Ernährungssouveränität: Die Preisfrage
Bis jetzt gab sich die SP in der Agrarpolitik freihandelsfreundlich. Nun befürwortet sie die freihandelskritische Initiative für Ernährungssouveränität. Das gefällt nicht allen – doch es ist eine Chance, Landwirtschaft von links neu zu denken.
Auf ihrer Website hat die SP den Streit versteckt. Drei Pop-up-Fenster werben für den Bundesbeschluss Velo, die Fairfood-Initiative und das Landesstreikjubiläum. Die dritte Abstimmung vom 23. September hat keinen prominenten Platz: die Initiative für Ernährungssouveränität der bäuerlichen Gewerkschaft Uniterre. Die Delegiertenversammlung der SP hat ihr im Juni zugestimmt – gegen den Willen des profiliertesten sozialdemokratischen Agrarpolitikers, Nationalrat Beat Jans aus Basel.
Agrarpolitik ist kein Kernthema der SP. Linke Bäuerinnen und Bauern politisieren meist bei den Grünen, die mehr Interesse an Landwirtschaftsfragen zeigen. Dementsprechend stützt sich die SP-Fraktion oft stark auf die Position des ausgebildeten Landwirts Jans, der heute als Berater und Dozent arbeitet. Dieses Mal, bei der Frage der Ernährungssouveränität, allerdings nicht. Was ist passiert?
«Sowjetisierung» befürchtet
Die Initiative steht quer in der agrarpolitischen Landschaft. Sie möchte, dass wieder mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, fordert ein Gentechnikverbot im Agrarsektor, eine Stärkung des Direktverkaufs, bessere Arbeitsbedingungen für landwirtschaftliche Angestellte und vieles mehr – die Liste ist lang. Besonders umstritten: Der Bund soll darauf hinwirken, dass «in allen Produktionszweigen und -ketten gerechte Preise festgelegt werden». Ausserdem soll er Zölle auf Agrarprodukte erheben, die zu schlechteren sozialen und ökologischen Bedingungen als in der Schweiz hergestellt wurden, und ihre Einfuhr sogar verbieten können.
Bürgerliche und Rechte, auch LandwirtInnen, bekämpften die Initiative vehement: Eine «Sowjetisierung» befürchtet etwa die freisinnige Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret, und auch in der «Arena» von SRF letzte Woche spielte die russische Geschichte eine Rolle. Hingegen hat der gewerkschaftliche und internationalistische Hintergrund der Vorlage viele Linke überzeugt. Zum Beispiel Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. Ihr gefällt die Initiative, gerade weil sie sie nicht für einfach umsetzbar hält: «Es ist wünschbar, dass Biolebensmittel für alle erschwinglich sind und die Löhne der Bauern und Bäuerinnen hier und anderswo fair sind. Aber das bringt man nicht unter einen Hut.» Um das zu ändern, brauche es ein anderes Wirtschaftssystem. «Im Kapitalismus gibt es immer Verlierer. Die Kosten werden externalisiert – in unbezahlte Arbeit oder ins Ausland.» Die Initiative ziele in die richtige Richtung, weil sie solche Grundsatzdebatten fördere.
Auch die Schaffhauser Agronomin und SP-Nationalrätin Martina Munz will Ja stimmen. «Ernährungssouveränität ist das Konzept einer weltweiten Bewegung, eine Antwort auf Welthunger und schrankenlosen Freihandel.» Sie hat Verständnis für die Forderung nach «gerechten Preisen»: «Mit fünfzig bis sechzig Rappen pro Kilo Milch gibt es langfristig kein Überleben für die Milchwirtschaftsbetriebe.» Auch für gewisse Zollforderungen hegt sie Sympathien: «Ich finde es berechtigt, wenn Gemüse, das unter sklavereiähnlichen Bedingungen angebaut wird, benachteiligt wird.» Soziale und ökologische Standards müssten Teil von Handelsverträgen werden. «Wir importieren die Hälfte der Lebensmittel, wir tragen auch eine Verantwortung dafür.» Allerdings könne man die Initiative nicht buchstabengetreu umsetzen. Besonders die geforderten Importverbote gehen Munz zu weit: «Dafür müssten wir die Bilateralen kündigen. Aber der Bundesrat könnte stattdessen zum Beispiel die Deklarationspflicht stärken.» Munz erinnert daran, dass sowohl Eier aus Batteriehaltung als auch Gentechnahrungsmittel in die Schweiz importiert und hier verkauft werden könnten: «Aber das macht niemand, weil es deklariert werden müsste und die Importeure davon ausgehen, dass in der Schweiz niemand solches Essen kaufen will. Die Deklaration von Arbeitsbedingungen oder tierquälerischer Haltung könnte einen ähnlichen Effekt haben.»
