hussein im November 2003 gefangen genommen wurde, hatte sich der Widerstand gegen die US-Truppen im Irak massiv verstärkt. Nach seinem Tod wird er noch einmal zulegen. Durch Saddams Hinrichtung sind die Feinde des Westens im Irak nun auch von der geringsten Gefahr einer möglichen Rückkehr des Baath-Regimes befreit. Das wird Usama Bin Laden mit Sicherheit freuen, so wie auch Bush und Blair. Aber der Westen wird mit seinen Verbrechen davonkommen.


Robert Fisk ist Nahostkorrespondent der britischen Zeitung «The Independent».