Auf dem Bau: Vor und nach dem Streik

Nr. 41 –

Sie sind junge Frauen und als Gewerkschafterinnen jeden Tag auf Baustellen unterwegs. Die WOZ begleitete Maria-José de Olazabal und Mónica Ferreira, die mit roten Jacken, Umhängetaschen und Bauhelmen den Kontakt zwischen Arbeitern und Unia garantieren.

Am Montagmorgen um 8.15 Uhr ist Koordinationssitzung im Unia-Büro im Zürcher Volkshaus. Auf dem Tisch liegen druckfrische Flugblätter und die Aufkleber «Wir streiken!». Diesen Samstag ist auf der Unia-Berufskonferenz Bau der Streikentscheid gefallen, nun kann das Infomaterial auf den Baustellen verteilt werden. An der Bürowand hängt eine grosse Karte des Kantons Zürich; gelb, grün und rot markiert sind sämtliche Baustellen, die von den Unia-Leuten regelmässig besucht werden. Die Farben symbolisieren, wie Mónica Ferreira erklärt, die aktuelle Stimmung im Hinblick auf den Streik vom 1. November. Die Sitzung dauert eine Viertelstunde; es wird kurz über die Erfahrungen der vergangenen Woche diskutiert und der Besuchsplan für die nächste Woche aufgestellt. Dann packen die FunktionärInnen Material und Ordner in die Taschen, holen Schutzhelme und Autoschlüssel. Die rot-schwarzen Unia-Smarts stehen in einer Tiefgarage in der Nähe. Um neun Uhr ist auf den meisten Baustellen Znünipause - eine gute Gelegenheit, die Arbeiter über den neuesten Stand des Kampfes um den vom Baumeisterverband gekündigten Landesmantelvertrag (LMV) zu informieren.

Baustellensprachen

Kalt und neblig ists auf der Baustelle in Zürich Nord: Strassenbau ist bei dieser Witterung kein Spass. In der Baracke sitzt ein Dutzend Arbeiter bei Kaffee und Sandwiches. Die Poliere haben ihren eigenen Raum, gleich nebenan. Mónica Ferreira, 34 Jahre alt, begrüsst die Arbeiter in portugiesischer Sprache, Maria-José de Olazabal, 30 Jahre alt, auf Spanisch. Eine Kollegin, deren Muttersprache Albanisch ist, und eine weitere, die Deutsch und Italienisch spricht, verteilen die rot-weissen Streikkleber.

Die Baustellensprachen sind nicht überall gleich; das zehnköpfige Unia-Team - jung und zum grossen Teil Frauen - ergänzt sich daher gut. Die Herkunft der Werberinnen auf den Baustellen ist wichtig. «Die Sprache verkörpert ein Stück Heimat», sagt Maria-José de Olazabal. «Wir werden an den meisten Orten gut empfangen, die Arbeiter kennen uns schon, denn wir besuchen unsere Baustellen täglich und nicht nur jetzt, wo es um die Vorbereitung des Streiks geht. Wir werden auch nach dem Streik präsent sein», ergänzt Mónica. «Wichtig sind uns die engen Kontakte zu den Vertrauensleuten, über sie erfahren wir auch, wenn Konflikte auftreten.»

Gut informierte Bauleute

Mónica Ferreira ist in Deutschland aufgewachsen. Ihre Eltern sind aus Portugal zugewandert, der Vater war aktiver Gewerkschafter und Betriebsrat. Sie hat in Freiburg im Breisgau Soziologie studiert, arbeitete während sechs Jahren mit Kindern und Jugendlichen und bildete sich anschliessend zur Betriebswirtin aus. «Eine Tätigkeit mit portugiesischen Arbeitnehmern hat mich immer interessiert», sagt sie; seit Januar 2007 ist sie bei der Unia Zürich angestellt, als Bereichsleiterin zuständig für den Bau und das Gewerbe. Ihre Kollegin Maria-José de Olazabal arbeitet seit vier Jahren bei der Unia. Sie kam 1995 aus Peru in die Schweiz, arbeitete zunächst in einer Fabrik, machte dann eine kaufmännische Lehre und holte die Berufsmatura nach. De Olazabal hat eine Weiterbildung in Kampagnenführung absolviert und arbeitet seit 2003 als Bereichsleiterin im Tertiärsektor bei der Unia Zürich. In der Auseinandersetzung für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag auf dem Bau unterstützt sie das Bauteam und leitet zusammen mit Ferreira die Kampagne. «Der Dienstleistungsbereich und der Bau sind nicht zu vergleichen», erklärt Maria-José de Olazabal, «Bauarbeiter sind in der Regel gut informiert, was ihre gewerkschaftlichen Rechte sind und was die Unia tut, im Tertiärbereich kennen die Beschäftigten ihre Rechte viel weniger, obwohl besonders die Frauen oft in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind.»

