Völkerrecht: Täuschung oder Illusion?

Nr. 34 –

Bundesrat Christoph Blocher lanciert eine neue Menschenrechtsdebatte. Seine KritikerInnen verkennen jedoch seine wahren Absichten. Ein Gastbeitrag von Alex Sutter von der Nichtregierungsorganisation Human Rights.

Es begann am 1. August mit einer gezielten Provokation. Bundesrat Christoph Blocher verglich die Schweizer VertreterInnen des Völkerrechts mit «fremden Vögten». Der Angriff hat sich inzwischen - ganz nach dem Willen des Initiators - in eine verkappte Grundsatzdebatte über den Stellenwert von Menschenrechtsargumenten in der schweizerischen Politik gewandelt. Verkappt deshalb, weil KritikerInnen wie etwa die VölkerrechtsexpertInnen das Ihre dazu beitragen, an der eigentlichen Stossrichtung der Attacke vorbeizureden.

Erstens wird so getan, als ginge es Blocher um eine generelle Abwertung des Völkerrechts zugunsten der direkten Demokratie. Dagegen hat sich Blocher zu Recht verwahrt. Obwohl auf seiner Klaviatur solche spektakulären Gegensätze nicht fehlen, käme es ihm nicht in den Sinn, zum Beispiel das internationale Wirtschaftsrecht (etwa der Welthandelsorganisation WTO) als solches in Zweifel zu ziehen. Im Visier des Justizministers ist nur ein relativ enger Ausschnitt des internationalen Rechts, nämlich die internationalen Menschenrechte, welche allen Menschen bestimmte elementare Rechte wie die Religionsfreiheit oder das Recht auf Familienleben zusprechen und die auch dazu dienen, Angehörige von Minderheiten in ihrem Freiheitsbereich zu schützen.

Man würde Blocher unterschätzen, wenn man glaubte, seine Absicht sei es, wichtige menschenrechtliche Verpflichtungen der Schweiz gleich als Ganzes auszuhebeln. Denn solche politisch unrealistischen Forderungen wie etwa jene der CVP, die in den achtziger Jahren die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) forderte, passen nicht zur Effizienz des Vorstehers des Justiz- und Polizeidepartements. Wenn er mit diesem Gedanken spielt, handelt es sich nur um ein populistisches Ablenkungsmanöver. Die SP Schweiz hat diese Finesse offensichtlich nicht verstanden, denn sie behandelt die ganze Debatte als blosse Provokation, auf die einzugehen sie vornehm verzichtet.

Doch Blochers Angriff ist weit mehr als nur Wahlkampfunterstützung für die SVP oder Wasser auf die Mühlen der aktuellen, menschenrechtlich problematischen Initiativen der SVP (Einbürgerungsinitiative, Minarettinitiative, Ausschaffungsinitiative).

Absichten hinter der Provokation

Bundesrat Blocher hat ein Ziel seiner Bemühungen in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens am 15. August selbst offengelegt: Es geht ihm um die prinzipielle Schwächung von menschenrechtlichen Argumenten im Gesetzgebungs- und Umsetzungsprozess. Er möchte die Argumente a priori entkräften, welche aus einer juristischen Sicht heraus auf die normativen Rahmenbedingungen verweisen, die sich von den international geltenden Menschenrechten herleiten. In seiner personalisierenden Art will Blocher die Macht der VölkerrechtsprofessorInnen oder allgemein der Expertokratie zurückbinden, oder, wie es sein erster Trompeter (oder Einflüsterer?) Urs Paul Engeler in der «Weltwoche» zu benennen beliebt, «die elitäre Zunft der Staatsrechtsprofessoren» beziehungsweise «die dünkelhafte Gilde der Rechtsprofessoren». Solche Verunglimpfungen eines Berufsstandes gehören zwar auch ins Kapitel Populismus, aber sie haben darüber hinaus einen methodischen Stellenwert. Dazu passt, dass Blocher immer wieder suggeriert, die internationalen Menschenrechte würden «nur» AusländerInnen und Kriminelle schützen und der Mehrheitsbevölkerung nichts als Ärger bringen.

