Weltwirtschaftsforum: Die Davoser Revolutionäre

Nr. 5 –

Die Lebensmittelpreise steigen, während BäuerInnen in Armut versinken und viele Wasserquellen zu versiegen drohen. Werden Bill Gates und Pepsi die Welt retten?

Am Freitagmorgen gab man sich am Weltwirtschaftsforum (Wef) besonders feierlich. Schliesslich schickte man gerade eben eine wichtige Botschaft von Davos hinaus in die Welt: Die Uno-Millenniumsziele drohen zu scheitern.

Es brauche von allen grössere Anstrengungen, um den weltweiten Hunger zu vermindern, allen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen, die Gleichstellung der Geschlechter und die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Die RegierungschefInnen und Konzernbosse blickten etwas verlegen in die Blitzlichter der PressefotografInnen, während sie zusammen ein Plastikbanner mit dem Slogan «Aufruf zum Handeln bei den Millenniums-Entwicklungszielen» in den Händen hielten.

Hilfe für Afrikas BäuerInnen

Der Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon stand da, der britische Premier Gordon Brown, Nigerias Staatspräsident Umaru Musa Yar'Adua, Königin Rania al-Abdullah von Jordanien, aber auch Indra Nooyi, Geschäftsführerin von Pepsi, und Microsoft-Multimilliardär Bill Gates. Der Musiker Bono stach nicht nur mit seiner bunten Brille sonderbar heraus. In einer kleinen Rede machte er deutlich, dass dies hier nur wieder einer dieser moralischen Appelle ohne bindenden Charakter sei, wie es sie früher schon gegeben habe. So etwa, wenn die Regierungs- und StaatschefInnen der G8-Staaten jeweils Hilfsgelder in Milliardenhöhe versprechen und dann aber doch nichts passiert. «Man sollte diese Vereinbarungen für juristisch verbindlich erklären. Und dann rate ich den Entwicklungsländern, schnappt euch gute Anwälte und bringt uns vor Gericht.»

Bill Gates allerdings ist noch am gleichen Tag sehr konkret geworden. Über 300 Millionen US-Dollar will er mit der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung in die Entwicklung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern stecken. Eine effizientere Landwirtschaft, darüber herrscht Einigkeit, ist ein wichtiger Schlüssel für eine Verbesserung der Lebensqualität der Ärmsten dieser Welt.

Gates hat wirklich viel Geld. Mit seinem Vermögen von 56 Milliarden US-Dollar gilt er als reichster Mann der Welt. Als Gründer und Hauptaktionär der Softwarefirma Microsoft profitiert er seit Jahren mit dem Programm Windows von einem Quasimonopol. Wer einen Personalcomputer erwirbt, muss in den meisten Fällen Windows mitkaufen.

Mehr als die Hälfte von Gates' 300 Millionen fliesst in die Alliance for a Green Revolution in Africa. Diese Organisation will rund 4,1 Millionen BäuerInnen dabei helfen, ohne Gentechnik mit Dünger und besserem Saatgut aus ihren Böden mehr Ertrag zu erwirtschaften. Ausserdem sollen sie bei der Vermarktung ihrer Produkte unterstützt werden. An der Pressekonferenz, auf der Gates seine Spende ankündigte, sprach auch Weltbankpräsident Robert Zoellick. Die Weltbank wolle sich künftig wieder vermehrt um die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern kümmern, kündigte er an. Die Weltbank hat nämlich ein Problem: Sie verliert bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten, also Strassen, Eisenbahnlinien oder Staudämmen, zunehmend an Bedeutung. In die Bresche sind regionale Entwicklungsbanken und im Fall von Afrika beispielsweise China gesprungen (siehe WOZ Nr. 43/07). Jetzt konzentriert sich die Weltbank eben auf Landwirtschaftsprojekte – auch da lässt sich Grosses vollbringen. Dreiviertel der 1,1 Milliarden Menschen, die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen, leben auf dem Lande und sind von der Landwirtschaft abhängig. «Es braucht eine grüne Revolution des 21. Jahrhunderts, ausgerichtet auf die besonderen und verschiedenen Bedürfnisse von Afrika», deklarierte Zoellick.

Barbara Stocking leitet die britische Hilfsorganisation Oxfam und ist eine der wenigen VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen, die ans Wef eingeladen wurden. Sie ist mit Gates' Hilfsprogramm zufrieden. «Technologie und guter Dünger kann den Bauern wirklich helfen», ist sie überzeugt. Mit kleinen Krediten solle man ihnen bei der Gründung von Firmen und Kooperativen helfen. Das Wort «grüne Revolution» schreckt Stocking nicht. In den sechziger Jahren wurde unter dieser Bezeichnung in Asien und Lateinamerika die Landwirtschaft auf Effizienz getrimmt. Allerdings ging das einher mit Monokulturen und dem verbreiteten Einsatz von Pestiziden. Dadurch nahmen die Biodiversität ab und die Abhängigkeit der Bäuerinnen von multinationalen Agrofirmen zu. Entscheidend sei, dass man eine Landwirtschaft fördere, die sich an den Bedürfnissen der lokalen Märkte orientiere. Schliesslich brauche Afrika eine Landwirtschaft, die fähig sei, die schnell wachsende Bevölkerung in den Städten zu ernähren. Derzeit müssten die meisten afrikanischen Staaten landwirtschaftliche Güter importieren.

