Cricket: Aufschwung dank Schlägern

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In der Karibik findet zurzeit der neunte Cricket-Worldcup statt. Die neun karibischen Staaten, die als Austragungsorte fungieren und ein gemeinsames Nationalteam bilden, erhoffen sich Aufschwung und den Titel. Und schnelles Geld durch ein spezielles Worldcup-Visum.

«Unser Erbe, unsere Leidenschaft, unser Sport!», «Cricket - the game of love and unity!»: So und ähnlich wird zurzeit die neunte Cricketweltmeisterschaft in den hiesigen Radioprogrammen angepriesen. Die karibischen Inseln sind erstmals WM-Austragungsort dieser Sportart, die in den ehemaligen englischen Kolonien weitaus populärer ist als Fussball. Dem Festlandeuropäer fällt es dennoch schwer zu glauben, dass dieser Event - zumindest was die TV-Übertragungen angeht - tatsächlich die drittgrösste Sportveranstaltung nach den Olympischen Spielen und der Fussballweltmeisterschaft ist.

Für Garfield Ballentyne aus Sandy Bay, St. Vincent, ist dies weniger erstaunlich. In seiner Kindheit und Jugend war er wie die meisten Jungen in St. Vincent begeisterter Hobbycricketer. Aus Stängeln von Palmenblättern fertigten er und seine Spielkameraden Cricketschläger. Als Bälle dienten zurechtgeschmolzene Plastikklumpen oder einfach nur Zitrusfrüchte. Anstelle der sogenannten «Wickets» - die Anordnung der fünf hölzernen Stäbe, die es mit dem Ball zu zerstören gilt - benutzten sie leere Colabüchsen. «Früher musste uns eine solch improvisierte Ausrüstung genügen», sagt der 35-Jährige. «Heute ist die Situation eine andere, und das Sportministerium stellt den Schulen reichlich Equipment zur Verfügung. Zwischen den verschiedenen Schulen der Insel werden Wettkämpfe ausgetragen. Cricket wird seit fünfzehn Jahren stärker gefördert.»

Wie man denn über Cricket als typisch englische Sportart der Upperclass denke, möchte ich wissen. Hat denn hier niemand ein Problem mit der Herkunft des Sports aus der ehemaligen Kolonialmacht? «Nicht im Geringsten», lacht Ballentyne. «Jeder und jede wächst in den West Indies mit Cricket auf. Das ist unser Sport. Ich habe früher nie Fussball oder Basketball gespielt. Für mich gab es nur Cricket. Da macht man sich keine Gedanken über die Vergangenheit, und wir sind stolz darauf, dass die diesjährige Weltmeisterschaft bei uns stattfindet. Bis anhin wurden stets Länder wie England oder Australien als Austragungsorte gewählt. Nun sind wir an der Reihe, und für den Ruf der West Indies und zukünftige Events ist der Worldcup ein sehr massgebendes Ereignis.»

«Korrupte Situation»

Bei weitem pessimistischer fällt das hiesige Medienecho aus. So wird in «The News», der grössten Lokalzeitung von St. Vincent, nicht nur auf die «koloniale Natur» des offiziellen Weltcup-songs und -maskottchens hingewiesen, auch die immensen Ausgaben, welche dieser Anlass verursacht hat, werden sehr kritisch beurteilt. Von Versprechen magischer Gewinne, inadäquaten Kosten-Nutzen-Rechnungen und der Unfähigkeit, das verwendete Geld in sinnvolle Strukturen zu investieren, ist da die Rede. Was durch die Medien vor allem ersichtlich wird, ist die momentane Enttäuschung über die Situation der Cricketszene der anglophonen Karibikstaaten, der West Indies, im Allgemeinen - dies trotz aller Förderung. «Wir haben immer noch ein starkes Team, aber der Glanz der Siebziger ist verflogen», sagt Garfield Ballentyne. «Ein Grund hierfür ist die korrupte Situation im westindischen Cricket: Wahre Talente von der Strasse, die eindeutig eine Chance verdient hätten, werden kaum gefördert.» Stattdessen fördere man Cricketer der fünf grossen Inseln. «Spieler aus Jamaika, Trinidad, Guyana, Antigua und Barbados landen viel eher im Nationalteam als Cricketer von weniger bedeutenden Inseln wie St. Vincent oder Surinam.» So scheint auch ein wenig das Interesse am Spiel zu schwinden. Das Finale des KFC-Cups vor zwei Wochen, dem grossen westindischen Cricketturnier, benannt nach der Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken, fand vor äusserst kleinem Publikum statt.

