Die Steuern sinken: Das Steuersenken als linker Heidenspass
Der Kanton Bern senkt die Steuern. Zwar erinnert ein Siebenmilliardenschuldenberg an das letzte Steuersenkungsabenteuer, aber jetzt gibt es ja mehr Geld aus dem Neuen Finanzausgleich NFA. Und für den Mittelstand muss man unbedingt etwas machen. Und beim Spitzensatz sowieso. Weil die Nachbarkantone auch gesenkt haben.
Der Kanton Thurgau senkt die Steuern. Besonders die auf dem Vermögen. Und den Kapitalleistungen aus Vermögen. Und für den Mittelstand sowieso. Es hat jetzt ja mehr Geld aus dem Neuen Finanzausgleich. Wenn man im Thurgau die Steuern senkt, kommen hoffentlich Reiche aus anderen Kantonen und aus EU-Ländern und zahlen neu Steuern im Thurgau, dann sollte die Sache aufgehen.
Die Stadt Zürich senkt die Steuern. Man hat die Ausgaben endlich im Griff und muss etwas machen, weil die anderen Gemeinden auch gesenkt haben. Es gibt kein Entrinnen beim Standortwettbewerb. Und auch kein Ende: zuziehende Unternehmen erhalten vielerorts nicht nur Steuerbefreiung, sondern Subventionen. Sonst gehen sie ja womöglich woanders hin.
Das System ist seit längerem bekannt: kleine Kantone und Vororte senken die Steuern, damit die Reichen ihren Wohnsitz zumindest auf dem Papier dorthin verlegen, und die grossen Kantone und Orte senken die Steuern, damit sie es doch nicht tun. Inzwischen haben wir zwar keine Schule mehr, die die Jugendlichen nach neun Jahren Unterricht das Schreiben oder Verstehen eines korrekten Satzes ermöglicht, aber wenigstens sind die Steuern gesunken.
Aber so ist es nicht.
Die Steuern sinken für wenige
Die drei Beispiele sind alles andere als Einzelfälle. Seit 30 Jahren werden Steuern auf Einkommen, Gewinnen und Kapital laufend gesenkt. Der Bund senkt sie gerade jetzt für reiche Ehepaare, die bei den Bürgerlichen "Familien" heissen, für Grossaktionäre, die bei den Bürgerlichen "KMU" heissen, und für reiche Erben, die bei den Bürgerlichen "Unternehmen", "Arbeitgeber" oder einfach "Wirtschaft" heissen.
Die permanenten Senkungen der Einkommenssteuern bringen natürlicherweise den Grossverdienern viel, den Mittelverdienern wenig und den Kleinverdienern nichts. Wer wenig oder keine Steuern zahlt, dem kann man sie halt nicht mehr senken, und wenn die Steuern für alle sinken, haben letztlich alle etwas davon.
Aber so ist es nicht.
Die Steuern sind nicht die Steuern
Der Bund besteuert die Einkommen der Menschen und die Gewinne der Unternehmen mit der direkten Bundessteuer. Die Kantone machen das gleiche mit ihren Einkommenssteuern. Wenn Politiker von den STEUERN reden, meinen sie nur die. Und wenn die Politiker die Steuern senken, senken sie nur die. Alle kennen die Einkommenssteuer, sie werden schliesslich alljährlich daran erinnert.
Aber die Einkommenssteuern sind nicht die Steuern: bei den Einnahmen des Bundes ist die direkte Bundessteuer ein Posten unter vielen - und schon gar nicht der grösste, das ist nämlich die Mehrwertsteuer. Daneben lebt der Bund auch noch von Bier-, Schnaps-, Tabak, Alkohol-, Verrechnungs- und Stempelsteuern, von Benzinzöllen, Zollzuschlägen und Schwerverkehrsabgaben. Er besteuert zudem die Lohnempfänger mit einer besonderen Abgabe für AHV, EO, IV und ALV, nennt diese Steuern aber "Beiträge", er besteuert alle Radio- und Fernsehgeräte, nennt diese Steuer aber "Konzession" und zur Finanzierung des Gesundheitswesens erhebt er auf alle Köpfe eine Kopfsteuer, die nennt er Krankenkassenprämie.
Die Mehrwertsteuern und die Krankenkopfsteuern sind hierbei die grössten Posten. Sie haben drei Gemeinsamkeiten:
* wenn Politiker über DIE STEUERN reden, meinen sie die nicht, sondern schweigen darüber
* wenn Politiker DIE STEUERN senken, senken sie die nicht. Im Gegenteil: diese Steuern steigen stetig.
* Diese Steuern hängen nicht vom Einkommen der Leute ab, sondern von der Zahl ihrer Köpfe.
