Das Wef redet vom Wetter: Den Klimawandel beherrschen
Die ManagerInnen lassen sich die gute Laune nicht verderben. Die Energienachfrage wird weiter steigen – und sie muss befriedigt werden, irgendwie sauber eben.
Die Folgen der Erderwärmung haben auch beim Weltwirtschaftsforum (Wef) zu einem Klimawandel geführt. Siebzehn Veranstaltungen thematisierten in Davos Fragen rund um das Klima und die saubere Energieversorgung. Zeigten sich letztes Jahr die Manager und Politikerinnen noch vor allem vom steigenden Ölpreis beeindruckt, so wurde dieses Jahr viel Betroffenheit über die Zunahme des CO2-Ausstosses zum Ausdruck gebracht – zumindest öffentlich, an den mediengerecht inszenierten Podien.
Ist das diesjährige Wef Ausdruck einer ökologischen Aufbruchstimmung? «Es macht ganz den Anschein», sagt Gerd Leipold, Geschäftsleiter von Greenpeace International. Leipold ist jetzt das zweite Mal ans Wef eingeladen worden. «Man hat allerdings den Eindruck, dass viele erst vor kurzem das neue Vokabular gelernt haben und die passende Sprache noch nicht so recht sitzt», relativiert er. Ausserdem missfällt ihm, wie die Diskussionsforen zusammengesetzt sind: «Es kommen fast ausschliesslich Politiker und Wirtschaftsleute zu Wort. Die ganze Kompetenz und Erfahrung der Zivilbevölkerung ist marginalisiert. Das ist schon fast skandalös.» Tatsächlich konnte Leipold in Davos gerade mal ein kurzes Statement an einer Veranstaltung abgeben. Und das war zudem nicht auf einem offiziellen Wef-Podium, sondern in einer vom britischen Fernsehsender BBC aus Davos übertragenen «Welt-Arena». Neben Jugendlichen aus Australien und Südkorea diskutierten dort PolitikerInnen aus verschiedenen Parlamenten und Regierungen sowie Forscher und Unternehmer. Dass der Klimawandel menschengemacht ist, an diesem Umstand zweifelte in der Runde nur noch einer: der republikanische US-Senator Saxby Chambliss aus Georgia. Er musste sich vom Moderator sagen lassen, dass über wissenschaftlich erhärtete Tatsachen nicht mehr debattiert werde.
Einen souveränen Eindruck hinterliessen hingegen die VertreterInnen aus Kalifornien. Der smarte Parlamentssprecher Fabian Núñez erläuterte die Bemühungen des bevölkerungsreichsten Bundesstaates der USA, seinen CO2-Ausstoss bis 2020 auf den Stand von 1990 zu reduzieren. Ausserdem habe Kalifornien entgegen dem sonstigen Trend in den USA seinen Energieverbrauch pro Kopf seit 1975 nicht erhöht. Bewirkt haben das etwa strenge Bauvorschriften. Ausserdem sei Kalifornien inzwischen führend bei der Entwicklung von alternativen Energiequellen. Ein kalifornischer Investor verglich diesen Trend mit dem Computerboom im Silicon Valley Anfang der achtziger Jahre. «Ich will Geld verdienen, deshalb investiere ich in Solarenergie», sagte er. Er habe aber auch ideelle Gründe: «Meine fünfzehnjährige Tochter fragt mich, was wir da mit dem Klima angerichtet haben.»
Am Wef war sehr viel von einem Stimmungswandel in der Bevölkerung die Rede, welcher vorab in den Industriestaaten die PolitikerInnen unter Druck setze. Ausschlaggebend für den Meinungswandel sei neben Wetterkapriolen und Umweltkatastrophen der Film des früheren US-Präsidentschaftskandidaten Al Gore, «An Inconvenient Truth». Dass ausgerechnet in Kalifornien dieser Druck so stark ist, erklärt sich der US-Wissenschaftler Steve Chu aufgrund der geografischen Situation des Staates: «In der Sierra Nevada lag in den letzten fünf Jahren immer zwischen dreissig und neunzig Prozent weniger Schnee als üblich. Der Schnee dort bildet jedoch den Wasserspeicher Kaliforniens.» Bereits ein längerfristiger Rückgang der Niederschläge von zwanzig Prozent würde zu Versorgungsproblemen führen, ein fünfzigprozentiges Minus wäre das Aus für die Landwirtschaft, und noch weniger hiesse, es gebe nicht mehr genügend Trinkwasser.
