Autocross: Motorsport ist hart
43 Rennen, 43 Pokale, alle zehn Minuten ein neuer Rennstart. Am Internationalen Autocross auf dem Hoch-Ybrig rasten, schleuderten, überschlugen sich die abgespeckten, aufgemotzten Kisten.
Nachdem meine Fotografin und Fahrerin nach einer kleinen Unterhaltung mit den Platzeinweisern unseren Opel Vectra sicher im Parkhaus der Hoch-Ybriger Bergbahnen verstaut hat, geht es auch schon los. Ich finde mich zwischen den Autocrossern wieder, auf der Suche nach meiner Ansprechperson Sepp Marty, Veranstalter des Rennens, Fahrer und Favorit auf den Sieg in der Königsklasse. Die Typen sehen ganz gemütlich aus, solange man ihnen nicht die falschen Fragen stellt («Wie steht es mit der Umwelt?») oder der Sprit alle ist. Viele tragen Käppi, Schnauz, Kippe zwischen den Lippen und das Renncombi lässig um den Bauch offen, um ein wenig Brusthaar zu zeigen.
Rund 110 Fahrer und 10 Fahrerinnen nehmen am zweitägigen Rennspektakel teil, Leute allen Alters und jeglicher Statur scheinen an diesem Rennen zugelassen zu sein. So stehts auch im Regelbuch: lizenzfreies Rennen. Ein Mann, der sich später als Marty herausstellen wird, besteigt eine dreirädrige Vespa und verliest die Vorschriften. Marty droht, falsch parkierte Autos mit dem Gabelstapler «irgendwohin» zu bringen, während er mit der Hand Richtung Mekka wedelt.
Alles rast auf die Kurve zu
Es ist so weit: Ein weiteres Kapitel Autocrosswahnsinn beginnt. Ein Rennen, das im Rahmen des Dreinationencups stattfindet (Deutschland, Frankreich und Schweiz) und zur Europameisterschaft gehört. Und Schweizer Meister werden in der Kategorie Handicap kann man auch noch. Mit den Einzelzeitfahrten am Samstagmorgen werden die Startpositionen bestimmt. Eine heikle Angelegenheit, denn einerseits möchte man natürlich so weit vorne wie möglich starten, andererseits wäre ein Schaden an der Karre, bevor der Spass richtig beginnt, eine Pein.
Am Nachmittag gehen die Rennen los. Die verschiedenen Klassen, Serienwagen, Serien-Abarth, Damen (die Frauen dürfen auch bei den Männern mitfahren), Spezialfahrzeuge, Käfer und Spezialcross splitten sich auf in verschiedene Hubraumkategorien, ein kompliziertes System von Gewicht, Bauart und so weiter muss berücksichtigt werden, und so kommt man auf vierzehn Starts pro Lauf. Es gibt 43 Rennen und ebenso viele Siegerpokale. Ein Rennen geht je nach Kategorie über sieben oder zehn Runden und dauert rund zehn Minuten. Am Sonntag findet dann noch, zum Schluss, der Handicap-Grand-Prix statt, wo sich die besten und wildesten FahrerInnen messen können: Die Erst- und Zweitplatzierten aller Rennen einer Kategorie (zum Beispiel der Serienwagen) treten gegeneinander an. Marty selbst fährt in der Kategorie Spezialcross, es ist die Königsklasse. Zum Schluss werden noch Fragen beantwortet. «Wo ist das Ziel?», will einer wissen, und: «Wo die Tankstelle?» Es wird «Viel Spass» gewünscht, und der Chef sagt verschwörerisch: «Baut keine Unfälle!»
Die Zündschlüssel werden gedreht, die Motoren laufen warm, die ersten Karren fahren an den Start, einige mit Mechanikern, Frauen, Kindern, lässig auf der Beifahrerseite raushängend. Die Kisten heulen auf, die Ampel springt auf grün, Kupplungen spicken, der Staub wirbelt, und die Kisten preschen mit rauchenden Reifen vor. Alles rast auf die erste Kurve zu, ausser einer, der bleibt kläglich am Ort stehen. Ein Opel Corsa und ein Käfer produzieren denn auch gleich einen Unfall. Von der Teerpiste gehts über auf Schotter, über einen unübersichtlichen Hügel runter durch eine lang gezogene Linkskurve zurück auf den Teer, wo die Karren richtig Speed machen. Dann geht es in eine gefährliche Rechtskurve, zwischen Talstation und Parkhaus runter, und nach einer Haarnadelkurve donnern die Kisten in die Zielgerade. Von einer Brücke, die über die Strecke führt, geniesst man gute Aussicht und könnte sogar auf die vorbeiflitzenden Autos spucken.
