Energiepolitik und AKW: 2 Tonnen Blech für 80 Kilo Mensch

Nr. 9 –

Plötzlich wollen alle neue Atomkraftwerke. Dabei ist Strom längst nicht unser einziges Energieproblem, sagt der Präsident des Nationalen Forschungsrats.

Geht es nach der Stromlobby, so steht in der Schweiz schon bald ein neues Atomkraftwerk. Der Bundesrat hat diesem Ansinnen mit seinen jüngsten Beschlüssen alle Unterstützung zugesagt. Dabei hatte er sich einst das Ziel auf die Fahne geschrieben, den Energieverbrauch in der Schweiz pro EinwohnerIn auf ein Drittel, 2000 Watt, zu reduzieren. Das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft stammt von Dieter Imboden, Präsident des Nationalen Forschungsrats und Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich.

WOZ: Wie verträgt sich das Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft mit dem angekündigten Bau neuer Atomkraftwerke?

Dieter Imboden: Der Bundesrat hat sich in erster Linie mit dem Strom auseinandergesetzt und diese Bedarfslücke definiert. Der Strom macht aber nur ein Viertel unseres gesamten Energieverbrauchs aus.

Mit Stromsparen ist es also nicht getan?

Nein. Neben dem Strom gibt es zwei weitere Problembereiche: die Gebäudeheizungen und die Mobilität. Das Problem mit den Heizungen lässt sich mit technischen Massnahmen beziehungsweise mit schärferen Gesetzesbestimmungen in den Griff bekommen, obwohl die Beisshemmung hier noch sehr gross ist. Bei der Mobilität hingegen liegt das Problem woanders: Die Leute wollen nicht möglichst effizient mobil sein; unser Mobilitätsverhalten hat sehr viel mit Prestigedenken zu tun. Die 2000-Watt-Gesellschaft wird sich aber nicht erreichen lassen, wenn man nicht auch die Mobilität wesentlich effizienter gestaltet.

Wo müsste man ansetzen?

Die Energie ist einfach zu billig. Im Gebäudebereich muss man beim Bau neuer Häuser und bei Renovationen gesetzliche Standards festschreiben. Grundsätzlich hat ja niemand etwas dagegen, in einem gut isolierten Haus zu leben - es kann ja immer noch eine Bonzenvilla sein. Bei der Mobilität ist das Problem komplizierter, weil gewisse Leute eben mit einem ganz bestimmten Auto herumfahren wollen. Sie wollen ihre eigenen achtzig Kilo mit zwei Tonnen Stahlblech umgeben. Hier brauchte es gesetzliche Rahmenbedingungen, welche die ganze Sache verteuern - oder Vorschriften, die beispielsweise den Benzinverbrauch limitieren.

In diesem Bereich ist das Problembewusstsein der Politik nicht sehr weit entwickelt ...

Dort, wo man wirklich etwas mit Zähnen brauchte, ist man bisher äusserst zurückhaltend. Stattdessen konzentriert sich jetzt alles auf diese Stromlücke. Dass die alten Atomkraftwerke eines Tages aussteigen werden, wissen wir schon seit Jahren. Aber das Problem wurde auf die lange Bank geschoben. Dabei werden vierzig Prozent unseres Stroms in Atomkraftwerken produziert; das lässt sich nicht einfach durch Wasserkraft ersetzen. Ich habe den Eindruck, dass es die Strompolitik bewusst darauf anlegt, Sachzwänge zu schaffen: Weil schliesslich niemand will, dass plötzlich überall die Lichter ausgehen, wird den neuen Atomkraftwerken wohl nicht mehr allzu viel politischer Widerstand erwachsen.

Wie dramatisch ist die angedrohte Versorgungslücke tatsächlich?

Hier wird die Frage falsch gestellt. Es geht nicht darum, wo der Strom aus den ausgebrannten Atomkraftwerken künftig neu produziert werden kann. Viel eher müsste man sich fragen, wie sich das Energiesystem als Ganzes verbessern lässt. Wenn man vermehrt mit Wärme-Kraft-Koppelung arbeitet, ist es durchaus zu verantworten, dafür Strom aus fossilen Brennstoffen zu produzieren, wenn gleichzeitig der übrige Verbrauch an fossilen Brennstoffen zum Beispiel durch Heizungen reduziert werden kann. Aber das Problem liegt eben darin, dass sich die Elektrizitätswirtschaft nur auf den Strom konzentriert, die Ölspezialisten nur aufs Öl und so weiter. Die Lösung muss aber in der Kombination der verschiedenen Energieträger gesucht werden.

Die 2000-Watt-Gesellschaft

Der heutige weltweite Energieverbrauch liegt bei durchschnittlich 2000 Watt pro Person; in der Schweiz sind es rund 6000, in den USA gar 10 000 Watt. Bei der Entwicklung ihres energiepolitischen Gesellschaftsmodells gingen ETH-Professor Dieter Imboden und seine MitarbeiterInnen von der Frage aus, wie viel Energie ein Land braucht, damit die wirtschaftliche Entwicklung nicht gebremst wird. Laut internationalen Studien liegt diese Grenze bei 1000 Watt. 2000 Watt würden, gemäss Professor Imboden, ausreichen, um auch die verwöhnten SchweizerInnen zufriedenzustellen: «Man kann mit 2000 Watt denselben Wohlstand erreichen, wie wir ihn heute in der Schweiz haben - wenn man es intelligent macht.»