Wenn die Weltbank und damit die tonangebenden Industrieländer mitmischen, besteht allerdings die Gefahr, dass mit der «grünen Revolution des 21. Jahrhunderts» vor allem der Einsatz von Bio- und Gentechnologie gemeint ist. Solche Lösungen erhöhen aber nur die Abhängigkeit der BäuerInnen von multinationalen Konzernen und deren Patenten und stellen eine Bedrohung für die Umwelt dar.

Hohe Lebensmittelpreise ...

Dass man derzeit wieder mehr über die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern spricht, hat für Barbara Stocking allerdings nicht nur mit Bill Gates und der Weltbank zu tun. Ein wichtiger Grund dafür seien die gestiegenen Lebensmittelpreise. In den reichen Ländern habe das viele EntscheidungsträgerInnen sensibilisiert.

Tatsächlich befinden sich derzeit die Preise für landwirtschaftliche Massengüter wie Getreide auf einem Rekordniveau. So hat sich der Maispreis letztes Jahr um fünfzig Prozent erhöht und der Preis für Weizen sogar verdoppelt. Das hat Auswirkungen: Schon Anfang letzten Jahres kam es in Mexiko zu einem eigentlichen Tortilla-Aufstand. Im indischen Bundesstaat Westbengalen entbrannten im Herbst in verschiedenen Regionen schwere Krawalle wegen fehlender Lebensmittel oder zu hoher Preise. Sogar in Italien führte der Preisanstieg zu einem eintägigen Spaghettiboykott. Länder wie Argentinien, Marokko, Ägypten, Mexiko und China haben inzwischen für Grundnahrungsmittel Preiskontrollen verfügt. Der kürzlich vom Wef veröffentlichte Bericht über die globalen Risiken 2008 nennt denn auch die hohen Lebensmittelpreise eine der grössten Herausforderungen. Weitere soziale Unruhen seien nicht ausgeschlossen.

Es gibt verschiedene Gründe für die höheren Preise. Der wichtigste ist die zunehmende Produktion von Ethanol in den USA. Die US-Regierung subventioniert seit 2005 im grossen Stil diesen angeblich «grünen» Treibstoff, der in den USA vornehmlich aus Mais gewonnen wird. Begründet werden die Staatsbeiträge mit dem Bedürfnis nach grösserer Unabhängikeit von Erdöl und mit dem geringeren CO2-Ausstoss. Tatsächlich aber ist die Produktion von Ethanol extrem energieintensiv, dem Klima hilft man damit kein bisschen. Auch Rajendra Pachauri, Vorsitzender des Weltklimarates IPCC und am Wef auf mehreren Podien präsent, hält die US-Subventionen für falsch. Gegenüber der WOZ sagt er: «Ethanol aus Mais zu produzieren, ist keine gute Idee. Wir brauchen Lösungen, die nicht die Nahrungsmittelproduktion konkurrenzieren.» Man könne etwa aus Gras und Zelluose Treibstoff herstellen, das sei effizienter und umweltfreundlicher. «In fünf bis zehn Jahren sollten wir mit der Entwicklung so weit sein.» Dennoch stellen immer mehr US-BäuerInnen auf Mais um und verkaufen diesen den Ethanolraffinerien weiter.

... und Klimawandel

Ein weiterer Grund für die wohl langfristig hohen Preise ist der Klimawandel: In Australien etwa fiel letztes Jahr wegen der anhaltenden Dürre die Ernte enttäuschend aus. Zudem spielen auch die veränderten Lebensbedingungen in den sogenannten Schwellenländern eine Rolle: Immer mehr Menschen können sich dort Fleisch als Nahrungsmittel leisten. So wurden 1985 in China noch zwanzig Kilo Fleisch pro Person und Jahr konsumiert, heute sind es über fünfzig Kilo. Um ein Kilogramm Schweinefleisch zu erzeugen, braucht es die gleiche Menge Energie wie für drei Kilogramm Getreide. Beim Rindfleisch beträgt das Verhältnis gar eins zu acht.

Doch bekommen wegen der steigenden Lebensmittelpreise wenigstens die BäuerInnen in den Entwicklungsländern auch mehr Geld für ihre Produkte? «Nein», sagt Barbara Stocking. «Erstens haben gerade viele dieser Bauern Probleme wegen des Klimawandels und deshalb weniger Erträge. Und zweitens profitieren von den Preissteigerungen vor allem die Zwischenhändler.»

