Gerd Leipold: Hühner im Dialog

Nr. 4 –

Der oberste Steuermann von Greenpeace fliegt nach Davos. Was bringts?

WOZ: Herr Leipold, zum dritten Mal reisen Sie nach Davos. Wieso?
Gerd Leipold: Tatsache ist, dass ich dort in sehr kurzer Zeit sehr viele wichtige Leute aus Politik, Wirtschaft, Medien und anderen NGOs treffen kann. Effizienter gehts nicht. Ich kann nicht nur netzwerken, sondern auch die Mission von Greenpeace einem breiten Zielpublikum kundtun.

Wie sieht Ihr Programm aus?
Voll und hochinteressant. Ich werde mich vor allem mit den Themen Wasser, Biotreibstoffe und Atomenergie befassen. Dann nehme ich auch an einem weiteren nicht öffentlichen Panel über die Zusammenarbeit von NGOs und der Bergbauindustrie teil. Meine Kritik am Wef ist ja nicht eine inhaltliche, sondern die Tatsache, dass das globale Agendasetting und der dazugehörige Meinungsaustausch hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Auf welche Begegnung freuen Sie sich am meisten?
Auf das Treffen mit Tom Friedman von der «New York Times». Er schreibt nicht nur interessante Bücher, sondern erfasst komplexe Sachverhalte und nimmt globale Themen mit Tiefgang auf.

Von welchem Treffen erhoffen Sie sich am meisten?
Von den Panels zu Wasser und Biotreibstoffen. Ich bin sehr gespannt auf die Meinung der Energie- und Lebensmittelindustrie zu diesen Themen.

Haben Ihre bisherigen zwei Wef-Besuche etwas Konkretes bewirkt?
Ich weiss es nicht. Netzwerken lässt sich nun mal nicht messen. Trotzdem ist es wichtig. Ein Beispiel: Letztes Jahr war das Klima das Thema am Wef, nicht gerade ein typisches Männerthema. Ich konnte dort ein Gefühl dafür bekommen, was Rhetorik und was ernst gemeint war. Ich erfuhr viel darüber, was an Wissen und Unwissen überhaupt vorhanden ist. Viele CEOs leben ja gesellschaftlich isoliert. Für sie ist das Wef ein geschützter Raum, in dem sie sich öffnen und etwas zugänglicher geben können.

Greenpeace setzt auf den Dialog mit der Wirtschaft. Was würden Sie in diesem Zusammenhang als einen Erfolg von Greenpeace bezeichnen?
Der Dialog gehört genauso zu uns wie der Protest. Er steht in keinem Gegensatz zum Konflikt, zur Konfrontation. Vor zwei Jahren griffen wir etwa McDonald's an, weil die von ihnen verwendeten Hühner mit Sojabohnen gefüttert wurden, die aus gerodetem Amazonasgebiet stammten. Also haben wir uns als Hühner verkleidet und uns vor den McDonald's gestellt. Nach anfänglichem Zögern hat McDonald's mit uns zusammen Druck auf die grossen Getreidefirmen ausgeübt. Ohne die enorme Marktmacht von McDonald's hätten wir viel weniger Einfluss gehabt. Und deshalb gibt es jetzt im Amazonas ein Moratorium für Abholzungen zum Sojaanbau.

Gab es Misserfolge?
Natürlich. Wir operieren mit der Formel «Vom Konflikt zur Kooperation zum Konflikt». Aber das funktioniert nicht immer. Zum Beispiel wird es nie eine Kooperation mit der Atomindustrie geben, einen Dialog hingegen schon. Das gilt auch in Bezug auf Erdölfirmen, solange sie weiterhin auf den Verkauf fossiler Brennstoffe als ihr Kerngeschäft setzen. Aber auch wenn es zu einem Dialog kommt: Die Interessen zweier Parteien an einem Dialog müssen ja nicht die gleichen sein. Greenpeace will mit dem Dialog eine Veränderung zugunsten der Umwelt bewirken, während die andere Seite manchmal lediglich den Konflikt zu entschärfen versucht.

Was halten Sie von der Selbstregulierung der Wirtschaft, von Verhaltenskodizes und ähnlichen unverbindlichen Richtlinien?
Sie haben was Gutes, weil sie eine gewisse subversive Kraft besitzen. Denn sie stehen gedruckt auf Papier, und man kann sie den beteiligten Unternehmen unter die Nase reiben und einfordern. Trotzdem kommt man mit Freiwilligkeit allein nicht weiter, weil sie nicht nachhaltig ist. Für Langfristigkeit braucht es Verbindlichkeit in Form von nationalen und internationalen Vereinbarungen. Und jedes Unternehmen müsste sich zur Nachhaltigkeit im Umgang mit dem CO2-Ausstoss und seinem Energieverbrauch verpflichten.

Arbeiten Sie mit anderen NGOs zusammen, um den Einfluss auf die Unternehmen zu verstärken?
Ja, seit vier Jahren trifft sich Greenpeace zweimal jährlich informell mit Oxfam, Amnesty International, Save the Children und dem WWF. Und dann sehen wir uns eben auch noch am Wef, wo wir eine Minderheit darstellen, wie etwa die wenigen Gewerkschaftsvertreter. Auch diese Gelegenheit, die sich sonst nicht einfach so ergibt, nutzen wir.

Wie rechtfertigen Sie als einer der obersten Umweltschützer die Teilnahme an einer Veranstaltung, an die mindestens 2500 Personen mit Flugzeugen, Helikoptern und Luxuskarossen anreisen? Das ist doch ökologischer Unsinn pur.
Das ist wahrscheinlich so. Obwohl sich das Wef vermutlich als klimaneutral bezeichnet. Andererseits könnte dies tausendfach kompensiert werden, wenn das Wef die Unternehmen zu einem ökologischeren Verhalten bewegen würde.

Wenn ...
Ja, wenn.

Welches Verkehrsmittel nehmen Sie denn?
Ich fliege von Abu Dhabi in die Schweiz, weil ich vorher dort an einer internationalen Energiekonferenz rede. Aber ich reise natürlich mit dem Zug zurück nach Amsterdam ins Greenpeace-Hauptquartier. Nicht nur weil es ökologischer ist als fliegen, sondern weil ich das Zugfahren liebe.

Der 57-jährige Gerd Leipold ist gelernter Klimaforscher und Ozeanograf. Er ist seit 2001 Chef von Greenpeace International.