Amazonas: Lob für den Sojakönig
Ein neu geschaffener Nationalpark in Brasilien soll die Abholzung des Regenwaldes stoppen. Doch die Menschen, die dort leben, sehen das anders.
Auf breiter Front stürzen tosende Wassermassen über dunkle Sandsteinsockel. Ein Gischtschleier schwebt über dem ungezähmten Fluss, während die letzten Strahlen der Abendsonne die Baumkronen der Urwaldriesen entlang des Ufers in einen rötlichen Schimmer tauchen.
Regungslos bewundert Roberta Freitas das Schauspiel.
Mit vier ihrer Kollegen der brasilianischen Umweltbehörde Ibama soll die junge Geografin über den neu geschaffenen Juruena-Nationalpark wachen, in dem die Salto-Augusto-Wasserfälle liegen. Mit seinen knapp 20 000 Quadratkilometern ist der Park fast halb so gross wie die Schweiz. Er gehört zu einem Gürtel aus Schutzgebieten am südlichen Rand des Amazonasbeckens, mit dem die Abholzung des Regenwaldes gestoppt werden soll.
Die Zeit drängt. Von Süden rollt eine Welle der Zerstörung heran: Rinderherden, Rauchschwaden von Brandrodungen und hellgrüne Lichtungen mitten im Urwald hat Roberta Freitas auf ihrem Flug beobachtet. «Wir sind hier, um die Gesetze durchzusetzen. Aber die Leute spüren keine Verbindung zur Natur. Wir haben viele Informationen über Umweltvergehen, doch mit unseren knappen Ressourcen können wir nur selten eingreifen.»
Tropenholz sichert Existenz
Wenn sie es dennoch einmal versuchen, stossen die InspektorInnen auf erbitterte Gegenwehr. Wie vor ein paar Monaten, als sie ein paar illegale Sägewerke und Goldgräberareale schlossen: Eine aufgebrachte Menschenmenge hielt Freitas mit weiteren 38 KollegInnen stundenlang eingekesselt. Erst am nächsten Morgen sicherten ihnen herbeigeeilte Polizisten freies Geleit.
In der Gemeinde Apiacás, die fast die Hälfte ihres riesigen Territoriums an den Juruena-Park abtreten musste, fristen viele EinwohnerInnen ein karges Dasein als KleinbäuerInnen. Für ihre Produkte finden sie kaum AbnehmerInnen.
Beim Tropenholz ist das anders. Das lässt bereits die Landschaft ahnen, die sich beiderseits der unasphaltierten Landstrasse nach Apiacás erstreckt. Einzelne schlanke Palmen und abgestorbenes Geäst ragen in den Himmel. Auf einigen gerodeten Flächen ist zwischen verkohlten Baumstämmen Buschwerk nachgewachsen, auf anderen weiden Rinder.
Ein Lastwagen ohne Nummernschild hat neun dicke Baumstämme geladen. Sie gehören dem Beifahrer, einem zierlichen Mann um die fünfzig. Von den paar hundert Franken, die er im Sägewerk bekommt, kann seine Familie ein paar Monate lang leben, sagt er. Das Risiko, von Ibama-Inspektoren gestoppt zu werden, sei gering: «Es spricht sich schnell herum, wenn Gefahr droht.»
Trotzdem sind in Apiacás wegen schärferer Ibama-Kontrollen nur noch zehn Sägewerke in Betrieb. Vor ein paar Jahren waren es noch 22. «Wir müssen die Leute in die Legalität zurückführen», ist Marcos Pinheiro vom WWF Brasilien überzeugt. «Sonst kommt keine Bewegung in die Fronten.» Deshalb konzentrieren die UmweltschützerInnen ihre Aktivitäten auf die Pufferzone südlich des Parks. Sie karren JournalistInnen zu Kleinbäuerinnen, Viehzüchtern und einem Sägewerkbesitzer. Alle wirtschaften vergleichsweise umweltschonend. Ganz offensichtlich sind das aber noch grosse Ausnahmen.
2008 soll in Apiacás ein Ökobildungszentrum eröffnet werden, für das die Gemeinde ein Grundstück bereitgestellt hat. «Wir müssen die Mentalität des Raubbaus überwinden, mit der unsere Generation in den achtziger Jahren hergekommen ist», sagt Bürgermeisterin Silda Kochemborger. Die Südbrasilianerin redet viel von «nachhaltiger Entwicklung» und «Bewusstseinsarbeit» an den Schulen.
