Ökologische Ökonomie: Reif für die Revolution

Nr. 26 –

Es gibt eine Wirtschaftswissenschaft jenseits von Kosten-Nutzen-Analysen und Wachstumsglaube. Sie hat mehr Fragen als Antworten.

Leipzig im Juni ist voll von Lindenblütenduft, das Wetter ist prächtig, und das Bach-Festival bietet Erstklassiges. Im Hörsaal des Umweltforschungszentrums fordert eine Referentin: «Wir brauchen eine Kultur der Faulheit.» Die ZuhörerInnen applaudieren, aber statt sich unverzüglich in einem Leipziger Park faul ins Gras zu legen, schwärmen sie zu den nächsten Vorträgen.

Es ist dies einer der Widersprüche am Kongress der Europäischen Gesellschaft für Ökologische Ökonomie. Vielleicht ist das ganze Unternehmen ökologische Ökonomie ein Widerspruch. Die Wirtschaft will wachsen, die Natur setzt Grenzen.

Doch: Nicht daran zu glauben, dass es eine umweltverträgliche Wirtschaft geben kann, kann niemand sich leisten. Optimismus holt man sich allerdings besser bei denjenigen ÖkonomInnen, die das Wort «nachhaltig» inflationär benutzen und an die Chancen der Technologie glauben. Die Empirie bietet bislang keinen Anlass zur Zuversicht. Die weltweiten CO2-Emissionen wachsen seit 2000 schneller als in den neunziger Jahren (über drei Prozent pro Jahr) und schneller als das Weltsozialprodukt.

Gegen das IPCC

Die ökologische Ökonomie hat sich in den letzten zwanzig Jahren als eigenständige Forschungsrichtung herausgebildet. Ihre Väter sind unter anderen Nicholas Georgescu-Roegen (1906 - 1994), Karl William Kapp (1910 - 1976) und Herman Daly (geboren 1938). Sie haben versucht, die Physik in die Wirtschaftswissenschaft zu integrieren, namentlich den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Dieser Satz begründet, weshalb es kein Perpetuum mobile geben kann. Die orthodoxe (neoklassische) Ökonomie, von der die ökologischen ÖkonomInnen sich abgrenzen, glaubt ans Perpetuum mobile.

Eine Revolution forderte deshalb Clive Spash von der Commonwealth Scientific Industrial Research Organisation in Sydney. Wenn ihre Theorien nicht mehr mit den Realitäten übereinstimmten, sei eine Wissenschaft reif für die Revolution, sagte Spash. In den Wirtschaftswissenschaften sei das längst der Fall - die heutige Ökonomie sei im Grunde diejenige der 1830er Jahre. Die Revolution bleibe aber aus, weil hinter der Orthodoxie handfeste Interessen mit ihren Verteidigungsstrategien stünden.

Die Kritik der ökologischen ÖkonomInnen richtet sich gerade auch gegen Arbeiten, die landläufig als Meilensteine der Bewusstseinsbildung in Sachen Umwelt betrachtet werden. So hat der Bericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern, der vorrechnete, wie teuer uns die Klimaerwärmung zu stehen kommen könnte, bei vielen ein Umdenken ausgelöst. Clive Spash kritisiert ihn jedoch: Stern ignoriere wichtige Forschungsergebnisse, die nicht in die orthodoxe Wahrnehmung passten; ethische Fragen würden kaum diskutiert, Wachstum nicht infrage gestellt. Ähnlich argumentierte Richard B. Norgaard von der Universität Berkeley mit Blick auf den Uno-Klimarat IPCC. Er ärgere sich jedes Mal, wenn er dessen Szenarien betrachte. Das IPCC sei geradezu fixiert darauf, die ganze Welt in der Kategorie des Bruttoinlandsprodukts zu betrachten.