Steve Chu ist Nobelpreisträger für Physik und leitet seit zweieinhalb Jahren das Berkeley Lab, das grösste nationale Forschungsinstitut des US-Energieministeriums. Das berühmte Forschungszentrum in der Nähe von San Francisco mit seinen rund 4000 Beschäftigten hat sich unter anderem auf die Erforschung von Umwelttechnologie spezialisiert. Chu sagt im Gespräch mit der WOZ, dass in den USA fünfzig Prozent der Energie eingespart werden könnten, ohne dass sich am Lebenssstil der BewohnerInnen etwas ändern müsste. Insbesondere liessen sich die Häuser besser isolieren. Auch was die Entwicklung von alternativen Energien angeht, gibt sich Chu optimistisch: «Wir haben in unserem Laboratorium die besten Forscher zusammengebracht, um an Lösungen zu arbeiten. Dieser Teil geht gut voran.» Die Politik sei dagegen zu langsam. Es müsse dringend etwas passieren: «Die Möglichkeit von schwerwiegenden Konsequenzen wird grösser und grösser. Die Klimanachrichten der Zukunft sind entweder schlecht oder extrem schlecht. Der Staat muss dem Markt helfen. Er muss ein Signal geben. CO2 muss einen Preis bekommen, und dieser Preis muss steigen. Wenn der US-Industrie das so signalisiert wird, so werden die schnell handeln. Bis es so weit ist, hoffen sie allerdings, dass nichts passiert und werden auch selber nichts unternehmen.»
Der Chef des europäischen Ölkonzerns Shell zeigte sich am Wef aufgeschlossen: «Die Debatte um den Klimawandel ist vorbei. Es ist klar, dass es ihn gibt», sagte Jeoren Van der Veer an einer Veranstaltung. Doch was heisst das? Weg vom Öl? Nein. «Die Welt braucht mehr Öl und Gas», postulierte Van der Veer am gleichen Anlass und lehnt auch eine zusätzliche Besteuerung von fossilen Energien ab. Und was ist mit dem bereits angerichteten Schaden? Will Shell seinen Teil der Verantwortung für den Klimawandel übernehmen? Van der Veer winkt auf eine entsprechende Frage der WOZ vehement ab: «Nein, nein. Der Klimawandel hat mit sehr viel mehr zu tun als nur mit Treibhausgasen.» Gerd Leipold hält die Frage der Verantwortung für nötig: «Auch die Tabakindustrie musste irgendwann Entschädigungszahlungen leisten. Jemand muss doch auch für die Bewohner derjenigen pazifischen Inseln aufkommen, die irgendwann aufgrund des klimatisch bedingten höheren Meeresspiegels evakuiert werden müssen.»
Dass der Klimawandel auch zum Standardrepertoire von SpitzenpolitikerInnen gehört, machte in Davos Angela Merkel deutlich, die die Eröffnungsrede hielt. Merkel wäre die zentrale Figur, wenn es um konkrete Massnahmen ginge: Sie ist derzeit nicht nur Vorsitzende des EU-Ministerrates, sondern auch der G8-Staaten, die sich im Juni in Deutschland treffen. Merkel sagte, man müsse den «Klimawandel beherrschen». Die Europäische Union will bis ins Jahr 2020 den CO2-Ausstoss um dreissig Prozent reduzieren, aber nur, wenn auch die anderen Industriestaaten mitziehen. Ansonsten wird für diesen Zeitraum eine zwanzigprozentige Reduktion angestrebt. Ausserdem hat die EU einen Handel mit CO2-Emissionen zwischen den Unternehmen aufgezogen.
