Landwirtschaft: Mit der Weinranke in den Widerstand

Nr. 32 –

Der Winzer Willy Cretegny ist gegen die Agrarpolitik 2011 - und nicht bereit, Wasser in seinen Wein zu giessen. Zusammen mit Gleichgesinnten sammelt er Unterschriften für das Referendum.

«Wir müssen die Fragen radikaler stellen», sagt Willy Cretegny. Der fünfzigjährige Genfer Weinbauer sitzt in seiner Küche, doch man merkt ihm an, dass er lieber draussen im Weinberg von Satigny oder auf seinem Traktor wäre.

Cretegny hat sich mit einer Handvoll Gleichgesinnter in ein politisches Abenteuer gestürzt: Sie wollen eine BürgerInnenbewegung auf die Beine stellen, die Nein sagt zur eidgenössischen Agrarpolitik. Nein zum Freihandel. Nein zur Globalisierung. Nein zu einem freien Markt, auf dessen Altar Umwelt und Sozialstandards geopfert werden. Mit dem Referendum gegen die Mitte Juni von den eidgenössischen Räten verabschiedete Agrarpolitik 2011 wollen sie die Debatte lancieren.

Satigny ist ein paradiesischer Fleck Erde im westlichsten Zipfel des Kantons Genf. Im Schutz der Jurahöhen gedeiht hier schon seit vorrömischen Zeiten der Wein. Und sagten spitze Zungen in der Vergangenheit, mit dem Genfer Weissen könne man nicht mal Fenster putzen, weil sie sonst zerkratzt würden, haben die Genfer Winzer in den letzten zwei, drei Jahrzehnten auf edle Sorten, kunstvolle Zusammenstellungen und sorgfältige Verarbeitung gesetzt. Genfer Weine, die Pinot blanc, gris und noir, der Gamay, Riesling oder Chardonnay sind ein Geheimtipp für KennerInnen.

Mit dem Traktor nach Freiburg

Der Regen schlägt an die Küchenfenster des Bauernhauses. Die ungewöhnliche Feuchtigkeit und Kälte der letzten Juni- und ersten Juliwochen machen nicht nur den Gemüse- und Getreideproduzenten zu schaffen, sondern auch den WinzerInnen. Wer durch die Weinberge von Satigny geht, kann die chemischen Mittel riechen, mit denen die Winzer ihre Reben behandeln.

Willy Cretegny setzt auf seinem Weingut keine Chemie ein. Der Biobauer arbeitet seit zwölf Jahren mit Wirkstoffen aus der Natur. «Das bedingt einen hohen Grad an Aufmerksamkeit», sagt er. Denn ist der Schaden einmal da, sind die biologischen Mittel zu wenig wirksam. «Prävention ist alles»: Das ist die Philosophie von Willy Cretegny.

Anfang Juli ist er mit seinem Traktor von Genf nach Freiburg gefahren, um der Öffentlichkeit anzukünden, dass er zu jenen gehört, die das Referendum gegen die Agrarpolitik 2011 ergreifen. «Wir müssen ein Signal geben. Nein sagen, bevor es zu spät ist», sagt er. Die schweizerische Agrarpolitik liefere die einheimische Produktion einer totalen Liberalisierung aus, was eine ökologische und soziale Katastrophe sei. Cretegny und seine MitstreiterInnen, LandwirtInnen aus den Kantonen Genf und Waadt, fordern eine Agrarpolitik, die den Umweltschutz über den freien Markt stellt. Und sie verlangen, dass die Prinzipien des fairen Handels nicht nur für Nischenproduktionen gelten, sondern als allgemeingültige Normen anerkannt werden. Sie berufen sich dabei auf die Uno-Deklaration der Menschenrechte, die jedem Menschen das Recht auf ein angemessenes Einkommen verspricht. Die Politik des Preis- und Lohndumpings sei die Negierung dieses Rechts.