Doch während in den grossen Vorträgen das Bruttoinlandsprodukt kritisiert wird, verwenden es viele ReferentInnen in den Workshops fröhlich weiter und präsentieren Einzelfallstudien, die ganz im Stil von Stern und IPCC Kosten und Nutzen abwägen. Es scheint, als ob man in der alltäglichen Arbeit doch nicht auf Konzepte verzichten könne, die man eigentlich als überholt erkannt hat.

Inge Røpke von der Technischen Universität Dänemarks - sie hatte nach der «Kultur der Faulheit» gerufen - kritisierte die Perspektive vieler Einzelbeiträge des Kongresses. Isolierte Studien brächten oft nichts, weil alles miteinander verhängt sei. Die Fokussierung auf einzelne Individuen sei falsch. Viele Studien befassten sich beispielsweise mit der Frage, weshalb KonsumentInnen verschwenderische oder sparsame Kühlschränke kaufen. Viel wichtiger seien aber ständig steigende Ansprüche: Wir betrachten laufend mehr Wohnfläche, mehr technische Geräte, längere Urlaubsreisen als normal. «Dieser Wandel», sagte Røpke, «geschieht quasi hinter unserem Rücken. Er macht Fortschritte durch effizientere Technologien oder gesteigertes Umweltbewusstsein wieder zunichte. Und er kann nicht individuell, sondern nur aus einer gesellschaftlichen Perspektive angegangen werden.»

Fatalistisch im Kapitalismus

Das von Røpke Kritisierte tut beispielsweise Peter Jan de Haan von der ETH Zürich: Er untersucht, wie AutokäuferInnen dazu gebracht werden können, weniger verbrauchsstarke Autos zu kaufen. Mit Røpke sei er grundsätzlich einverstanden, sagt de Haan; KonsumentInnenforschung sei nicht hinreichend - aber dennoch notwendig. Und er fügt an: «Ich werde im Verlauf meiner Arbeit zwar nicht immer kapitalistischer, aber fatalistischer. Da wir im Kapitalismus leben, müssen wir in diesem System versuchen, etwas zu erreichen.»

Der Kongress lässt den Beobachter mit einem zwiespältigen Eindruck zurück. Die gute Nachricht ist, dass es eine Ökonomie jenseits der Neoklassik gibt, die das Überleben der Menschheit ohne Tabus zu denken wagt. Die Diskussionen mit vielen intelligenten Menschen waren sehr inspirierend. Doch, und das ist die schlechte Nachricht: Niemand weiss wirklich, ob gelingen kann, was gelingen muss. Und falls ja, wie. Wir können fauler werden, wie Inge Røpke fordert. Oder wir können mit Clive Spash an der Revolution arbeiten. Beides wäre wichtig. Aber beides miteinander geht nicht.

Arme Menschen sind billig


WOZ: Was ist ökologische Ökonomie?

Joan Martinez-Alier: Ökologische Ökonomie befasst sich mit dem Konflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umwelt.

Zwei prominente Berichte haben sich in den letzten Monaten aus ökonomischer Sicht mit dem Klimawandel befasst: der Stern-Report und der dritte Teil des Uno-Klimaberichts. Ist das ökologische Ökonomie?

Nun, es geht darin um genau diese Themen. Aber beide Berichte arbeiten mit Kosten-Nutzen-Analysen: Sie ordnen dem Ausstoss von Treibhausgasen einen Preis zu. Es wäre natürlich schön, diesen Preis zu kennen. Aber das ist unmöglich, denn es geht um unbekannte zukünftige Entwicklungen. Die orthodoxe Ökonomie drückt Unsicherheiten in Wahrscheinlichkeiten aus. Wir denken, dass das falsch ist. Wenn man die Risiken nicht kennt, sollte man nach den Meinungen vieler Betroffener fragen, statt alles auf Geldziffern zu reduzieren.

Interessiert sich die orthodoxe Ökonomie für die physischen Grundlagen des Wirtschaftens?