Festzuhalten bleibt: Eigentliches Ziel der Attacke sind die menschenrechtlichen Argumente in der Gesetzgebung. Beispiele sind etwa die im Ständerat beschlossenen Restriktionen der Nothilfe für nichtkooperative abgewiesene Asylsuchende, die dann im Nationalrat weniger wegen menschenrechtlicher Bedenken als wegen eines Bundesgerichtsentscheids im März 2005 rückgängig gemacht wurden, oder auch die Probleme bei der EMRK-konformen Umsetzung der Verwahrungsinitiative.

«Reines Produkt der Macht»

Eine erste Methode, um die normative Kraft von menschenrechtlichen Argumenten zu schwächen, besteht, wie oben bereits angetönt, in der systematischen Diffamierung von denen, die solche Argumente mit Fachkompetenz vortragen. Es wird polemisch so getan, als würden diese Leute das in ihrem eigenen Machtinteresse tun. Denn das Völkerrecht - so belehrt uns Engeler als kleiner Foucault - sei ja ohnehin «ein reines Produkt der Macht». Die Abwertung und das Lächerlichmachen von VölkerrechtsexpertInnen als «fremde Vögte» sollen über kurz oder lang eine über die SVP hinausgehende Erosion der Glaubwürdigkeit von ausgewiesenen juristischen Fachpersonen bewirken. Angesichts der Tatsache, dass bereits heute menschenrechtliche Argumente bei vielen PolitikerInnen der Mitte kaum Gehör finden, ist die Strategie der Verunglimpfung als gefährlich einzustufen.

Die zweite Methode Blochers ist eine institutionelle. Blocher hat am 13. August in der «Mittelland-Zeitung» das schweizerische monistische Rechtssystem explizit infrage gestellt, also die seit dem 19. Jahrhundert geltende Doktrin, wonach ratifizierte internationale Verträge in der Schweiz automatisch eine innerstaatliche Rechtswirkung erlangen. Offenbar liebäugelt er mit einem Wechsel hin zu einem dualistischen System, wonach ratifiziertes internationales Recht erst dann eine Rechtswirkung erlangt, wenn es ausdrücklich via Gesetzgebung ins nationale Rechtssystem überführt worden ist. Doch es ist äusserst fraglich, ob ein solcher Systemwechsel in der Praxis überhaupt machbar wäre. Mehr noch: Ist das dualistische System mit der direkten Demokratie überhaupt zu vereinbaren, ohne dass eine starke Rechtsunsicherheit entsteht? Ob es dem Macher Blocher bewusst ist, dass dieser Wechsel kein gangbarer Weg ist, wissen die Götter. Entweder handelt es sich um eine Illusion oder um eine Täuschung im Dienste der fundamentalistischen «volksdemokratischen» Rhetorik zur Vergrösserung seines politischen Spielraums und seiner Macht.


www.humanrights.ch

Das Wissensportal www.humanrights.ch informiert über internationale und europäische Menschenrechtsabkommen sowie deren Umsetzung in der Schweiz, die schweizerische Menschenrechtspolitik. Es bietet Datenbanken zu Fachpersonen und MenschenrechtsakteurInnen in der Schweiz, Hinweise auf didaktische Materialien und Dokumentationen zu menschenrechtlichen Querschnittsthemen wie Gleichstellung der Geschlechter, Rassismus oder transnationale Unternehmen. Zu jeder Session der eidgenössischen Räte erscheint ein Rückblick auf die menschenrechtsrelevanten Geschäfte.

Alex Sutter

Der Verfasser ist Ko-Geschäftsleiter von Humanrights.ch / MERS sowie Geschäftsinhaber der Beratungsfirma Transkultur in Bern.