Die Bewegung heute: Die Lücke finden

Nr. 25 –

Mittlerweile hat das Stimmvolk in der Frage eines neuen AKW das letzte Wort. Die AtomkraftkritikerInnen bereiten sich schon jetzt auf eine mehrjährige Kampagne vor.

Klimakatastrophe und Stromlücke. Mit diesen beiden Horrorargumenten lancierte die AKW-Lobby Anfang Jahr ihre Kampagne für ein neues AKW in der Schweiz. Die GegnerInnen waren überrascht. Viele hatten sich nicht vorstellen können, dass das Thema Atomkraft je wieder auf der politischen Agenda erscheinen würde - und schon gar nicht so dreist vorgetragen. Vereinzelt waren Stimmen zu vernehmen, die eine sofortige, möglichst kräftige Reaktion verlangten, am liebsten eine grosse Demonstration in Bern.

Monate später sieht alles ein wenig anders aus. Weniger dramatisch. Es zeichnet sich ab, in welchem Zeitraum über die weitere Entwicklung der Atomkraft in der Schweiz entschieden wird. Allgemein gehen Umweltverbände und die links-grünen Parteien davon aus, dass die grossen Stromunternehmen frühestens 2008 mit einem Gesuch für eine Rahmenbewilligung die Debatte um ein weiteres AKW eröffnen. Als Standorte kommen wohl nur die bisherigen infrage, Beznau und Gösgen. Die im Kernenergiegesetz vorgesehene Referendumsabstimmung wird kaum vor 2012 stattfinden. Bleibt also Zeit genug, eine Kampagne aufzubauen und den Argumenten der AKW-Lobby entgegenzutreten.

Greenpeace nimmts in die Hand

Die Grünen haben aber bereits im Frühling die Gunst der Stunde genutzt. Eine Demo solle es geben, dieses Jahr noch, hatten sie der Öffentlichkeit mitgeteilt. Und sich damit dem Vorwurf ausgesetzt, die AKW-Frage für die Wahlen im Herbst instrumentalisieren zu wollen. Erst seit klar ist, dass es am 7. September in Bern nicht zu einer Grossdemo kommen wird, haben sich die Gemüter wieder beruhigt.

Über die Frage, ob sich zum jetzigen Zeitpunkt genügend GegnerInnen mobilisieren lassen, gehen die Meinungen auseinander. Skepsis überwiegt, auch weil noch nicht klar ist, gegen wen man denn eigentlich wird antreten müssen. «Solange kein konkretes Projekt auf dem Tisch liegt, können wir auch nicht dagegen antreten», sagt Jürg Buri, Geschäftsführer der Schweizerischen Energiestiftung SES. Doch wenn es so weit ist, gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren: «Wir müs-sen mit der Mobilisierung beginnen und sollten nicht auf das Referendum warten», sagt Mirjam Behrens, die stellvertretende Generalsekretärin der Grünen Partei. Diese Kampagne wird unter der Federführung von Greenpeace stehen.

Die Kampagne wird sich um zwei Achsen drehen. Zum einen geht es darum, die ungeklärten Risiken der Atomtechnologie herauszustreichen: den energieintensiven Atomkreislauf von der Uranproduktion bis zur Entsorgung, die ungelöste Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle, die technischen und gesundheitlichen Risiken der Atomtechnologie und nicht zuletzt die ökonomische Fragwürdigkeit derartiger Grossprojekte. Der Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner zum Beispiel stellt fest, dass die Produktionspreise für Atomstrom doppelt so hoch seien wie für die Produktion von Windenergie, von der es seiner Meinung nach mehr als genug gäbe: «Die Nordsee hat ein grösseres Energiepotenzial als Saudi-Arabien.»

Die zweite Stossrichtung: die Stromlücke als Schimäre der Energiewirtschaft infrage stellen und Alternativen aufzeigen. Mit Wind, Sonne, Biomasse, Wasser und einem effizienteren Umgang mit Energie lasse sich die Atomenergie problemlos ersetzen, sagt Rechsteiner. Er sieht diesen Argumentationsstrang im Aufwind - auch durch das kürzlich verabschiedete Stromversorgungsgesetz mit Einspeisevergütungen für alle Stromproduzenten und mit der freien Wahl des Strombezugs für GrosskundInnen. «Da passiert eine gigantische Umwälzung.» Gut möglich also, dass bald niemand mehr in AKW investieren will, weil die Kosten einfach zu hoch sind.

Im Unterschied zu den siebziger Jahren hat die Anti-AKW-Bewegung heute professionelle Strukturen. Greenpeace, SES und die anderen Organisationen können eine sich über Jahre erstreckende Kampagne durchziehen - auch wenn sie der finanziellen Übermacht der Atomlobby mit viel Fantasie werden entgegentreten müssen. Gleichzeitig können sie sich immer noch auf lokale Strukturen stützen wie etwa Klar!, eine Organisation, die sich diesseits und jenseits der Grenze gegen Atomenergie und ein Endlager in Benken im Zürcher Weinland engagiert. Oder auf die in der Westschweiz tätigen Organisationen Contratom und Sortir du Nucléaire. Andere lokale Vereinigungen wie die Amüs, die einst jahrelang gegen das AKW Mühleberg agitiert hatte, sind seit einiger Zeit allerdings nur noch auf dem Internet zu finden - und hinterlassen auch dort nicht den Eindruck, besonders aktiv zu sein.

Schlecht informierte Jugend

Der AKW-Kampf wird vor allem um die Jungen geführt werden. «Wir haben von unserer Jugendorganisation Rückmeldungen, dass beispielsweise beim Nachwuchs an der ETH die Atomkraft als wirksames Mittel gegen den CO2-Ausstoss gilt», sagt Mirjam Behrens von den Grünen: «Dort ist Aufklärungsarbeit notwendig.» Andere Jugendliche sind da schon weiter. In der Region rund um das AKW Gösgen hat sich vor zwei Monaten eine Gruppe unter dem Namen Turn it down gebildet. Ein Sprecher, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt, man habe sich unter FreundInnen organisiert und wolle mit verschiedenen Aktionen gegen AKW politisieren. Für August ist eine Velokarawane von Kerzers nach Baden vorgesehen. Die Gruppe steht auch auf einer Liste von www.antiakw.ch.vu, einem Bündnis für eine ausserparlamentarische Anti- AKW-Bewegung. Dort befindet sich Turn it down im Kreise so unterschiedlicher Organisationen wie Solidarité sans frontières, Klar Schweiz! und dem Revolutionären Aufbau. Viele dieser Gruppen sind dem Sprecher von Turn it down unbekannt, und er weiss auch nicht, wo sie selbst sich positionieren sollen. Er hofft, eine Lücke zu finden.

Anders als vor dreissig Jahren hat die Stimmbevölkerung in der Frage eines neuen AKW das letzte Wort. Sagt es Ja zu einem neuen AKW, wird die Schlussrunde des Kampfes am Bauzaun stattfinden. Vorausgesetzt, die Stromwirtschaft gibt nicht schon vorher auf.