Die orthodoxe Ökonomie ist metaphysisch. Abfall kommt in der neoklassischen Produktionstheorie nicht vor. Natürliche Ressourcen kommen heute zwar vor, aber sie gelten als substituierbar: Wenn beispielsweise der Fischbestand zurückgeht, können Sie das kompensieren, indem Sie bessere Schiffe, grössere Netze, mehr Personal einsetzen. Eine Zeit lang klappt das tatsächlich - doch irgendwann kollabiert das System.

Umweltkosten sind extern, das heisst, sie werden nicht vom Verursacher getragen. Wenn man das korrigiert, dann würde es der Markt schon richten - oder etwa nicht?

Externe Kosten werden dauernd produziert: zulasten schwächerer Mitglieder der Gesellschaft, anderer Spezies, künftiger Generationen. Externe Kosten sind kein Marktversagen, sondern, wie es der Ökonom Karl William Knapp etwas zynisch formulierte, das erfolgreiche Abschieben von Kosten.

Was ist Ihre Alternative?

Es ist besser, einen Preis zu haben als gar keinen. Aber das genügt nicht. Was die Instrumente angeht, sind wir ökologischen Ökonomen nicht sehr radikal. Wir haben keine neuen Instrumente erfunden. Wir glauben an Steuern, wir denken, dass Emissionshandel in Ordnung sein kann, wenn die Zielvorgaben ausreichend sind. Es gibt die Instrumente der herkömmlichen Umweltpolitik, Regulierungen. Überzeugungsarbeit kann Veränderung der Konsumkultur bewirken, wie Max Havelaar gezeigt hat. Die Umweltgerechtigkeitsbewegung wiederum arbeitet mit Klagen. Solche Institutionen der Zivilgesellschaft vor allem in den armen Ländern können vielleicht die Welt verändern. Auf ihnen liegt meine Hoffnung.

Kann Wirtschaft nachhaltig wachsen?

Was ist Wachstum? Meist versteht man darunter ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das wurde schon von feministischen Ökonominnen kritisiert, weil das BIP unbezahlte Hausarbeit nicht erfasst, Krieg hingegen schon. - Ja, eine Wirtschaft kann ressourceneffizienter werden, das heisst, sie kann pro Einheit des BIP weniger Ressourcen verbrauchen. Das ist etwa in Deutschland der Fall. Aber weil das BIP stärker wächst, werden absolut dennoch immer mehr Ressourcen verbraucht. Und in anderen Ländern, etwa in Spanien oder den Schwellenländern, wachsen die Materialflüsse schneller als das BIP. Eine Dienstleistungsgesellschaft produziert zwar weniger materialintensiv als eine Industriegesellschaft, aber die Leute verdienen mehr und geben das Geld für Autos, Reisen und so weiter aus. Den Ressourcenverbrauch in absoluten Zahlen zu reduzieren, bedingt vermutlich, dass die Wirtschaft schrumpft. Das würde natürlich zu sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit führen. Hier braucht es neue Lösungen wie etwa das garantierte Grundeinkommen.

Sie arbeiteten viel in Entwicklungsländern. Welche Rolle spielt die Frage nach sozialer Gerechtigkeit für die ökologische Ökonomie?

Ökologie und Gerechtigkeit hängen zusammen. Es geht nicht um Wohltätigkeit, sondern darum, dass wir die Situation nicht analysieren können, ohne die Frage nach der Verteilung zu stellen. Verschmutzung findet in armen Regionen statt. Manche Firmen entschädigen deren Bewohner für angerichtete Schäden, aber arme Leute sind billig. Die Armen können sich auf dem Markt nicht verteidigen; künftige Generationen haben gar keinen Marktzugang. Ungleichheit muss Teil der Analyse sein.

Sehen Sie sich nur als Wissenschaftler oder auch als Aktivist?

Ich bin kein Aktivist, aber ich lerne viel von Aktivisten, wenn ich mit ihnen zusammenarbeite. Aktivismus ist eine Form von Wissen.

Interview: Marcel Hänggi


Joan Martinez-Alier ist Präsident der Internationalen Gesellschaft für Ökologische Ökonomie. Er lehrt an der Autonomen Universität Barcelona.