Nordirland: Elf Tage bis Ultimo

Nr. 11 –

Bis Anfang übernächster Woche haben die SiegerInnen der Regionalwahl Zeit, sich zusammenzuraufen. Es wird kaum klappen.

Selten zuvor hat eine Bevölkerung über ein Parlament abgestimmt, dessen Halbwertszeit so kurz sein dürfte. Mitte letzter Woche wählten die NordirInnen die 108 Abgeordneten ihrer im Zuge des Friedensprozesses gebildeten Regionalversammlung. Doch es könnte gut sein, dass die britische Regierung die Assembly in elf Tagen auflöst und für immer abschafft. Sie hat den WahlsiegerInnen von letzter Woche eine Frist gesetzt: Sie müssen bis zum 26. März eine gemeinsame Regierung gebildet haben. Es sieht jedoch nicht so aus, als würden sie den Termin einhalten können - zu gross sind die Differenzen und zu gross ist das Misstrauen vor allem auf protestantischer Seite.

Die Wahl zur dritten nordirischen Assembly verlief so friedlich, wie Nordirland inzwischen geworden ist. Nur das Ergebnis zeigt, wie sehr die beiden Gemeinschaften - die probritischen unionistischen ProtestantInnen und die irisch-nationalistischen KatholikInnen - weiter auseinandergedriftet sind und wie polarisiert die Gesellschaft mittlerweile ist: Die politische Mitte schmilzt dahin. Die Parteien der beiden Friedensnobelpreisträger John Hume und David Trimble, die nationalistisch-sozialdemokratische SDLP und die protestantische Ulster Unionist Party (UUP), haben weiter an Boden verloren. UUP und SDLP waren vor wenigen Jahren noch die politischen Stützen gewesen, auf denen das Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 beruhte, und nur sie als HauptakteurInnen hatten bisher eine halbwegs funktionierende Regionalregierung zustande gebracht.

Doch mittlerweile hat die ehemalige IRA-Partei Sinn Féin die SDLP als wichtigste Partei des katholischen Mittelstands abgelöst, ohne an Zuspruch aus den Arbeitervierteln zu verlieren. Sie erzielte 26 Prozent der Erststimmen und vertritt damit weit mehr als die Hälfte des irisch-nationalistischen Bevölkerungsteils: Die SDLP bekam gerade noch 15 Prozent. Die republikanischen KritikerInnen von Sinn Féin (SF), die den staatstragenden Kurs der SF-Führung ablehnten - sie waren als Unabhängige angetreten -, erzielten nur Achtungserfolge.

Big Man Paisley

Noch dramatischer verlief der Sturz der gemässigt-unionistischen UUP. Sie wurde ab Beginn des Friedensprozesses von der Democratic Unionist Party (DUP) des Predigers Ian Paisley geradezu gedemütigt. Bei der Assembly-Wahl wiederholte sich für sie das Debakel der Unterhauswahl 2005: Die grosse Mehrheit der protestantischen Bevölkerung misstraut weiterhin dem Frieden und setzt unverdrossen auf ihren «Big Man» Paisley, der schon Anfang der sechziger Jahre vor der «papistischen Gefahr» gewarnt hatte.

Auf diesen Paisley, er ist mittlerweile achtzig Jahre alt, kommt es aber in den nächsten Tagen an. Laut Karfreitagsabkommen müssen die jeweils grössten Fraktionen beider Seiten in der Assembly den Regionalpremier (den sogenannten Ersten Minister) und dessen Stellvertreter stellen. Das bedeutet: Ian Paisley müsste mit seinen ehemaligen Todfeinden koalieren. Als seinen Stellvertreter hat SF bereits Martin McGuinness nominiert, einen früheren Stabschef der IRA. Die Konstellation ist freilich nicht neu. Schon bei der letzten Assembly-Wahl 2003 wurden DUP und SF zu den stärksten Parteien auf ihren Seiten des gesellschaftlichen Grabens. Doch sie konnten sich nicht auf eine gemeinsame Regierung verständigen. Aus diesem Grunde wurde die Assembly auch nie einberufen. Das könnte dem neu gewählten Regionalparlament wieder blühen.