Dieser letzte Punkt hat eine schlimme Folge: allein die Krankenkopfsteuer im Kanton Bern (Annahme: Billigkasse Assura, 300 Fr.) nimmt von einem Einkommen von 3'000 Franken monatlich 10% weg, bei einem Einkommen von 200'000 Franken jährlich (nach bürgerlicher Definition ist das der Mittelstand) noch 1.95%. Die Mehrwertsteuer wirkt nur wenig anders: hier sinkt der Satz am stärksten, wenn das Einkommen über 200'000 Franken steigt. Solche Steuern mit hohen Sätzen für keine und tiefen Sätzen für hohe Einkommen nennt man übrigens degressiv. Schaffhausen und Obwalden haben dieses System nun auch bei den Einkommenssteuern eingeführt - unter dem Applaus der rechten Bundesratsmehrheit.
Rabatt für die Reichsten und die höchsten Steuersätze für die Aermsten, das ist hässlich. Aber es kommt noch schlimmer.
Die Steuern steigen
Die Mehrwertsteuer hiess früher Warenumsatzsteuer, kurz und freundlich WUSt, lastete mit 6.2% auf den Warenverkäufen, und die Lebensmittel und Bücher waren frei. Die heutige MWSt lastet mit 7.6% zusätzlich auf allen Dienstleistungen, Lebensmittel und Bücher sind nicht mehr frei, und nach den neuesten Plänen des Bundesrats soll sie neu auch das Gesundheitswesen erfassen. Und die Sozialdemokratie will sie "für die IV" erhöhen. Kurz: die MWSt steigt. Nicht immer, aber immer öfter.
Dass die Krankenkopfsteuer eine Steuer ist, mag einigen neu sein (vergl. dazu die Definition der Steuern im Steuergrundkurs). Nicht aber, dass sie steigt. Nicht immer öfter, sondern immer.
Für wen sinken die Steuern?
Wir fassen zusammen:
* Es gibt Steuern, die vom Einkommen der Zahlenden abhängen. Wer mehr verdient, zahlt mehr. Diese Steuern werden laufend gesenkt. Folge: wer viel verdient, spart viel.
* Es gibt Steuern, die nicht vom Einkommen abhängen: Wer weniger verdient, zahlt mehr. Diese Steuern werden laufend erhöht. Folge: wer viel verdient, zahlt etwas mehr, wer wenig verdient, zahlt viel mehr.
Rechnet man die Steuersenkungen und Erhöhungen zusammen ergibt sich für den Staat natürlich ein Nullsummenspiel. Nicht aber für die Steuerpflichtigen. Die sparen entweder oder zahlen mehr, je nach Einkommen. Quizfrage: wie viel muss ich verdienen, damit ich zu den Gewinner gehöre?
Die klassische schweizerische Antwort: das ist von Kanton zu Kanton verschieden. Und ob Sie Kinder haben. Und verheiratet sind. Und Wohneigentum haben (steuerlich immer besser!). Und dann hängt es natürlich auch davon ab, ob Sie nicht nur die letzte Erhöhung der Krankenkopfsteuer hineinrechnen, sondern auch die vier nächsten.
Hier wenigstens ein einfacher Richtwert: das so genannt Steuerpaket von 2004 kombinierte die klassische Einkommenssteuersenkungen "für Familien" mit einer MWSt-Erhöhung. Effekt für Familien: höhere Steuern bei Einkommen bis 150'000 Franken jährlich, tiefere Steuern bei höheren Einkommen. Dabei sind die alljährlichen Erhöhungen der Krankenkopfsteuern nicht berücksichtigt, der tatsächliche Wert liegt also auf jeden Fall höher.
Historisch bewanderte Personen mögen jetzt einwenden, das Steuerpaket sei doch abgelehnt worden. Das ist zwar richtig, aber umgesetzt wird es jetzt trotzdem. Die Paramente des Bundes und der Kantone beschliessen jeden einzelnen Teil neu - siehe Artikelanfang. Hat jetzt wirklich jemand etwas von Volkswille gesagt? Sie sind mir vielleicht einer. Schon mal etwas von der Alpeninitiative gehört?
Die Steuern steigen für die meisten
Bleiben wir konservativ und übervorsichtig bei den 150'000 Franken jährlich: Wer bei all den eingangs erwähnten Steuersenkungen am Schluss tatsächlich weniger und nicht mehr zahlen will, muss pro Monat also deutlich mehr als 11'538 Franken verdienen. Damit wären Sie gerade am unteren Rand dessen, was die Steuerpolitiker mit dem dauernd erwähnten "Mittelstand" meinen. Da das Durchschnittseinkommen in der Schweiz nicht einmal halb so hoch ist, scheint dieser Mittelstand eine Randgruppe zu sein.
