Agrarpolitik: Wovon reden die überhaupt?
«Gesamtbetrieblichkeit», «Verwertungsbeitrag», «Verkäsungszulage» - LaiInnen verstehen da nur Bahnhof. Die WOZ erklärt, worüber in der Nationalratsdebatte zur Agrarpolitik gestritten wurde.
Gesamtbetrieblichkeit im Biolandbau: Wer als BiobäuerIn anerkannt sein will, muss den ganzen Hof biologisch bewirtschaften. So war es bisher. Denn der Kreislaufgedanke ist ein wichtiger Grundsatz des Biolandbaus: Das Tierfutter muss grösstenteils vom eigenen Hof stammen, der Mist wieder auf dem eigenen Boden ausgeführt werden. Das schont Boden und Grundwasser. Neu ist Biolandbau auf Teilflächen möglich - eine Angleichung an EU-Gesetze. Damit ist der geschlossene Kreislauf nicht mehr gewährleistet. Der Nationalrat stimmte dieser Lockerung zu, gegen den Willen der Linken und Grünen. Zumindest einen Vorteil könnte die neue Regelung haben: Es könnte mehr Biobrotgetreide in der Schweiz angebaut werden (heute werden etwa drei Viertel importiert). Nur wäre es nicht mehr ganz so streng bio. - Bio Suisse vergibt das Knospe-Label weiterhin nur an komplett biologisch bewirtschaftete Höfe.
Parallelimporte: Patentgeschützte Güter wie Traktoren, Dünger, Herbizide oder Tierarzneien sind in der Schweiz viel teurer als in den Nachbarländern. Seit langem fordern BäuerInnen das Recht, solche Waren direkt beim billigsten Anbieter im Ausland kaufen zu dürfen, an den offiziellen Vertriebskanälen vorbei. Das hilft allen BäuerInnen - den BiobäuerInnen etwas weniger, weil sie keine Agrochemie benützen, aber auch sie brauchen Traktoren und Maschinen. Ein solches bäuerliches Grundanliegen sollten die SVP-NationalrätInnen eigentlich unterstützen. Doch sie folgten den Interessen der Pharmaindustrie, die eine Aufweichung des Patentschutzes befürchtet. Damit es nicht so auffiel, dass sie die BäuerInnen hier im Stich liessen, argumentierten sie vor allem ideologisch: «Was hier geschieht, ist ein Angriff auf das Privateigentum. Das Privateigentum ist für unsere Fraktion eine zentrale Säule einer freien Wirtschaftsordnung» (Caspar Baader, SVP, BL). Doch die SVP kam nicht durch; der Nationalrat bewilligte die Parallelimporte. Auch einige SVP-Bauern stimmten dafür.
Verkäsungszulage: Käse ist eines der wichtigsten Exportprodukte der Schweizer Landwirtschaft. Heute zahlt die Schweiz Beiträge an Käsehersteller wie Emmi, damit diese den MilchlieferantInnen einen höheren Milchpreis garantieren. Der Käsemarkt wird am 1. Juni dieses Jahres gegenüber der EU vollständig geöffnet. Damit die Schweizer Milchbauern konkurrenzfähig bleiben, wollte der Bundesrat die Verkäsungszulage beibehalten, jedoch von fünfzehn auf zehn Rappen pro Liter verkäster Milch senken. Das eingesparte Geld sollte in höheren Beiträgen pro Kuh direkt den BäuerInnen ausbezahlt werden. Diese Umlagerung wäre schonend produzierenden BäuerInnen und MutterkuhhalterInnen zugute gekommen. Im Nationalrat konnten sich jedoch die grossen Milchbauern durchsetzen: Die Verkäsungszulage bleibt bei fünfzehn Rappen.
Linke und Grüne kritisieren diesen Entscheid: «Wir sind dagegen, dass die Öffentlichkeit die Milchindustrie subventioniert. Diese sollen den Bauern auch ohne Zulagen einen fairen Preis zahlen. Und für die Bauern ist die hohe Verkäsungszulage ein Anreiz, möglichst viel Milch zu produzieren, also ein Maximum aus Boden und Kuh herauszuwirtschaften», sagt Maya Graf (Grüne, BL) gegenüber der WOZ. Genau das wollen die Bürgerlichen: Markus Zemp (CVP, AG) sprach sich im Rat dafür aus, jährlich ein bis zwei Prozent mehr Milch zu produzieren: «Das entspricht in etwa dem, was eine Kuh dank Fortschritten in der Zucht, der Haltung und der Fütterung jährlich mehr produziert.»
