Linke Frauen - rechte Männer: Grosis pflegen macht links

Nr. 45 –

Ein Erklärungsversuch.

Es ist eine dieser beliebten Umfragen. In dieser geht es um Grosses und Tiefes: um Werte. Sollen Firmen Männer bei der Jobvergabe bevorzugen? Würden Sie in einem Krieg für Ihr Land kämpfen? Sind hohe Einkommensunterschiede gut oder schlecht? Und Privatisierung? Welchen Institutionen vertrauen Sie: Polizei, Gewerkschaften, Kirche, Uno? Die World Values Survey (Weltwertestudie), eine standardisierte internationale Umfrage, will das alles wissen - und noch viel mehr.

In der Schweiz gab es bisher drei Erhebungen: 1989, 1996 und dieses Jahr. Sie zeigen Erstaunliches: Die Frauen werden immer linker, die Männer rutschen nach rechts. Am stärksten ist diese Entwicklung bei gut ausgebildeten Menschen. Frauen legen mehr Wert auf ausgeglichene Einkommensverteilung und Chancengleichheit, und sie sind viel skeptischer gegenüber Privatisierung und Wettbewerb als Männer.

Da wir im Gegensatz zu Eva Herman und der «Weltwoche» Geschlechterrollen nicht für etwas Unveränderliches und Naturgegebenes halten, stellt sich die Frage: Was erleben Frauen, das sie links denken lässt? Frauen sind bis heute zu einem grossen Teil für die Tätigkeiten zuständig, die mit Sorge, Hilfe und Solidarität zu tun haben. Und zwar in allen Schichten: Auch in gut verdienenden AkademikerInnenfamilien sind es meist die Frauen, die zwischen verkrachten Verwandten vermitteln, das kranke Grosi pflegen, den Freund mit Suchtproblemen in die Beratungsstelle begleiten, WCs putzen. «Frauen sind erpressbar, weil sie 'wissen gelernt' haben, dass es viele Dinge gibt, die einfach getan werden müssen, sollen Menschen leben können», hat die feministische Ökonomin Mascha Madörin einmal geschrieben. Aus diesem Grund sind Frauen auch stärker auf eine egalitäre Gesellschaft und einen guten Service public angewiesen: Die Versorgung, die im Neoliberalismus eingespart wird, fällt als Gratisarbeit auf die Frauen zurück.

In der traditionell männlichen Welt der Karriere sind hingegen Wettbewerb und Konkurrenz gefragt. Obwohl sich gut ausgebildete Frauen immer mehr in dieser Welt bewegen, scheinen diese Werte nicht abzufärben. Katharina Pühl, wissenschaftliche Assistentin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel, meint: «Frauen haben in den 35 Jahren, die sie nun stimmen können, ihre stärkere Einbindung in die höhere Bildung offenbar genutzt, sich ein klassenunabhängigeres Bild von der Gesellschaft zu machen. Sie gucken gewissermassen unter Absehung von ihrem Klassenstandpunkt auf gesellschaftliche Verhältnisse und fällen eigenständige Urteile, nicht Gefälligkeitsurteile.»

Und die Männer? Viele dieser gut ausgebildeten, die nach rechts rücken, müssen ja mit linken Frauen liiert sein. Sabin Bieri vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern sagt, in diesem Milieu gebe es eine «rhetorische Modernisierung»: Theoretisch seien die Männer zwar für Gleichberechtigung, doch in der Praxis dominierten «Ausweichstrategien und eine erstaunlich persistente Geschlechterordnung».

So haben Karrierefrauen zwei Möglichkeiten: Entweder sie erledigen die ganze Haus- und Sozialarbeit weiterhin selbst, oder sie zahlen schlechter gestellte Frauen dafür. Befriedigend ist beides nicht, emanzipatorisch auch nicht. Die Hälfte dieser Arbeit wäre Männersache. Und Männer könnten dabei viel lernen. Zum Beispiel links zu denken.