In den USA ist der Emissionshandel noch Zukunftsmusik. Der US-Energieminister Samuel Bodman sprach am Wef lediglich davon, eine Zunahme des CO2-Ausstosses zu stoppen. Eine Möglichkeit sei etwa alternativer Treibstoff, vorab Ethanol, das derzeit aus Mais und Soja gewonnen wird. Ethanol wird Benzin beigemischt und verursacht weniger Treibhausgase. Allerdings ist die Herstellung energieintensiv. Leipold hält die Umwandlung von Mais und Soja allerdings für eine «katastrophale Lösung». Die US-Regierung würde einfach ihre Agrarsubventionen umdefinieren. Tatsächlich geht es inzwischen den Maisbauern in den USA ausgezeichnet. Da der Staat die Produktion von Ethanol fördert, erhalten sie für ihren Mais Rekordbeträge. Schlecht ist das allerdings für die mexikanische Bevölkerung. Dort ist Mais Grundnahrungsmittel und die heimische Landwirtschaft längst ausserstande, die Bevölkerung zu ernähren. Der Tortilla-Preis ist auf Höchstwerte gestiegen. Auch der Wissenschaftler Steve Chu hält nichts davon, aus Mais Ethanol herzustellen. «Extrem ineffizient» sei das. Er prognostiziert dagegen bis in fünf Jahren einen Durchbruch bei der Ethanolherstellung aus Gras.
«Und in zehn Jahren wird damit pro angebaute Fläche gegenüber Mais das Fünffache an Energie herauszuholen sein.»
Allerdings sind für den Treibhauseffekt längst nicht nur die Autos verantwortlich. Besonders grosse Dreckschleudern sind Kohlekraftwerke, die es in grosser Zahl in den USA, der EU, aber auch immer mehr in China und Indien gibt. Der US-Energieminister Samuel Bodman glaubt, dass man schon bald den CO2-Ausstoss der Kohlekraftwerke separieren und verpressen kann. In Norwegen ist ein solches Werk bereits in Betrieb. CO2 gelangt dann nicht mehr in die Luft, sondern wird in flüssiger Form vergraben. Steve Chu weiss, dass man bei der Anwendung im Grossen noch weit entfernt von einer Lösung ist. Man müsse auch bedenken, dass das einmal vergrabene CO2 auch wieder in die Atmosphäre gelangen könnte – mit katastrophalen Folgen. Grundsätzlich hält Chu nichts von Kohlekraftwerken: «Kohle ist immer die schlechteste Lösung. Und doch werden in grosser Zahl neue Werke erstellt, zumal der Bau relativ billig geworden ist.» Auch Leipold hält von «sauberen Kohlekraftwerken» gar nichts: «Hier wird suggeriert, man könne so weitermachen wie bisher. Das ist Augenwischerei. Wir müssen raus aus der Kohle.»
Als grosse Alternative zu den Dreckschleudern wurde am Weltwirtschaftsforum immer wieder der Bau von neuen Atomkraftwerken gefordert. Samuel Bodman sagte: «Wir arbeiten an einem neuen Typus von Kernkraftwerken». Diese würden sparsamer im Verbrauch von Uran sein und auch nicht zur Herstellung von Atomwaffen gebraucht werden können. Während in Deutschland neue AKW kein Thema sind, sieht es in Frankreich anders aus. Und in Finnland wird derzeit gar ein neuer Typus AKW erstellt. Auch in der Schweiz will der Bundesrat neue AKW. Allerdings glaubt AKW-Gegner Leipold nicht so recht an eine Renaissance: «Die Wirtschaft ist nicht bereit, in Atomkraftwerke zu investieren, ausser der Staat subventioniert sie.» Und hierzulande wären sowieso keine neuen Kraftwerke nötig: «In Sachen Energieeffizienz hinkt die Schweiz ihren Nachbarländern stark hinterher. Es gibt einen riesigen Nachholbedarf.»
Und was ist mit den Entwicklungsländern? Was mit den aufstrebenden Ökonomien von China und Indien? Sollen sie nicht weiter wachsen dürfen? Zhang Xiaoqiang, Generalsekretär der chinesischen Entwicklungs- und Reformkommission, sagt: «Wir werden die USA nicht kopieren. Wir wollen, dass unsere Bevölkerung einen höheren Lebensstandard erreicht. Sie sollen Autos fahren. Aber es werden umweltschonende Autos sein.» Leipold sagt: «Wirtschaftswachstum ist nicht an Energiewachstum gekoppelt. Wir haben ein Szenario entwickelt, bei dem der weltweite Ausstoss von CO2 um fünfzig Prozent reduziert wird – und die Entwicklungsländer dennoch wachsen.» So wende China heute in der Industrieproduktion im Verhältnis zu Japan sieben Mal mehr Energie pro Einheit auf. Da zeige sich das grosse Potenzial von Effizienzsteigerung und Energiesparmassnahmen. Länder wie China müssten «Entwicklungsstufen überspringen».
Siehe auch die WOZ-Dossiers Klimawandel und Energie.