Jeden Tag im Aussendienst

Morgens sind die Unia-Leute auf den Baustellen - in der aktuellen Situation noch intensiver - nachmittags kehren sie in ihre Büros zurück, erstellen Reports, schreiben auf, was für Probleme sie auf den Baustellen antreffen, wie die Stimmung ist, und bereiten die Besuche des kommenden Tages vor. Die 400 Baustellen im Raum Zürich sind keine statischen Einheiten: Hier wird ein Bauvorhaben abgeschlossen, dort eine neue Baustelle eröffnet, das hält die GewerkschafterInnen auf Trab. «Die Arbeit ist intensiv, spannend und abwechslungsreich», sagt Maria-José de Olazabal. «Wenn ich zu Grossverteilern wie Coop oder Carrefour gehe, bin ich schon um 7 Uhr früh vor Ort oder auch einmal an einem Sonntag. Das hängt von den Ladenöffnungszeiten ab.» Dass es ab und zu abends auch noch Sitzungen gibt, nimmt sie gelassen.

Mónica Ferreira schätzt die Professionalität bei der Unia, die Unterstützung im Team und die Weiterbildungsmöglichkeiten. «Es ist eine herausfordernde Arbeit, man hat mit Menschen zu tun, und man erhält viel zurück», sagt sie. «Unter den Bauarbeitern, die ich regelmässig sehe, gibt es solche, die schon bei der Blockade am Bareggtunnel vor fünf Jahren dabei waren. Sie wissen, was es bedeutet, dass der LMV nach sechzig Jahren aufgekündigt worden ist. Gerade heute Morgen hat mir ein älterer Arbeiter gesagt, er werde streiken. Zwar nicht mehr für sich selber, aber für die Jungen, die nachkommen.» Das hat ihr Freude gemacht.

Der Streik auf dem Bau

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Dieser Tage rufen die Gewerkschaften Unia und Syna die Beschäftigten im Bauhauptgewerbe zum Streik und zu Aktionen auf. Die Unternehmer sollen gezwungen werden, den auf Ende September gekündigten Gesamtarbeitsvertrag zu erneuern - ohne, dass die Gewerkschaften weitere Konzessionen machen wollen. Zunächst werden die Bauunternehmer ab Montag in Bern, Genf und Neuenburg die Macht von Bauarbeitern und Gewerkschaften zu spüren bekommen. Am 1. November folgen dann Streiks in der Region Zürich - und vermutlich auch noch anderswo. Bei einem Arbeitskampf gebe es immer eine gewisse Dynamik, sagt Hansueli Scheidegger, der Streikleiter der Unia. Falls die erste Streikwelle von Weihnachten die Baumeister nicht an den Verhandlungstisch bringe, seien ab März weitere Streiks vorgesehen. «In der Stadt Bern gibt es Streiks auf allen Baustellen », sagt Roland Sidler, Regionalsekretär bei der Unia. Mehr als hundert Baustellen sind das - einige davon in den Vororten. Dazu gehören auch die ganz grossen, wie der Neufeldtunnel oder der Bahnhofplatz - Baustellen, bei denen unter grossem Druck auf Termin gearbeitet wird. Grosse Wohnbauvorhaben an der Gemeindegrenze zu Köniz werden ebenso davon betroffen sein, eine weitere grosse Baustelle hingegen wird kaum bestreikt werden: Das neue Einkaufszentrum der Migros in Brünnen hat die Aufrichte schon hinter sich; das Bauhauptgewerbe ist dort nur noch am Rande tätig. Denn mit den anderen Baubranchen - MalerInnen, GipserInnen, Holzbau - bestehen nach wie vor Gesamtarbeitsverträge, ein Kampf ist also nicht nötig.

Berns Bauarbeiter werden sich am Montag früh am Bahnhof treffen, um dort rund 50 000 PendlerInnen ihre Streikzeitung zu verteilen. Bei Besuchen auf Baustellen holen Streikpiketts weitere Beschäftigte ab. Später treffen sich alle in einem Zelt am Waisenhausplatz, wo es Reden gibt und Essen - und das Streikgeld ausbezahlt wird. Sidler ist optimistisch: «Knapp neunzig Prozent aller Bauarbeiter auf dem Platz Bern sind bei der Abstimmung für den Streik gewesen», sagt er: «Ich rechne mit mindestens 500 Streikenden in der Innenstadt.»

In Genf soll der Streik im ganzen Kanton stattfinden. Hansueli Scheidegger rechnet hier mit einer noch höheren Beteiligung: «In Genf sind die Bauleute traditionell gut organisiert, und es herrscht eine militantere Stimmung als in Bern.» Voraussichtlich komme es auch zu grösseren Behinderungen des Verkehrs. Im Kanton Neuenburg schliesslich sind nur einige wenige grosse Baustellen von den Streiks betroffen.

Johannes Wartenweiler