Höchsttierbestände: In der Schweiz darf ein Betrieb heute höchstens 18000 Legehennen, 27000 Masthühner, 500 Zuchtschweine oder 1500 Mastschweine halten. Nur wenige Betriebe schöpfen diese Limiten aus. Die vorberatende Kommission des Nationalrates wollte sie trotzdem aufheben. Für diese Aufhebung legten sich einige Nationalräte ins Zeug, etwa der Schweinezüchter Marcel Scherer (SVP, ZG), der offenbar nicht allzu viel von seinen Tieren hält, denn er verglich sie mit Türen, Liften und Ventilen: «Stellen Sie sich vor, Kollege Markus Hutter dürfte gesetzeshalber in all seinen Werkstätten höchstens fünf Autolifte haben, obwohl er Alteisen und Altöl usw. redlich entsorgt.»
Gegen die Aufhebung wehrten sich SP, Grüne und auch der Bauernverbands-Präsident Hansjörg Walter (SVP, TG): Grosse Mastbetriebe seien keine bäuerliche, unterstützungswürdige Landwirtschaft mehr, sondern Tierfabriken. Es drohten Gewässerverschmutzung, Probleme mit der Raumplanung und Seuchen. Das wichtigste Argument war jedoch der gute Ruf der Schweizer Tierhaltung: «Denken Sie, Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten seien nach wie vor bereit, das teurere Schweizer Schweinefleisch zu kaufen, wenn es genau gleich produziert wird wie im Ausland?» (Maya Graf, Grüne, BL). Diese Argumente überzeugten den Nationalrat.
Verwertungsbeiträge: Beim Zucker gab es zwei Minderheitsanträge: Die SVP war dafür, die Zuckerfabriken zeitlich unbegrenzt weiterzusubventionieren. Ein linker Antrag wollte hingegen die Unterstützung der Zuckerproduktion - auch die Zahlungen an die BäuerInnen - ganz abschaffen. Die Linke wies darauf hin, dass Zucker nicht zur Grundversorgung gehöre und es entwicklungspolitisch sinnvoll wäre, ihn zu fairen Preisen zu importieren. Der Entscheid war schliesslich ein Kompromiss zwischen Linken, FDP und CVP - gegen die SVP. Die Beiträge an die Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld werden umgelagert in Direktzahlungen an die ZuckerrübenbäuerInnen - jenes System, das der Rat bei der Milch ablehnte. Markus Zemp (CVP, AG) meinte, wenn immer mehr Zuckerrohr für die Treibstoffproduktion verwendet würde, seien wir vielleicht bald einmal froh über eine einheimische Zuckerproduktion. Auch die Verwertungsbeiträge für Kartoffeln und Ölsaaten wie Raps oder Sonnenblumen hob der Nationalrat gegen den Willen der SVP auf.
Ökologisierung: Linksgrün stellte eine ganze Reihe von Anträgen zur stärkeren Ökologisierung der Landwirtschaft. Zum Beispiel eine Nutzungszulage für Hochstamm-Obstbäume, die Förderung der Energieeffizienz in der Landwirtschaft und der Biosaatgutzucht oder strengere Bedingungen für den Ökologischen Leistungsnachweis (dieser ist eine Grundbedingung, um überhaupt Direktzahlungen zu erhalten. Heute gehören dazu etwa eine Beschränkung des Gifteinsatzes oder ökologische Ausgleichsflächen auf sieben Prozent der Nutzfläche). Kein einziger der insgesamt zehn ökologischen Anträge kam durch. Ein Grund, dass die SP grösstenteils und die Grünen in der Schlussabstimmung geschlossen gegen den Gesetzesentwurf stimmten.
Sozialstandards: Heute sind die Arbeitsbedingungen der landwirtschaftlichen Angestellten kantonal geregelt. Ein Minderheitsantrag von Andrea Hämmerle (SP, GR) forderte, einen gesamtschweizerischen Normalarbeitsvertrag auszuarbeiten. Die Einhaltung dieses Vertrags solle für einen Bauernbetrieb Bedingung sein, um weiterhin Direktzahlungen zu erhalten. Trotz eines flammenden Plädoyers von Paul Rechsteiner (SP, SG) hatte der Antrag bei der bürgerlichen Mehrheit keine Chance: «Es wird hier eine Koppelung der Sozialpolitik mit der Agrarpolitik gemacht», meinte Caspar Baader (SVP, BL) lapidar (wenn es ums Einkommen der Bauernfamilien geht, hat die SVP nichts gegen eine solche «Koppelung»). Auf den Punkt brachte es Hugo Fasel (Grüne, FR): «Ist es zu viel verlangt, wenn neben den Tierschutzbestimmungen auch die Menschenschutzbestimmungen eingehalten werden müssen?