Arbeitskonflikt auf dem Bau: Wer gibt nach?

Nr. 22 –

Warum der Baumeisterverband den Gesamtarbeitsvertrag kündigt und was das für die Personenfreizügigkeit bedeuten könnte.

«Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem gekündigten Gesamtarbeitsvertrag und der Personenfreizügigkeit», sagt Werner Messmer, Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes (SBV) und FDP-Nationalrat. Für ihn und die anderen Baumeister geht es um einen besseren Vertrag, um zusätzliche Arbeitsstunden, die die Unternehmen nach Bedarf anfordern können.

Aber so einfach ist das nicht. Den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Beschäftigten auf dem Bau kündigen, wie es der SBV letzte Woche getan hat, verschärft die Stimmung. Auf den Baustellen arbeiten immer öfter Deutsche, Polen oder Tschechen, und das zu Löhnen, die deutlich unter den Schweizer Minimallöhnen liegen (Tschechen, die für knapp tausend Franken Monatslohn arbeiteten, trafen etwa die Gewerkschaftskontrolleure vor drei Wochen auf der Fenaco-Baustelle in Dotzigen, siehe WOZ Nr. 19/07).

Arbeitsfrieden gefährdet

Messmer behauptet, dass solche Probleme nur im Baunebengewerbe, etwa bei Malern, Gipsern oder Fensteranschlägern vorkämen, nicht aber im Bauhauptgewerbe, das die Mindestlöhne einhalte. Das mag vielleicht stimmen. Trotzdem trifft man aber auf Berner Baustellen auch Poliere und Vorarbeiter, die sich offen gegen die Personenfreizügigkeit aussprechen, ein Indiz dafür, dass sich alle Beschäftigten im Bausektor vom Lohndumping bedroht fühlen. Da beruhigen auch die Statements des SBV nicht. Weder die Feststellung, dass der GAV ja bis Ende September gelte, noch die Versicherung, dass die Baumeister auch in Zukunft die Bestimmungen des gekündigten GAV einhalten werden.

Im Gegensatz zum SBV sehen die Gewerkschaften Unia und Syna sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem gekündigten GAV und der Personenfreizügigkeit: «Ohne allgemeinverbindlichen GAV mit verbindlichen Mindestlöhnen wird dem - bereits jetzt nur schwer kontrollierbaren - Lohn- und Sozialdumping Tür und Tor geöffnet.» Der Entscheid des SBV gefährde den Arbeitsfrieden auf dem Bau und den sozialen Frieden in der Schweiz, schreiben die Gewerkschaften. Trotzdem geben sie sich zurückhaltend und wollen die Angelegenheit im Rahmen der Sozialpartnerschaft lösen. Vorderhand ist offen, ob wirklich ein vertragsloser Zustand eintritt, denn für beide Seiten steht sehr viel auf dem Spiel.

Die Unia mobilisiert

Carmen Rocha ist für die Unia auf dem Platz Bern seit fünf Jahren in diesem harten Geschäft. Eine Frau um die fünfzig, die sich nicht zur Seite schieben lässt. Sie geht mit ihrem Kollegen Cihan Apaydin von Baustelle zu Baustelle und verteilt Flugblätter der Unia. Da heisst es zur Kündigung des GAV kurz und bündig: «Kampfansage - Frontalangriff auf unsere Rechte», und zwar auf Deutsch, Italienisch, Spanisch, Serbisch und Albanisch. Viel ist nicht los auf den Baustellen, die sie an diesem Tag besuchen. In Niederwangen stossen sie auf einen Polier und zwei spanische Bauarbeiter, die gerade damit beschäftigt sind, das Fundament eines Warenlagers einzuschalen. Der Polier gibt sich interessiert und diskussionsbereit - aber was er wirklich denkt, bleibt offen. Die beiden Spanier hingegen sind entschlossen, allfällige Kampfmassnahmen zu unterstützen. Rocha will ihre Leute mobilisieren und den Baumeistern zeigen, dass man mit ihnen nicht einfach umgehen kann, wie man will.

Inzwischen haben die beiden Unia-Leute die Grossbaustelle in Brünnen erreicht. Dort wird im Zweischichtbetrieb für die Migros geschalt und betoniert. Nebst den Stammbelegschaften haben die beteiligten Unternehmen noch dreihundert Temporäre beschäftigt - die meisten von ihnen kommen aus dem Ausland. Der Bauleiter, den Rocha in ein Gespräch verwickelt, kann noch nicht richtig glauben, dass der Verhandlungsabbruch das letzte Wort ist. «Die müssen sich doch wieder zusammensetzen und weiterreden.»

Damit hat er wohl Recht. Die Baumeister haben zwar ein gepfeffertes Communiqué veröffentlicht mit dem Schlusssatz: «Der SBV ist jederzeit gesprächsbereit. Die Kündigung wird jedoch erst dann zurückgezogen, wenn die Gewerkschaften auf die Forderungen des SBV eingehen.» Die Kapitulation der Gegenseite als Vorbedingung für weitere Verhandlungen ist aber eine irrationale Haltung. Das weiss auch der SBV: «Kompromissbereitschaft ist eine Bedingung für Verhandlungen», sagt Messmer: «Wir wollen das möglichst schnell regeln.» Die Gesetze zu den flankierenden Massnahmen bleiben laut Messmer in Kraft, und die Arbeitsbedingungen seien weiterhin verbindlich. Angesichts der guten Baukonjunktur müsse sich kein Berufsmann Sorgen um Lohn und Arbeit machen. Aber gleichzeitig sei ihm bewusst, dass er mit hohem Einsatz spiele: «Doch wir schliessen mit den Gewerkschaften keinen GAV ab, der nicht auch unsere Interessen berücksichtigt», sagt Messmer.

Die Gewerkschaften ihrerseits wollen zeigen, dass man sie ernst nehmen muss. Sie wollen auch vergessen machen, dass ihnen bei der letzten Lohnrunde die Mobilisierung der Basis nicht recht gelingen wollte. Und sie wissen natürlich, dass es ohne sie schwierig werden dürfte, die Personenfreizügigkeit mit der EU zu konsolidieren.


Personenfreizügigkeit

Am 1. Juni tritt die volle Personenfreizügigkeit in Kraft. Damit werden die BürgerInnen der 15 alten EU-Staaten sowie der Efta-Länder Norwegen und Island freien Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt haben. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rechnet mit einer verstärkten Zuwanderung. Die flankierenden Massnahmen sollen garantieren, dass dadurch die Löhne nicht unter Druck kommen. Ob das Freizügigkeitsabkommen weitergeführt und auf die neuen EU-Staaten ausgedehnt wird, entscheidet das Parlament. Der Beschluss unterliegt dem fakultativen Referendum und käme 2009 vors Volk.