Anlässlich der 19-Jahr-Feier der Gemeindegründung übt sie demonstrativ den Schulterschluss mit ihrem prominenten Parteifreund Blairo Maggi. Der Gouverneur ist aus der fernen Landeshauptstadt Cuiabá angereist. Nachdem er Sozialwohnungen, einen Gesundheitsposten und zwei Schulen eingeweiht hat, betritt der 51-Jährige die Bühne der Mehrzweckhalle von Apiacás. Umrahmt von regionalen Honoratioren hebt er mit Pathos in der Stimme an: «Die Welt steht an einem Scheideweg. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Umweltprobleme unsere Kinder und Enkel betreffen werden, ja die ganze Welt.»
Die Rede ist ganz auf die anwesenden WWF-Mitglieder zugeschnitten. Um das Ziel «null Entwaldung» zu erreichen, sei eine «grosse Debatte» notwendig, sagt Maggi. «Wer bezahlt die Rechnung? Die Welt muss verstehen, dass unsere Kinder Hoffnung brauchen. Jeder Produzent muss pro Hektar und Jahr einen bestimmten Betrag bekommen, damit er sich in einen Urwaldschützer verwandeln und seine Familie ernähren kann.» Der Landesvater des Drei-Millionen-Bundesstaates Mato Grosso ruft aber auch: «Jeder hat das verfassungsmässige Recht, zwanzig Prozent seines Landes abzuholzen.» Und die Halle jubelt.
«WWF raus!»
Maggi ist nämlich auch einer der grössten Sojaproduzenten der Welt. Als Gouverneur treibt er seit 2003 die Politik zugunsten des Agrobusiness höchstpersönlich voran. Mato Grosso liegt bei den brasilianischen Entwaldungsstatistiken regelmässig vorne, weshalb der «Sojakönig» vor zwei Jahren von Greenpeace die «goldene Kettensäge» verliehen bekam. Trotzdem lobt Pinheiro vom WWF die Rede des Gouverneurs und fügt an: «Null Entwaldung, das ist eine enorme Herausforderung, dafür muss die ganze Gesellschaft umdenken.»
Plötzlich steht ein schlanker Mann mit Sonnenbrille auf der Bühne und hält zusammen mit zwei Kindern ein orangefarbenes Transparent hoch. «WWF raus!» prangt darauf in grossen Lettern. In der Halle wird es unruhig. «Die Europäer haben es doch nur auf unsere Reichtümer abgesehen», schimpft ein Dorfbewohner, «bei sich haben sie alle Urwälder gerodet, und jetzt kommen sie her und wollen uns Vorschriften machen.»
Nach seiner fotogenen Protestaktion stellt sich der Bannerträger ausserhalb der Halle einem Streitgespräch mit den UmweltschützerInnen. «Ihr kümmert euch nur um Tiere, Wälder und Flüsse, aber nicht um die Menschen, die hier leben», wirft er ihnen vor. Sein Name ist Charles Leonel Passarini, und er besitzt 8500 Hektar Land im Nationalpark. «Wann werde ich entschädigt? Das Recht auf Eigentum muss doch respektiert werden!» Marcos Pinheiro bleibt gelassen. «Wir sind nicht Ibama oder die Bundesregierung», hält er dagegen, doch alle Landbesitzer würden entschädigt, das stehe fest.
«Das hab ich schon x-Mal gehört», ereifert sich Passarini. «Warum kommen die Regierungsleute nicht selbst?» Seitdem Präsident Lula da Silva vor gut einem Jahr das Nationalparkdekret unterzeichnet hat, sind noch nie VertreterInnen von Ibama in Apiacás aufgetaucht, um die Fragen der Lokalpolitikerinnen oder der Eigentümer zu beantworten. Und immerhin zwei Drittel der ausgewiesenen Fläche sind in privaten Händen.
Auch am Salto Augusto, 150 Kilometer weiter nordwestlich, präsentiert sich die Lage für die UmweltschützerInnen kompliziert. Denn ein langer Streifen Land östlich der Wasserfälle wird bereits seit zwölf Jahren genutzt - und schliesst eine Landepiste sowie ein Urwaldhotel für Sportangler ein. Der Eigentümer des Hotels, Paulo Traven, ist ein sportlicher Mann mit indianischen Gesichtszügen. Vom jugendlichen Goldsucher hat er es zu einem der grössten Diamantenhändler Brasiliens gebracht. Vor einem Jahr stand er unter dem Verdacht des Diamantenschmuggels. «Sie haben meine Güter und meine Steuernummer blockiert, aber das ist jetzt alles überstanden», versichert er.