Und die umstrittene geforderte «Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen»? Natürlich könne man das nicht verordnen, sagt Munz. «Aber bei uns in Hallau gibt es einen Bauernhofladen, der richtig überrannt wird. Er ist so erfolgreich, dass er inzwischen Teilzeitstellen schaffen konnte. Mehr Wertschöpfung auf die Höfe und damit mehr Arbeit – so kann man diesen Artikel verstehen.»
Droht Überproduktion?
Er sei ein vehementer Gegner der Initiative, sagt hingegen Beat Jans. Sie sei «unsozial und auch für die Kleinbauern schädlich».
Die Vorlage sei ein Paradigmenwechsel, erklärt er. «Das bäuerliche Einkommen soll wieder über Preise gestützt werden.» Das funktioniere nicht: «Die Grossbauern profitieren überdurchschnittlich, wenn die Produzentenpreise steigen. Wenn man Kleinbauern unterstützen will, muss man das über abgestufte Direktzahlungen tun.» Das sei die einzige wirksame Massnahme. «Davon steht aber nichts in der Initiative.» Bei höheren Preisen für landwirtschaftliche Produkte drohten Überproduktion und Dumpingexporte – zum Schaden der BäuerInnen hier und im Süden. «Das haben wir in den siebziger und achtziger Jahren erlebt – und damals ging das Bauernsterben schneller als heute.»
Höhere Preise stehen für das alte, Direktzahlungen für das neue System: Früher förderte der Bund die Landwirtschaft direkt mit Preisstützungen. In den siebziger und achtziger Jahren wuchs in der Bevölkerung der Unmut über Überproduktion, verschmutzte Gewässer und Tiere, die nie die Sonne sahen. Gleichzeitig stieg mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt, das 1995 in der Welthandelsorganisation (WTO) aufging, der Druck zur Liberalisierung. Der Bund krempelte die Agrarpolitik um: Direktzahlungen statt Preisstützungen, höhere ökologische Anforderungen, teilweise Grenzöffnung. Zu behaupten, dass die BäuerInnen heute «von Direktzahlungen leben», wie es oft vorwurfsvoll heisst, ist jedoch zu einfach: Für eine Biomutterkuhhalterin im Berggebiet machen die Direktzahlungen tatsächlich mehr als die Hälfte des Einkommens aus, ein Obstbauer im Thurgau oder ein Gemüseproduzent im Berner Seeland lebt hingegen heute noch vor allem vom Verkauf. Der Preis ist alles andere als irrelevant. Und ein Grossteil der LandwirtInnen, egal ob rechts oder links, konventionell oder bio, wünscht sich, wieder stärker von der Produktion leben zu können. Das ist verständlich: Viel mehr als die Direktzahlungen drückt der Preis ganz direkt die Wertschätzung für Lebensmittel aus.
Teurere Lebensmittel?
Doch Beat Jans hat recht: Würden die ProduzentInnenpreise steigen und sonst alles beim Alten bleiben, profitierten vor allem Grossbetriebe, die mit Importfutter, Hochleistungstieren und Pestiziden so intensiv wie möglich produzieren. Allerdings ist das weit weg von der Vision der Initiative. Sie betont die Schonung der natürlichen Ressourcen, die Erhaltung des Kulturlandes und – etwas schwammig – die «ökologischen Erwartungen der Bevölkerung». Auch die Forderung nach mehr Menschen in der Landwirtschaft zeigt: Den InitiantInnen schwebt nicht ein input-, sondern ein arbeitsintensiveres Agrarmodell vor. Natürlich, die Gefahr besteht, dass die SVP-Agrarfraktion bei einem Ja versucht, die Vorlage in ihrem Sinn auszulegen. Aber jetzt, da beide grossen linken Parteien für ein Ja plädieren, würde sie damit kaum durchkommen.
Bleibt noch die viel diskutierte Frage: Würden bei einer Annahme der Initiative die Lebensmittelpreise im Laden steigen? Jans befürchtet es: «Höhere Lebensmittelpreise belasten die Armen, höhere Direktzahlungen werden von den Reichen mit den Steuern finanziert.» Höhere Preise müssten nicht sein, meint dagegen Tamara Funiciello: «Die Margen der Lebensmittelindustrie und des Handels sind relativ hoch. Dieser Profit muss runter.»