Cretegny gibt ein Beispiel: «Die Schweiz hat zwar beschlossen, die Batteriehaltung von Hühnern zu verbieten, führt aber Tonnen von Pouletfleisch aus Batteriehaltungen von Übersee ein.» Dies entspreche wohl den Regeln des freien Markts, sei jedoch vom ökologischen wie auch vom sozialen Standpunkt aus völlig absurd. «Wir brauchen eine Regulierung des Marktes, um soziale und ökologische Standards international durchzusetzen.» Das will Cretegny erreichen, indem er die einheimische Produktion durch Zollabgaben auf Importprodukte schützt. Aus seiner Sicht ist das keine rückwärtsgewandte, egoistische Haltung, im Gegenteil. Internationale Nahrungsmittelkonzerne würden die Bauern der Dritten Welt ausbluten, die dortigen Produktionsflächen verschmutzen und unfruchtbar machen, mit dem einzigen Ziel, durch das Verschieben der Produkte in die Erste Welt enorme Profite zu erzielen. Und gleichzeitig würden die Einkommen der hiesigen Produzenten untergraben. Dieser verderbliche Freihandelsmechanismus müsse durch die Erhebung von Zollabgaben zerschlagen werden.

Die Gruppe hat ihr Referendum ohne die Unterstützung des Schweizerischen Bauernverbandes SBV lanciert. «Kein Wunder», sagt Cretegny: «Wer getraut sich heute noch, offen gegen die Freihandelspolitik aufzutreten.» Der SBV ist schon zufrieden, dass die Liberalisierung der Landwirtschaft in den eidgenössischen Räten etwas gebremst werden konnte; er fürchtet, bei einer Annahme des Referendums stehe die finanzielle Unterstützung für die Landwirtschaft ab 2008 ohne gesetzliche Grundlage da. Cretegny hat davor keine Angst: «In diesem Fall würde ja die bisherige Gesetzgebung in Kraft bleiben.» Unterstützung erhält das Referendumskomitee hingegen von der globalisierungskritischen Bewegung Attac und von der radikaleren Bauerngewerkschaft Uniterre, deren Mitglied der Weinbauer aus Satigny ist.

«La Vrille» - Die Weinranke

Uniterre ist gegen die Agrarpolitik 2011, weil sie die Existenzgrundlage für 32 000 Familien, das heisst die Hälfte der heute noch existierenden bäuerlichen Unternehmen der Schweiz, untergräbt, die existierenden Schutzmechanismen gegen die Spekulation mit Landwirtschaftsboden abschwächt, eine industrielle Landwirtschaft mit hohem Energieverbrauch fördert und aus bäuerlichen Arbeitsplätzen prekäre HandlangerInnen- und Saisonnierjobs macht. In einem Punkt ist Uniterre allerdings mit Cretegny nicht einverstanden: Statt Zollabgaben schwebt der Bauerngewerkschaft eine Steuer vor, die auf «sinnlos» verfahrene Transportkilometer und die damit verbundene Energieverschwendung und Umweltverschmutzung erhoben werden soll, sagt Uniterre-Präsident Pierre-Alain Tombez.

«Unsere Forderungen sind radikaler als üblich», erklärt Cretegny das Abseitsstehen schwergewichtiger Politorganisationen und Interessengruppen. Für ihn ist das Referendum denn auch nur ein erster Schritt. Die Debatte müsse lanciert werden, anschliessend könne man mit einer Initiative für eine sozial und ökologisch nachhaltige Agrarpolitik nachdoppeln, wie sie auch die Gewerkschaft Uniterre diskutiert. Cretegny strebt die Gründung einer breiten marktkritischen BürgerInnenbewegung vor; seine Aktion richtet sich nicht nur an Bäuerinnen und Bauern, sondern auch an sozial, entwicklungspolitisch und umweltpolitisch engagierte Menschen und Organisationen. «Der freie Markt degradiert die Menschen zu reinen Konsumenten», ärgert er sich, dabei müsste der Mensch eigentlich in erster Linie als verantwortungsbewusster Citoyen handeln und behandelt werden. Er hat auch bereits einen Namen für die Bewegung: La Vrille, die Weinranke - wie der Weinstock mit seinen Ranken soll sich die Bewegung fest in der Gesellschaft verankern, um Früchte zu tragen. Wer ist der Mann, der so unverblümt und wenn nötig auch als Einzelkämpfer einen Richtungswechsel fordert? Willy Cretegny ist der Sohn eines Gärtners, der sich auf das Ziehen von Rebstöcken spezialisiert hatte. Als der Vater starb, musste der elterliche Betrieb verkauft werden. Willy, eines der sechs Kinder der Familie, lernte Holzfäller. Er engagierte sich in der Anti-Atom-Bewegung, verweigerte den Militärdienst und machte eine zusätzliche Ausbildung als Winzer und Önologe. Er arbeitete als Weinhändler und konnte schliesslich anderthalb Hektaren Rebland erwerben und zwölf Hektaren dazupachten.