Fazit: Politiker beschliessen dauernd Steuersenkungen. Ein sehr kleiner und sehr reicher Teil der Bevölkerung spart Geld. Alle anderen zahlen Jahr für Jahr mehr. Die Steuerpolitiker betreiben seit 30 Jahren eine erfolgreiche Umverteilung: von unten uns aus der Mitte nach ganz, ganz oben.
Wer ist schuld?
Bis heute hat die Linke die Steuersenkungen für die Reichen erfolglos bekämpft, bei den Steuererhöhungen für alle anderen ebenso erfolglos ein weniger unsoziales System gefordert (Krankenkopfsteuer) oder die Steuererhöhungen gar mitbeschlossen: eine MWSt-Erhöhung von 6.2% auf 6.5% für die Sanierung der Bundesfinanzen, eine von 6.5% auf 7.5% "für die AHV", eine von 7.5% auf 7.6% "für die NEAT", und nun wollen sie noch eine von 7.6% auf 8.3% "für die IV".
Im letzten Punkt ist die Linke erfolgreich - und macht damit die Umverteilung von unten nach oben überhaupt erst möglich. Das ist auch der Grund für den Erfolg: die Bürgerlichen, die diese Umverteilung wollen, stimmen mit.
Wenn wir davon ausgehen, dass es nicht das Ziel linker Politik sein kann, wenige Reiche reicher und alle anderen ärmer zu machen, tut ein Richtungswechsel not.
Kein linkes Nein zu Steuersenkungen!
Erstens: die Linke soll Steuersenkungen nicht ablehnen. Sie kann sich vielmehr profilieren: den Betrag nehmen, den die Rechte dem Staat entziehen will, und bessere Steuersenkungsvorschläge damit machen. Ein fester Frankenbetrag als Rabatt für alle statt Extratarife und Spezialausnahmen für wenige. Ein fester Frankenbetrag pro Kind statt Abzüge vom Einkommen, die nur den Spitzenverdienern etwas bringen. Abschaffung aller Abzüge und dafür stärkere Senkung der Tarife, so dass die Steuererklärung viel einfacher wird. Solche Vorschläge sind nicht nur besser, sondern auch populärer. Besonders neckisch wäre so etwas natürlich in Kantonen mit konstruktivem Referendum.
Unverantwortlich? Wer dauernd überstimmt wird und somit nichts beschliessen kann, kann gar nicht verantwortlich sein. Wer hier Unverantwortlichkeit wittert, hält sich für staatstragend. Das ist rührend, aber falsch. Die Rechte bestimmt in allen Belangen und trägt folglich auch die Verantwortung. In der Praxis viel wichtiger ist aber dies: wenn die Bürgerlichen die Steuern senken wollen, beschliessen sie das sowieso. Die Frage ist, ob man hilflos protestiert und als Bürgerschreck und Steuervogt dasteht, oder etwas Gutes daraus macht.
Wie der geschröpfte Staat den Fehlbetrag nun einsparen soll? Das muss die bürgerliche Mehrheit wissen. Sie wollte ja die Steuern senken. Und hat Angst vor Referenden und Abwahl.
Das ist aber noch nicht alles. Wir haben jetzt ja nur auf bürgerliche Steuerpolitiker reagiert. Und die wollen ja nur die Steuern für die Reichen senken. Wir wissen inzwischen, dass es noch andere Steuern gibt. Jetzt werden wir initiativ:
Steuernsenken als linke Forderung
Die rechte Mehrheit leistet sich eine Armee? Und drei Schnüffeldienste, einer unfähiger als der andere? Dann hat er offenbar zu viel Geld, also runter mit der Mehrwertsteuer! Jedes Jahr ein Vorstoss, und eine Nein-Parole bei jedem Erhöhungsversuch (obligatorisches Referendum, hehe).
Die Krankenkopfsteuern sind gestiegen? Warum sollte man das hinnehmen? Die Einkommenssteuern steigen ja auch nicht - also verlangen wir vom Kanton, dass er sie für die Steuerzahlenden gleich wieder senkt. Wer will und die Mehrheit hat, kann das ohne Weiteres - mit stärkeren Verbilligungen, einem höheren Staatsanteil an den Gesamtkosten, nicht zuletzt einer vernünftigeren Spitalplanung. Oder sind die Bürgerlichen etwa unfähig?
Linke, senkt die Steuern. Es wird ein Heidenspass.
Christoph Kaufmann ist Buchhalter in Bern.