Ich will mir ein Wasser holen. «Haben wir nicht», sagt die Verkäuferin. «Dann ein Bier», antworte ich. Sie: «Das haben wir, schmeckt eh viel besser als Wasser.» Im Reglement wird den FahrerInnen vom Alkoholkonsum während des Rennens abgeraten.
Ein Typ mit einem Suzuki Swift gewinnt eines der zahlreichen Rennen, und schon startet das nächste. Die Motoren heulen gierig auf, und die ZuschauerInnen stehen hinter kniehohen Stahlträgern an der gefährlichen Kurve. Wird sich einer überschlagen? Wie viele Unfälle wird es geben? Laut Sepp Marty sind die Rennen ein wenig chaotisch, «Spass halt, alles Hobby», und so halte ich lieber ein wenig Abstand zur Rennpiste. Sandy Fahrni, ein Jurassier, hat eben mit seinem VW Scirocco gewonnen, das hat er schon in den beiden letzten Jahren, er ist aber trotzdem «heureux». Sein Cousin Simon Rebetz fährt in einem aufgemotzten VW Golf vor. Er wurde Zweiter. Schulterklopfen, Champagner auftun, anstossen. Reto Roth aus Effretikon, einer der Favoriten der Königsklasse, erklärt mir sein Geschoss namens Opel Spitznagel. «Das Chassis kann man in Deutschland kaufen, aber sonst ist das meiste selbst gemacht», sagt er und erklärt mir die Einspritzanlage seines VW-Golf-Motors.
Das Material ist erstklassig: Die Hobbycrosser fahren alle mit Profi-Rallyereifen: tiefes Profil, weicher Gummi, perfekter Halt. Sein Kollege startet seinen umgebauten VW Käfer gleich neben uns - der Motor ragt weit hinten raus und macht einen Höllenlärm. Ein Gespräch im näheren Umkreis ist unmöglich. Der Pilot mit Vokuhilafrisur lässt mit Kippe zwischen den Lippen und professionellen Fussbewegungen seine Kiste für das Rennen warm laufen. Wir verziehen uns zur Rechtskurve, und schon schlittert vor uns einer in die Banden rein, worauf Roth meint, hier seien in den letzten zwei Jahren schon einige durch die Gegend geflogen. Er bleibe lieber einige Meter hinter der Abschrankung stehen, wo niemand den Weg versperre, wenn man plötzlich davonrennen müsse.
Da es ein Dreinationencup ist, sind viele FahrerInnen aus dem Ausland zugegen, die sich an der verbreiteten Schweizerkreuzmode wenig stören. Man kämpft hier für eine gemeinsame Sache, für Spass und abgasgeschwängerte Bergluft. Die Leute reparieren, basteln und philosophieren über Vor- und Nachteile ihrer Karren. Am Sonntag wird mir ein Crosshelm übergestülpt, und schon sitze ich mit Sepp Marty in einem umgebauten VW Golf. Martys eigentliche Rennmaschine ist 480 Kilogramm schwer, 200 PS stark, hat einen Vierrad-Kettenantrieb und kostet 25 000 Franken. Die Gurten festgezurrt, und schon lässt der mehrfache Schweizer Champion im Spezialcross die Reifen qualmen, er heizt der Karre so richtig ein. Herr im Himmel, woher hat dieser Golf eine solche Leistung? «Wir haben alles rausgenommen, was nicht unbedingt nötig war», brüllt der 48-jährige Rennfahrer, von Beruf Kaminfeger, während wir auf die erste Kurve zurasen. «Gefährlich sind die Löcher hier», lässt er mich wissen, während wir quer zur Fahrtrichtung darüberschlittern. Wie ich später erfahre, hat sich hier Rebetz, der Jurassier, fachmännisch zweimal überschlagen und sich eine Gehirnerschütterung geholt. Schliesslich driften wir durch die höllische Rechtskurve, mein Körper schüttet Adrenalin aus, die sekundären Körperfunktionen werden runtergefahren, der Blick verengt sich, meine Muskeln verkrampfen.