Die Eintagesregel

Die anglophonen Karibikstaaten bilden die West Indies und zugleich auch eine gemeinsame Cricketnationalmannschaft, das West Indian Cricket Team. Sie beherrschten die Cricketwelt in den siebziger und achtziger Jahren und holten sich 1975 und 1979 gleich zweimal in Folge den Weltmeistertitel. In den letzten zweieinhalb Dekaden bekannten die «Windies» allerdings einige Mühe, mittels guter Resultate wieder an die Zeiten glorreicher Tage anzuknüpfen. Seit ihrem zweiten Weltmeistertitel schafften sie es in kein Weltcup-Halbfinale mehr.

Die Liste populärer Spieler, die die West Indies in ihrer fast achtzigjährigen Geschichte auf internationaler Ebene hervorgebracht haben, ist dennoch lang. Einer davon ist Brian Lara aus Trinidad, der Captain des Nationalteams. Lara ist in den West Indies eine Sportikone und hält diverse Rekorde. Sein Team stellt zusammen mit Pakistan, Irland und Simbabwe die Gruppe D unter den insgesamt sechzehn teilnehmenden Nationen beim Worldcup dar. Aufgrund des Heimvorteils zählen die Windies dieses Jahr durchaus zu den Favoriten auf den Titel (sie gewannen am 13. März denn auch das Eröffnungsspiel gegen Pakistan). Weitere Favoriten sind der amtierende Weltmeister Australien sowie Indien, Südafrika. In den vier Vierergruppen spielt jeder gegen jeden, die acht punktbesten Teams stossen in die zweite Runde vor. Das Final findet am 28. April auf Barbados statt. Das Spiel mit Ball und Schläger, Runs und Wickets ist für Festlandeuropäer oft unergründlich. Spiele dauern normalerweise mehrere Tage. Die Begegnungen an der WM unterstehen jedoch der Eintagesregel: Beginn ist um halb zehn Uhr morgens, das Spiel dauert bis abends, inklusive Lunch- und Teepausen.

Fernsehtauglich, bitte!

Trotz des in den Medien beklagten schwindenden Publikumsinteresses ist im westindischen Cricket einiges an Geld im Spiel. Und in letzter Zeit scheint sich alles um einen Mann zu drehen: Allen Stanford. Stanford ist Gründer und Vorsitzender der Stanford Financial Group, erhält im Moment allerdings eher wegen Bestechungsvorwürfen als aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs Medienpräsenz. Der milliardenschwere Texaner ist sowohl Besitzer der Caribbean Star als auch der Caribbean Sun Airlines und unterhält einige Finanzinstitute und Offshore-Banken in Antigua und Barbuda. Vor zwei Jahren etablierte er als Hauptsponsor das Stanford-Twenty20-Tournament.

Twenty20-Cricket ist eine neuere Variante des Sports, die den modernen Medien gerecht zu werden versucht. Pro Abschnitt ist eine Maximalspieldauer von 75 Minuten festgelegt. Die Spielabschnitte sind gegenüber der traditionellen Auslegung verkürzt. Cricketpuritaner beobachten diese Interpretation ihrer Sportart mit kritischem Blick, obwohl - oder vielleicht gerade weil - das Herunterbrechen des Spiels auf schnellere, fernsehtaugliche Abläufe eine Möglichkeit darstellt, neue Zuschauer und Anhängerinnen zu gewinnen. Financier Stanford beschloss, 28 Millionen US-Dollar in die westindische Cricketszene zu investieren und sich so zum unbestrittenen Mäzen des Sports zu mausern. In der Karibik gibt man sich vielerorts überzeugt, dass der texanische Finanzexperte das zustandebringt, was der hiesige Cricketverband, das West Indian Cricket Board, jahrelang versäumt hat, nämlich die Sportart in dieser Region nachhaltig zu fördern und weiterzuentwickeln. Für den Worldcup floss auch Geld von anderswo: China und Indien finanzierten auf Jamaika, Grenada sowie in Guyana drei neue Stadien.