Dabei haben SF und die IRA praktisch alle Forderungen der Unionisten und der Londoner Regierung erfüllt. Die IRA erklärte einen Waffenstillstand, akzeptierte den Friedensprozess und mit ihm, dass künftig die (weiterhin protestantische) Bevölkerungsmehrheit über die Zugehörigkeit Nordirlands zu Britannien entscheidet. Sie gab auch - im Unterschied zu den protestantischen Paramilitärs - ihre Waffen ab. SF wiederum berief erst vor wenigen Wochen einen Sonderparteitag ein, auf dem die Organisation gegen internen Widerstand der nordirischen Polizei (und damit auch den britischen Geheimdiensten) ihre Unterstützung zusicherte. Um in die Regierung jenes Staatsgebildes zu kommen, das die IRA fast drei Jahrzehnte lang bekämpfte, sprang SF bisher über jedes Stöckchen, das ihr hingehalten wurde.

Mehr Sekte als Partei

Vielen ProtestantInnen und der DUP ist das allerdings nicht genug. Die Hardliner in Paisleys Partei wollen auch nicht unbedingt in Stormont Castle amtieren, solange sie in London über genug Einfluss verfügen und die britische Regierung das garantiert, was ihnen am wichtigsten ist: die Union mit Britannien. Ihnen genügt der Status quo. Dazu kommt, dass mit dem raschen Wachstum der DUP die internen Widersprüche zugenommen haben. Anfangs war die Partei nicht mehr als der politische Flügel der Free Presbyterian Church gewesen, der Sekte von Ian Paisley. Zu dieser Schar von Gläubigen gesellten sich UUP-Abtrünnige, die David Trimbles Kompromisspolitik ablehnten, aber auch pragmatisch orientierte rechtskonservative PolitikerInnen - die TechnokratInnen der nordirischen Taliban, wie sie die irische «Sunday Business Post» am Wochenende nannte.

Dementsprechend widersprüchlich sind jetzt, nach dem Wahlerfolg, die Signale: Während die einen auf den alten Kernaussagen bestehen («keine Konzessionen!»), streben die anderen auch nach der politischen Macht in Nordirland. Aber eilig haben es beide DUP-Strömungen nicht: Wenn, wie allgemein erwartet wird, die nächste Unterhauswahl im Vereinten Königreich zu einem Patt führt, keine Partei die parlamentarische Mehrheit gewinnt, dann zählt jeder Sitz. Dann kann die DUP in London wieder hoch pokern.

Ob Paisley sich in den nächsten Tagen mit den «Terroristen» einigt, hängt folglich ganz davon ab, ob Downing Street 10 in den nächsten Tagen genügend Druck aufsetzt. An Zuckerbrot mangelt es nicht. Nur eine Assembly und eine funktionierende Regionalregierung, so heisst es in London, könnten verhindern, dass Britannien in Nordirland unpopuläre Massnahmen durchsetzt wie eine Anhebung der Gemeindesteuern oder die Einführung von Wassergebühren. Aber auch die Peitsche ist da. Sollte es bis zum 26. März zu keiner Vereinbarung zwischen DUP und SF kommen (UUP und SDLP sind ohnehin bereit, sich als JuniorpartnerInnen an der Allparteienregierung zu beteiligen), drohen London und Dublin mit einem Plan B. Er sieht eine Auflösung der Assembly und aller Gemeinderäte vor. An ihre Stelle sollen sieben grosse Bezirksverwaltungen treten, in denen die Republik Irland als Vertreterin der katholischen Minderheit mitreden kann.

Aber ist diese Drohung auch ernst zu nehmen? London hat in den vergangenen Jahren oft Ultimaten und «allerletzte Termine» verstreichen lassen. Und so ist höchst ungewiss, ob das Schreckgespenst einer Dubliner Mitsprache die ProtestantInnen bewegen kann. Möglicherweise entscheidet sich ja Paisley, ohne den in Nordirland nichts geht, für einen kurzfristigen Kompromiss: Die DUP verpflichtet sich zur Regierungsbildung mit Sinn Féin, sorgt so dafür, dass die Assembly einberufen wird, Plan B wieder in den Schubladen verschwindet - und lässt die Koalition bei nächster Gelegenheit platzen. Anlässe dafür wird es genug geben. SF-Präsident Gerry Adams und DUP-Vize Peter Robinson rechnen damit (und darin sind sie ausnahmsweise gleicher Meinung), dass in einem gemeinsamen Kabinett «jeden Tag eine neue Schlacht» geschlagen wird.

Auch die erste Regionalregierung - sie amtierte zwischen 1999 und 2002 - kollabierte viermal, obwohl damals die gemässigten Parteien UUP und SDLP den Ton angaben. Und jedes Mal übernahm London danach wieder die Direktverwaltung und tat in der Krise genau das, was den protestantischen UnionistInnen entgegenkam.