Scheffeln statt schützen
300 Kilometer weiter südlich betreibt Traven mehrere Förderanlagen, «alles ganz legal». Seine Stimme hat in der ganzen Region Gewicht. In fliessendem Englisch umreisst er seine Lebensphilosophie: «Ich sehe immer in die Zukunft. Der Fortschritt kommt, die Strassen kommen, ich habe hier Schürfrechte.» Selbst kleine Wasserkraftwerke liessen sich im Juruena bauen, das sei «technisch kein Problem». Gouverneur Maggi sieht das ähnlich.
Ob er sich vorstellen könne, in Brasília eine Entschädigung zu beantragen? Traven überlegt keine Sekunde: «Auf keinen Fall. All das hier will ich für meine Kinder erhalten. Und offiziell habe ich immer noch nichts vom Nationalpark gehört.»
Die acht Kilometer vom Salto Augusto zum Urwaldhotel chauffiert er seine Gäste persönlich. Hinter der Landepiste geht die Fahrt an einer gerodeten Viehweide vorbei. Der letzte Teil des Feldwegs führt mitten durch den Primärwald. Das Anglerhotel, das an eine Jugendherberge erinnert, liegt malerisch an einer Flussschleife des Rio Juruena.
Beim Mittagessen versuchen die UmweltschützerInnen, dem Gastgeber ihre Vision von einer Öko-Lodge mit Wanderpfaden nahezubringen, auf denen die BesucherInnen künftig die Vögel, Affen oder Tapire des Juruena-Biotops bewundern könnten. Roberta Freitas verfolgt die Gespräche mit einem skeptischen Gesichtsausdruck. Ihr ist klar geworden, wie schwer es sein wird, aus diesem Amazonasgebiet einen wirklichen Nationalpark zu machen.
Weltklimaanlage Amazonien
«Der Amazonas-Regenwald ist nicht nur ein Wasserspeicher, sondern die wohl grösste Klimaanlage der Welt», sagt Michael Evers vom WWF. Der Wald fängt die Sonnenenergie ein und verwandelt sie in enorme Mengen Wasserdampf. «Die dadurch entstehenden Wolken versorgen den Wasserkreislauf und kühlen das Weltklima ab.»
Aber Amazonien, das grösste Tropenwaldgebiet der Welt, ist nur noch zur Hälfte intakt. Und die weltweite Abholzung des Tropenwaldes ist eine der zentralen Ursachen des Klimawandels: Zwischen 20 und 25 Prozent der von Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen entstehen durch Brandrodung. Der Regenwald ist nämlich ein mächtiger Speicher für organischen Kohlenstoff. Durch die Bodenbearbeitung werden grosse Mengen Kohlenstoff freigesetzt und in Verbindung mit Sauerstoff zum Treibhausgas CO2 umgewandelt.
Gleichzeitig leidet der Regenwald unter der Erderwärmung. Vor zwei Jahren suchte eine monatelange Dürre Amazonien heim, vielerorts fiel der Flusspegel um mehr als zehn Meter. «Nun droht ein Teufelskreis», sagt Evers: «Die Austrocknung des Waldes durch den weltweiten Temperaturanstieg, verminderte Niederschläge und immer mehr Waldbrände können sich gegenseitig aufschaukeln, die Folgen für das Weltklima sind unabsehbar.» Der Klimawandel werde die Temperatur im Amazonasbecken um mehr als zwei Grad Celsius erhöhen, befürchtet er.
Die jüngste Entwicklung scheint dies zu bestätigen. Im Norden von Mato Grosso waren die Niederschläge 2007 geringer und die Brände häufiger als im Vorjahr. Wochenlang hing dicker Rauch über der Region. «Die Zerstörung Amazoniens bleibt unsere Achillesferse», sagt Klimaforscher Paulo Artaxo. Wird das Regenwaldgebiet weiter vernichtet, verliert es irgendwann die Fähigkeit zur Wasserspeicherung und bricht als Ökosystem zusammen.