Um das WM-Spektakel live miterleben zu können, muss man sich einem bürokratischen Prozess unterziehen, der in den letzten Monaten in vielen Tourismus- und Reiseforen für Empörung sorgte. Für die Einreise in eines der WM-Länder benötigt man nämlich das Caricom-Special-Visum. Caricom, die Karibische Gemeinschaft, ist eine seit 1973 bestehende internationale Organisation mit Sitz in Georgetown, Guyana. Sie ersetzte die damals bestehende karibische Freihandelszone Carifta (Caribbean Free Trade Area) und strebt nach einer Gemeinschaft, die nicht nur wirtschaftliche und aussenpolitische Zusammenarbeit, sondern auch eine Kooperation in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Erziehung, Kultur und Sport sowie Wissenschaft und Technik zu etablieren sucht. Mittlerweile gelten fünfzehn Staaten und britische Überseegebiete mit einer Gesamtbevölkerung von rund fünfzehn Millionen Einwohnern als Caricom-Vollmitglieder.

Geldmaschine

Im Rahmen der Sicherheitsvorkehrungen für die Cricketweltmeisterschaft 2007 wurden für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 15. Mai zehn dieser Länder zu einem «Single Domestic Space» zusammengefasst, nämlich Antigua and Barbuda, Barbados, Dominica, Grenada, Guyana, Jamaika, St. Kitts and Nevis, St. Lucia, St. Vincent and the Grenadines sowie Trinidad and Tobago. Wer nun im besagten Zeitraum in eines dieser Länder einreisen möchte, kann dies nur mit dem speziellen Visum tun. Von dieser Regel ausgenommen sind Staatsangehörige aller Caricom-Länder (ausser Haiti) sowie Kanada, USA, Japan, Südafrika, Grossbritannien und sechs weitere europäische Staaten. Der Rest der Welt (und dazu gehört für einmal auch die Schweiz) hat sich der sonderbaren Visumspflicht zu fügen und hundert US-Dollar zu bezahlen, die von der Caricom dafür verlangt werden.

Bei den hundert Dollar bleibt es jedoch nicht: Eine Schweizer Touristin, die zwischen Februar und Anfang Mai Ferien in der Karibik verbringen will - ohne die Absicht, ein Cricketspiel besuchen zu wollen -, kommt um die Gebühr nicht herum. Um das Visum zu erlangen, muss sie einen internationalen Kurierdienst beauftragen, der ihren roten Pass nach London und wieder zurück spediert. Für alle europäischen BittstellerInnen ist nämlich nur die Barbados High Commission in London zuständig.

Eine ziemlich mühsame Aktion also, die einiges kostet. So zahlt man als Schweizer zurzeit schnell einmal rund 350 Franken für einen wenige Quadratzentimeter grossen Aufdruck in seinem Pass. Oder für die allgemeine Sicherheit? Man ist sich hierzulande ziemlich einig, dass das Spezialvisum eher eine Geldmaschine denn eine Sicherheitsvorkehrung darstellt - und bestimmt eine recht viel versprechende, zieht Cricket doch eher gutbetuchte Zeitgenossen an. Zwar musste der Tourismussektor in der Karibik aufgrund verärgerter TouristInnen derweil auch stornierte Hotelbuchungen hinnehmen. Insgesamt werden aber verdoppelte oder gar verdreifachte Hotelpreise und zusätzliche Belegschaften in Restaurants und Bars das Ihrige dazu beitragen, um einen kleineren ökonomischen Aufschwung in der Region zu bewirken.

Schottland ausgeschieden

Am letzten Dienstag gewann an der Cricket-WM in den Gruppenspielen Neuseeland sehr deutlich gegen Kenia. Und Südafrika machte die Hoffnungen der Schotten auf ein Weiterkommen zunichte. Die beiden Sieger haben sich neben den West Indies und Australien bereits für die zweite Runde («Super 8») qualifiziert. Berichte, Resultate und Tabellen gibts auf news.bbc.co.uk/sport und auf der offiziellen Website cricketworldcup.indya.com.