Fumoir: Dann kam der Passat

Nr. 43 –

Ruedi Widmer sollte das nächste Mal mit dem Zug in die Ferien.

Ich suche die HalterInnen eines weissen Ford Kuga mit Thurgauer Kontrollschildern, eines dunkelblauen VW Passat Kombi mit Glarner Schildern und eines weissen Fiat 500 mit ebenfalls Thurgauer Schildern. Die Nummern habe ich leider nicht aufgeschrieben. Wie hätte ich auch sollen. Der 500 hatte hinten einen Bodenseekleber.

Ich möchte die FahrerInnen dieser Wagen zu einem feinen Nachtessen einladen, im Restaurant National in Winterthur. Ich möchte diese AutolenkerInnen gerne in ungezwungener Atmosphäre persönlich kennenlernen und sie fragen, was sie von Logik und Physik wissen.

Die genannten Fahrzeuge waren am 13. Oktober auf der San-Bernardino-Südrampe nordwärts unterwegs. Der Ferienrückverkehr fuhr in regelmässigen Abständen und ungefähr sechzig Kilometer pro Stunde schnell hinter Mesocco die steile, mäandernde Rampe mit ihren Spannbetonbrücken hoch. Doch die oben erwähnten Fahrzeuge waren unfähig, sich in dieses so rationale wie soziale Gefüge einzuordnen. Zuerst überholte der Kuga unseren Toyota Yaris und drückte vor uns rein. Meine Frau musste voll auf die Bremse treten. Der Kuga überholte als Nächstes unseren Vorderwagen, einen Opel Zafira. Sofort spürte ich eine mentale Verbindung mit der Zafira-Besatzung, weil sich diese sicher auch über den Kuga ärgerte. Dann kam der Passat und drückte hinein. Ich merkte an, der Trottel meine, er sei schneller in seinem blöden Glarnerland, wenn er in der Kolonne eine Position weiter vorne fährt. Auch meine Frau machte Handbewegungen durchs Fenster.

Unweigerlich begann der Kolonnenfluss wegen der Überholenden zu stocken.

Schliesslich war da der schwach motorisierte Fiat 500 mit dem Bodenseekleber, der es fast nicht schaffte, uns zu überholen, und es dennoch tat, selbst als der Gegenverkehr ihm ausweichen musste. Das war zu viel. Wüste Worte schossen aus dem Mund meiner Frau, sie zeigte den Finger, hämmerte auf das Steuerrad und hupte, sodass die Kinder hinten erschraken und «Mami?» sagten. «Der Blödian soll doch an seinem Bodensee bleiben! Schau mal, was sind das für Leute? Senioren! Fahren wohl seit fünfzig Jahren und haben nichts gelernt dabei!»

Ich sagte bei aller Zustimmung, sie solle lieber aufhören, eine Schlägerei, während die Kinder im Auto sind, sei riskant, auch wenn wir gegen diese SeniorInnen gewännen. Gut, die Passat-Besatzung würde naturgemäss der Fiat-Besatzung beistehen und uns von hinten das Pannendreieck auf den Kopf hauen, doch die Zafira-Besatzung würde sich sofort auf unsere Seite stellen. Das Handgemenge würde sich auf immer mehr Autos ausweiten: Überholende gegen Überholte, Gierige gegen Genügsame, Irre gegen Normale, die Schlacht vom San Bernardino.

Es ist so erstaunlich wie beschämend, wie lange bei mir die Erregung über solche AutofahrerInnen anhält. Ich wünsche mir, ihnen auf der nächsten Autobahnraststätte zu begegnen und sie mit drohenden Blicken zu durchbohren oder ihnen etwas Unflätiges nachzurufen. Bin ich dann da, rückt aber der Graus über die Autobahnraststätte «Heidiland» an sich in den Vordergrund. Und die blöden Trottel haben gar nicht angehalten.

Mit zwei Wochen Abstand sehe ich den Fall Bernardino gelassener, und mein Blutdruck hat sich wieder normalisiert. Deshalb nun die Lust, den feindlichen Besatzungen im Rahmen eines Nachtessens als Mensch zu begegnen und in den Besatzungen den Menschen zu suchen, der unweigerlich vorhanden sein muss, denn solche Taten können nur von Menschen ausgehen.

Ruedi Widmer ist Karikaturist in Winterthur.