Doch während man am Wef über alle möglichen und unmöglichen Themen und Risiken sprach, fehlte eine Veranstaltung genau zum Thema Lebensmittelpreise. Da forderte man doch lieber wie der Weltbankchef Zoellick an allen denkbaren Treffen und Foren die Liberalisierung des Welthandels. Aber führt das in der Landwirtschaft automatisch zu tieferen Preisen? «Kommt drauf an», sagt Stocking. «In Haiti hat der Freihandel mit den USA beispielsweise dazu geführt, dass der Markt mit billigem Reis aus den USA überschwemmt wurde. Das war anfänglich gut für die städtische Bevölkerung, die haitianischen Reisbauern jedoch mussten aufgeben und sind in die Städte abgewandert.» Inzwischen seien die Reispreise wieder angestiegen. Allerdings fände sich in Haiti jetzt niemand mehr, der Reis anbauen will. «So eine Liberalisierung ist unfair.»

Der Preis des Wassers

Auch die zunehmende Wasserknappheit wusste man am Wef in den Zusammenhang mit der Landwirtschaft zu stellen. Diese sei für siebzig Prozent des Wasserverbrauchs der Welt verantwortlich. Auf einem Podium mit dem Titel «Die Zeit läuft aus für Wasser» wurde die Dramatik der Wasserknappheit mit dem Klimawandel verglichen. Allerdings so, als ob das eine nichts mit dem anderen zu tun hätte. Um ein Kilo Weizen zu produzieren, würden 4000 Liter Wasser verbraucht, wurde vorgerechnet. Und Peter Brabeck, Chef des weltgrössten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé mit Sitz in Vevey, rechnete noch weiter: «Jeder Europäer isst pro Tag 5000 Liter Wasser, jeder US-Amerikaner sogar 6000.» Für Brabeck liegt das Problem also beim Verbrauch des Einzelnen – von den grossflächigen Monokulturen, die Schuld an einem grossen Teil dieses Wasserverbrauchs tragen, sprach er hingegen nicht. Seine Schlussfolgerung: Nicht Gesetze oder internationale Abkommen sollten den Verbrauch regulieren, sondern der Markt. «Wasser braucht einen Preis», forderte der Konzernchef. Brabeck scharte am Wef rund zwanzig Firmen hinter sich, die in Davos einen «Plan zum Handeln» lancierten. Mit von der Partie sind auch die Sprudelkonzerne Pepsi und Coca-Cola. Im Aufruf wird schlicht eine «Revolution» in der Wasserfrage gefordert.

Doch dass mit Nestlé, Coca-Cola und Pepsi ausgerechnet die drei grössten Firmen im Geschäft mit Flaschenwasser als Retter der Wasserkrise auftreten, macht schon etwas stutzig. Schliesslich sind alle drei Firmen schon seit Jahren fleissig dabei, weltweit Wasserquellen aufzukaufen. In ihrem Angebot befinden sich nicht nur energie- und wasseraufwendig hergestellte Softdrinks und Mineralwasser, sondern auch ganz gewöhnliches in Flaschen abgefülltes Leitungswasser. Wer heute schon jede Menge Wasserquellen besitzt, wird von generellen Wasserpreisen massiv profitieren. Aber das ist sicher nur ein zufälliger Nebeneffekt. Viel wichtiger ist doch, dass man als Revolutionäre ein globales Problem zu lösen weiss.

Im Banne der Bankenkrise

«Wir stehen vor grossen Herausforderungen», sagte der Leiter des Weltwirtschaftsforums (Wef) Klaus Schwab zum Ende der Tagung in Davos. Die Stimmung am Treffen sei jedoch «verhalten optimistisch» gewesen, schliesslich würden die «Männer und Frauen von Davos» auch all die «vielen, vielen Möglichkeiten» in der Welt sehen.

Beim Versuch, die Ergebnisse des Wef zusammenzufassen, blieb Schwab nur die Ausflucht in unverbindliches Blabla. Zu konfus mutete das Treffen an, das unter dem Eindruck von purzelnden Börsenkursen, Rezessionsangst in den USA und Milliardenverlusten der Banken stand: Da scheut man keinen Aufwand, die besten FinanzexpertInnen zum Thema Bankenkrise aufzubieten, um etwas Ruhe in die verunsicherte ManagerInnenwelt zu bringen. Und dann tickern über die Nachrichtenagenturen laufend neue Enthüllungen über den 4,8-Milliarden-Euro-Verlust der Bank Société Générale. Dass ein einzelner Händler imstande sein soll, die zweitgrösste Bank Frankreichs an den Rand des Abgrunds zu bringen, löste ungläubiges Staunen aus.

Noch an der Wef-Eröffnungszeremonie hatte James Dimon, Chef der US-Bank JP Morgan, voller Optimismus verkündet: «Bankenkrisen sind nichts Neues, wir haben sie noch jedes Mal gemeistert.»