Hungerstreik

Seit 1995 produziert er auf seinem Weingut «La Devinière» biologischen Wein. Seine Frau ist Ergotherapeutin, das Paar hat zwei Kinder, die achtzehnjährige Tochter interessiert sich für den Rebbau und die Übernahme des väterlichen Betriebs. Obwohl er in einem Alter ist, in dem er sich langsam zurücklehnen könnte, mag Willy Cretegny die Rebschere noch nicht weglegen. Im August 2003 beispielsweise hat er zusammen mit zwei Streitgenossen ein Fuder Mist vor dem Wohnhaus von Bundesrat Joseph Deiss abgeladen. Der Landwirtschaftsminister hatte vorgängig die Schlussfolgerungen eines Berichts der fünf Westschweizer Kantone über die Lage der Weinbauern in Bausch und Bogen abgelehnt. Eine weitere Aktion richtete sich gegen die Politik der Wettbewerbskommission Weko: Cretegny und die Seinen mauerten die Eingangstüren der Weko mit Holzverschalungen zu. Damit prangerten sie deren «blinden Kampf» gegen Preisabsprachen an. «Richtig wäre, wenn die Weko gegen den Missbrauch von Preisabsprachen durch Grosse vorgehen würde.» Seine Hoffnung, bei dieser Aktion durch die BuchhändlerInnen unterstützt zu werden, war allerdings trügerisch: «Damals glaubten die Buchhändler noch an den Erfolg eines Lobbyings auf politischer Ebene.» Unterdessen ist die Buchpreisbindung aufgehoben worden, Bücher werden heute - wie landwirtschaftliche Produkte - zu Dumpingpreisen verschleudert.

Im Frühling 2007 machte Cretegny schliesslich einen zehntägigen Hungerstreik, aus Protest gegen die Agrarpolitik 2011. Der Hungerstreik habe ihm erlaubt, zahlreiche Kontakte zu knüpfen, die jetzt beim Referendum nützlich seien. Doch darüber hinaus habe ihm das intensive Erlebnis des Hungerns vor allem erlaubt, klar zu sehen: «Wir müssen in den Widerstand gehen!» Jeder Tag zeige erneut, wohin die Politik der Liberalisierung führe: In die Klimakatastrophe, zur Zerstörung der Lebensgrundlagen unseres Planeten, zur Zerstörung der sozialen Errungenschaften für die grosse Mehrheit der Menschen - «wir können nicht behaupten, wir hätten es nicht gewusst». Cretegny, selbst Mitglied der Grünen Partei Genf, glaubt nicht mehr an eine Politik, die sich damit begnügt, die drohende ökologische Katastrophe zu verzögern oder den Prozess der Verarmung abzubremsen. «Wenn wir den Menschen das Vertrauen wieder geben wollen, müssen wir das Problem beim Namen nennen. Die Vorstellung, dass man alles dem freien Markt überlassen kann, ist etwa so absurd, wie wenn jemand behaupten würde, es gehöre zur individuellen Freiheit, mit einem Vierradantrieb mit 180 Kilometer pro Stunde durch ein Dorf zu rasen.»


Alles zum Referendum unter: www.lavrille.ch. Bitte beachten Sie auch den Unterschriftenbogen in dieser WOZ.