Italien: Ein Patt mit Risiken

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Ein Fünf-Sterne-Wahlsieger, ein wiederauferstandener Silvio Berlusconi und eine mutlose Demokratische Partei: Was folgt auf die italienische Parlamentswahl?

Im Herbst 1995 erschien im renommierten Mailänder Mondadori-Verlag ein Buch mit dem Titel «Un paese normale» (Ein normales Land) und dem Untertitel «Die Linke und die Zukunft Italiens». Autor war Massimo D’Alema, damals Sekretär des postkommunistischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) und später italienischer Ministerpräsident. In seinem Buch reflektierte er die Erfahrungen der ersten – nur wenige Monate dauernden – Regierung von Silvio Berlusconi. Knapp achtzehn Jahre später ist D’Alemas Ziel, aus Italien ein «normales Land» zu machen, immer noch nicht erreicht. Das liegt nicht nur an einem absurden Wahlgesetz, das mit seinen Bonusmandaten in beiden Parlamentskammern zu unterschiedlichen Mehrheiten führte – und damit zur «Unregierbarkeit».

Das Wahlergebnis vom 24. und 25. Februar enthält widersprüchliche Signale. Gewählt wurde: die Hoffnung auf ein bisschen Wandel durch das Mitte-links-Bündnis um Pier Luigi Bersani von der Demokratischen Partei (PD); Kontinuität in Gestalt des einzigen politischen Fixpunkts der vergangenen zwanzig Jahre, Silvio Berlusconi; aber auch wütender Protest gegen das «System», wie ihn der Komiker Beppe Grillo verkörpert. Seine Fünf-Sterne-Bewegung erhielt zweieinhalbmal so viele Stimmen wie Mario Monti, der Liebling von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der deutschen Wirtschaftsredaktionen.

Der Movimento Cinque Stelle (M5S) ist der eigentliche Gewinner der Wahl: Von null auf 25 Prozent, das ist selbst Berlusconi nicht gelungen, als er 1994 das politische System umwälzte; trotz unbegrenzter Mittel kam die Retortenpartei Forza Italia damals «nur» auf 21 Prozent. Der Erfolg der «Grillini» wird vor allem auf Grillos hemmungslose Rhetorik gegen die politische Klasse zurückgeführt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn die Fünf Sterne stehen auch für sozialen und ökologischen Protest – nicht umsonst erreichte M5S mit vierzig Prozent ihr bestes Ergebnis im norditalienischen Susatal: Dort kämpft seit Jahren eine breite Bewegung gegen den Bau einer die Umwelt zerstörenden Hochgeschwindigkeitsstrasse (siehe WOZ Nr. 45/2012 ).

Keine Erholung der Linken

Dass Grillos Leute im parlamentarischen Alltag nun «vernünftig» werden, ist die Hoffnung beider politischen Lager. Bis auf weiteres wird man sich durchwursteln. Während Berlusconi nach der Wahl ganz staatsmännisch die Beteiligung an einer Regierung der «nationalen Einheit» anbot, spekulieren andere über baldige Neuwahlen. Dass die Linke dabei besser abschneiden würde, ist jedoch unwahrscheinlich. Die PD erhielt die Quittung für ihre Unterstützung von Mario Montis Sparpolitik: Bersanis Ankündigung, deren unsoziale Folgen abmildern zu wollen, überzeugte nicht; da erschien vielen WählerInnen selbst Berlusconis Versprechen von Steuergeschenken handfester. Eine Erholung der Linken im engeren Sinn ist ebenfalls nicht in Sicht. Nichi Vendolas Sinistra Ecologia Libertà (3,2 Prozent) rettete sich nur über das Bündnis mit der PD ins Parlament. Die linke Bündnisliste Rivoluzione Civile um den Anti-Mafia-Aktivisten Antonio Ingroia scheiterte mit nur 2,2 Prozent ebenso wie ihre Vorgängerin La Sinistra l’Arcobaleno (Regenbogenlinke), die 2008 auf 3,1 Prozent gekommen war.

Ende der Schonzeit

Und das Positive? Vorerst beendet ist immerhin die Phase des Bipolarismus, verstanden als Gegenüber zweier grosser Lager links und rechts, jeweils mit Bündnispartnern aus der Mitte. Dieses Modell war Anfang der neunziger Jahre als Garantie sowohl für demokratischen Wandel als auch für Stabilität gepriesen worden. Als es in die Krise geriet, hofften seine AnhängerInnen auf einen «dritten Pol» der bürgerlichen Mitte, der – wie im früheren bundesdeutschen Dreiparteiensystem die FDP – mal der einen und mal der anderen Seite zur Mehrheit verhelfen sollte. Mit Montis Niederlage ist dieses Modell nun auch in Italien gescheitert.

Aus Pier Luigi Bersanis ohnehin vager Ankündigung, «die Arbeit» in den Mittelpunkt seiner Politik zu stellen, wird nun erst einmal nichts folgen. Womit andere umso mehr gefordert sind. Die kampfstarke Metallergewerkschaft Fiom (im Gewerkschaftsbund CGIL) hatte schon vor der Wahl angekündigt, am Tag danach die neu gewählten ParlamentarierInnen mit ihren Forderungen zu konfrontieren: Mindestlohn, einheitliche Tarifverträge, Arbeitszeitverkürzung – und die Wiederherstellung des vollen Kündigungsschutzes, den die Regierung Monti aufgeweicht hatte. Bersanis PD, die vom besseren Kündigungsschutz nichts wissen will, war im Wahlkampf von der Fiom auffallend geschont worden. Dafür gibt es nun keinen Grund mehr. Für April hat die Gewerkschaft eine landesweite Mobilisierung ihrer Mitglieder angekündigt.