Atemberaubende Stunts
Sepp Marty ist ein Künstler, die Karre sein Pinsel und die Rennstrecke die Leinwand. Die Kiste röhrt, das Bodenblech schlägt auf (wir sitzen zwei Zentimeter über dem Boden), alles ruckelt und vibriert, Steine schlagen gegen das Chassis. Und ich will mehr, und Marty gibt mir mehr. Er holt das Letzte raus aus dieser Kiste, für ihn ist das eine gemütliche Fahrt, verglichen mit dem, was sein eigener Rennbuggy kann. Ich dagegen bin total am Limit, doch ich will mehr Drift, mehr Gas, mehr Schütteln, rotglühende Auspuffe und atemberaubende Hollywoodstunts.
Kurz darauf stehe ich ein wenig benommen in der gierigen Menge. Ein kleiner Knirps bahnt sich mit einem Minirenntöff einen Weg durch die ZuschauerInnen. Aus den Lautsprechern tönt John Denver mit «Take Me Home to the Country Roads», und Marty ist mit seinem Golf auf der Piste steckengeblieben.
Beat Anderegg, ein gestandener St. Galler und Maschinenbauer, hat soeben ein Rennen gewonnen. Seine beiden Töchter schrubben die Karre, und das Bier fliesst erfrischend die Kehle hinab. «Ich will nicht klassisch schnell fahren, ich will wild fahren, darum dürfen die Reifen nicht zu fest am Boden kleben», sagt er und findet die Leute hier, angereist mit rund vierzig Campern, eine «Horde von Idealisten, ein starkes Dorf sind wir hier oben». Ein Ford Focus schiesst vorbei, der Turbolader lässt mit markerschütterndem Knall die Erde beben.
Drängeln, schieben, überholen
Dann folgt der dritte uind letzte Lauf der Spezialcrosser. Nach einem Fehlstart wird mit der roten Flagge gewedelt. Marty war vorne, ist es aber auch beim zweiten Start gleich wieder. Er lässt die Konkurrenz alt aussehen. Der Veranstalter, Pressebetreuer und Favorit fährt allen um die Ohren. Nach sechs Runden hat er einen komfortablen Vorsprung von siebzig Metern und überrundet den letzten Buggy. Er gewinnt vor Mitfavorit Reto Roth. Im Gesamtklassement wird er aber vom Österreicher Josef Vögel geschlagen.
Der 48-jährige Marty, seit 1977 im Rennsport, fährt während der Saison mit seinen Leuten im umgebauten Reisecar quer durch Europa. Soeben sind sie von einem Rennen in Portugal zurückgekommen. Die Rennautos hinten reingeladen, ist der Bus fahrende Werkstatt, Büro und Wohnung in einem. Küche, Dusche, WC und Schlafplätze für mindestens zehn Personen sind vorhanden.
Zum Schluss gehen die Handicaprennen los, der Grand Prix, die besten FahrerInnen aller Motorenstärken und Gewichtsklassen aus derselben Klasse im selben Rennen. Es geht um die Schweizer Meisterschaft! Die TeilnehmerInnen werden der Reihe nach über den Parcours verteilt, die Langsamen zuerst, je schneller, desto weiter hinten. Welch Wahnsinn, zuvorderst zu starten im Wissen, du bist der Langsamste, und die ganze grosshubraumige Teufelsbrut ist hinter dir her. Handicap der Serienwagen: Drängeln, Schieben, kleine Unfälle, jede Überholmöglichkeit wird ausgereizt. Ich verliere die Übersicht: Irgendwer gewinnt, dann gewinnt irgendwer das Handicap der nächsten Klasse, der Serien-Abarth. Und Marty gewinnt spielerisch das Handicaprennen der Königsklasse. «Daheim ist es immer gut, zu gewinnen», sagt er.