Steuerstreit mit der EU: Ja, redet über Steuern!
Die Schweiz sagt Nein zu Verhandlungen mit der EU zur Unternehmensbesteuerung in einzelnen Kantonen. Doch im Land selbst wäre es höchste Zeit für eine Debatte über das Steuersystem.
Einmal mehr heisst es: Alle Mann an Bord und Schotten dicht. Auslöserin dieser Reaktion ist die Europäische Kommission: Diese forderte vergangenen Dienstag die Schweiz auf, gewisse Steuerpraktiken in einzelnen Kantonen aufzuheben oder abzuändern. Gemeint ist die bevorzugte Behandlung von rund 13 000 Holdinggesellschaften, die ihren Briefkasten vorzugsweise in der Innerschweiz haben. Denn nicht nur Tausende ausländische Personen profitieren hierzulande von steuerlichen Pauschalabkommen, auch zahlreiche Firmen werden mit Steuervorzügen angelockt. In den letzten fünf Jahren ist der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen immer aggressiver geworden - mit entsprechender Wirkung. So wurden etwa letztes Jahr in Kantonen mit «günstigen» Steuerbedingungen überproportional mehr neue Firmen angemeldet. Während 2006 die landesweite Zunahme des Firmenbestandes im Durchschnitt weniger als drei Prozent betrug, siedelten sich beispielsweise im Kanton Obwalden knapp dreizehn Prozent mehr Firmen an als noch im Jahr zuvor. Allein im Kanton Zug kam es zu mehr als 1300 Neugründungen.
Der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen ist in vollem Gang. Doch die EU definiert steuerliche Begünstigungen von Holdinggesellschaften als staatliche Beihilfe, die nicht vereinbar ist mit dem 1972 abgeschlossenen Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Darüber würde die EU gerne gelegentlich mit der Schweiz verhandeln. Nur: Die Schweiz will nicht. Sie sieht sich weder als Teil des EU-Binnenmarktes noch fühlt sie sich dessen Wettbewerbsregeln oder Verhaltenskodex zur Unternehmensbesteuerung verpflichtet. «Es gibt nichts zu verhandeln», sagte Finanzminister Hans-Rudolf Merz noch gleichentags in trotziger Pose mit hoch gestreckten Händen vor zwei grossen Schweizer Fahnen.
Der Basler SP-Nationalrat und Ökonom Remo Gysin findet diese Haltung reichlich überholt: «Diese reflexartige Abwehrhaltung basiert auf purem Egoismus und bringt uns in eine schlechte Ausgangslange bei künftigen Verhandlungen.» Das ist laut dem Finanzplatzexperten jedoch nur ein Aspekt der ganzen Geschichte. «Das Finanzsystem mit seinen exzessiven Auswirkungen im Steuerwettbewerb ist nach innen immun gegen Kritik. Nur ein entsprechender Druck von aussen kann eine Verbesserung herbeiführen.» Als Beispiel führt Gysin eine verbesserte Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung an. Diese sei in der Vergangenheit häufig mit dem Argument des Bankgeheimnisses verweigert worden. Der Politiker begrüsst, dass die EU Klartext spricht. Klar ist für Gysin jedoch auch, dass die EU in einzelnen Mitgliedstaaten selber Probleme mit Steuerdumping hat, «deshalb strebt sie ja eine einheitliche Regelung an». Hier knüpft auch der Ökonom Bruno Gurtner von der Alliance Sud an, die zum internationalen Netzwerk Tax Justice Network gehört. «Die Schweiz tut ja so, als wolle die EU den Steuerwettbewerb abschaffen, doch das stimmt nicht. Sie will lediglich allgemein verbindliche Rahmenbedingungen.» Die Schweiz reagiert laut Gurtner nach altbewährtem Rezept: «Zuerst wird gemauert und gebockt, dann häppchenweise nachgegeben.» Das sei etwa nach dem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD über die schädlichen Steuerpraktiken passiert. Erst nach zähem Ringen sei die Schweiz zu gewissen Konzessionen im Bereich der Informationspflicht und Amtshilfe bereit gewesen. «Bezeichnend ist auch, dass darüber ein Mantel des Schweigens liegt. Es ist nichts passiert, schon gar nicht auf Druck von aussen.» Hier liegt Gurtners Hauptkritikpunkt: «Es ist unsere eigene Aufgabe, unser Steuersystem zu thematisieren. Darüber zu reden, wie weit wir uns von gewissen steuerpolitischen Grundsätzen - zum Beispiel der Gleichbehandlung von In- und Ausländern oder der Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - entfernt haben. Das ist eine hochpolitische Angelegenheit.»
Doch wo bleibt die Debatte im Innern? Die Forderungen der EU haben bei den meisten Parteien und ZeitungskommentatorInnen zu teilweise heftigen Abwehrreaktionen geführt. Dabei ist in den letzten Monaten so etwas wie eine Debatte um Steuerdumping entstanden, auch wenn sich die hiesige Empörung bisher hauptsächlich auf die bevorzugte Behandlung reicher AusländerInnen beschränkte. Immerhin hat die SP eine Steuergerechtigkeitsinitiative lanciert, die sich gegen degressive Steuermodelle richtet. Doch gleichzeitig werkelt das bürgerlich dominierte Parlament munter weiter an der Unternehmenssteuerreform II, die AktionärInnen massiv entlasten soll. Auch die Kantone sind dabei, laufend neue Steuersenkungspakete aufzugleisen, derweil der Kanton Zug jeden Tag drei neue Firmen anlockt. Dort bekämpft die Sozialistisch-Grüne Alternative (SGA) des Kantons Zug seit Jahren auch mit Volksreferenden die aus ihrer Sicht schädliche kantonale Steuerpolitik. «Sie ist unsolidarisch gegenüber anderen Kantonen und Ländern», sagt der SGA-Kantonsrat Stefan Gisler. «Dabei sind jedoch nicht primär die EU-Länder benachteiligt, sondern Entwicklungsländer, die durch Steueroasen wie Zug jährlich rund fünfzig Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verlieren.»
Ruth Genner, die Präsidentin der Grünen Partei Schweiz, ist überzeugt, dass die Bürgerlichen in der kommenden Frühlingssession eine dringliche Debatte zur jüngsten Forderung der EU verlangen werden. Die Grünen sind, zusammen mit den SozialdemokratInnen, dafür, sich mit der EU an einen Tisch zu setzen. «Für uns macht die Steuergerechtigkeit und damit auch das Anliegen einer gewissen Steuerharmonisierung an der Schweizer Grenze nicht Halt.»