Steuerparadiese: Die Inseln der Solventen
Für die Superreichen, die multinationalen Konzerne, die grossen Banken und Finanzinstitute bieten Steueroasen traumhafte Konditionen - zu Lasten der Staaten. Warum sie trotzdem überleben.
Was für ein Schock: Der jüngste Steuerskandal hat die braven deutschen BürgerInnen und ihr politisches Spitzenpersonal mit der Nase darauf gestossen, in was für einer Welt sie leben. So überrascht und entsetzt, wie sie pflichtgemäss taten, konnten die Spitzen der bundesrepublikanischen Gesellschaft allerdings im Ernst nicht sein. Seit Jahr und Tag haben sie dem Wahlvolk eine Serie von höchst einseitig ausgelegten Steuerreformen zugunsten der Grosskonzerne und VermögensbesitzerInnen beziehungsweise BesserverdienerInnen verordnet - und stets mit dem Argument, ohne diese Steuerschenkaktionen würden das Kapital und seine «LeistungsträgerInnen» in Massen ins Ausland flüchten, würde das heiss begehrte Auslandskapital den Standort Deutschland meiden. Die Steuergeschenke wurden auf das Grosszügigste verteilt, die VermögensbesitzerInnen, SpitzenverdienerInnen, die deutschen Banken und Konzerne schafften dennoch Geld in die Steueroasen, was das Zeug hielt. Vielleicht erklärt dies die Empörung bei den sozialdemokratischen und grünen Spitzenleuten: Nun sind wir euch jahrelang zu Willen gewesen, und es ist immer noch nicht genug.
Längst hat der Skandal die europäischen Nachbarländer erreicht, die amerikanische und die britische Steuerfahndung haben offenbar ähnliche Quellen angezapft und nehmen sich nun ihre steuerhinterziehenden Reichen vor. Kein Wunder, organisierte Steuerhinterziehung mit Hilfe von Steueroasen und Offshorefinanzplätzen ist ein alltägliches, weltweites Phänomen, sie gehört zu den Schönheiten des gegenwärtigen globalen Kapitalismus, über die man für gewöhnlich lieber schweigt. Steueroasen sind ebenso wenig neu wie der unlautere Steuerwettbewerb der Nationen. Einige Länder, voran die Schweiz und Liechtenstein, Monaco, die Bermudas, haben schon vor Jahrzehnten damit begonnen und sind so reich geworden. Zunächst mit niedrigen Einkommens- und Vermögenssteuern, die sich die neutrale Schweiz als Kriegsgewinnlerin im Ersten Weltkrieg im Gegensatz zu ihren Nachbarn leisten konnte. Während der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre bauten die Schweiz und Liechtenstein ihr Bankgeheimnis aus, um die Kapitalflucht zu erleichtern. Etliche Nachbarn betrachteten das damals schon als feindlichen Akt und reagierten entsprechend pikiert.
Verkaufte Souveränität
Erst während des langen Nachkriegsbooms und mit dem Aufstieg der multinationalen Konzerne wurde aus dem Steuerwettbewerb ein lukratives Geschäft, an dem immer mehr kleine Länder teilhaben wollten. Die einst so stolzen Nationalstaaten lernten rasch, dass sie viel Kapital anlocken und ihren Reichtum mehren konnten, indem sie ihre Souveränität künstlich teilten, Sonderzonen mit Sondergesetzen für ausländische Vermögen und Kapitalien kreierten. Das tat weder der Rechtsstaatlichkeit noch der Souveränität gut, die man den Meistbesitzenden feilbot. Die meisten Länder glaubten sich durch Doppelbesteuerungsabkommen ausreichend geschützt und waren es auch, solange die Zahl der multinationalen Konzerne relativ klein blieb und Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen die Regel waren.
Der eigentliche Boom der Steueroasen und Offshorefinanzzentren begann mit der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte sowie dem Abbau der Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen seit Mitte der siebziger Jahre. Noch rascher als die Zahl der Steueroasen wuchs die Zahl der multinationalen Konzerne und ihrer Tochterunternehmen, von denen immer mehr gezielt in Offshorefinanzzentren gegründet wurden. Heute gehören diese Steueroasen zum System der internationalen Finanzmärkte, sie bieten Beihilfen zum Steuernsparen und andere, in der Regel hoch spezialisierte Finanzdienstleistungen.
Für die Reichen und die Superreichen, für die multinationalen Konzerne, vor allem aber für die international operierenden Banken und für das moderne Finanzkapital - voran die Investmentfonds, die Hegdefonds und sonstige reine Finanzierungsgesellschaften - sind sie ein integraler Bestandteil der Weltfinanzwirtschaft. Für die grossen Finanzzentren der Welt, London, New York, Tokio, bilden sie keine Gefahr, im Gegenteil. Was Liechtenstein für den Finanzplatz Schweiz ist, das sind die britischen Steueroasen und Offshorezentren für die City of London. Vergessen wir nicht: Diese Parallelwelt der grauen und schwarzen Finanzmärkte ist von Nationalstaaten geschaffen worden - das Vereinigte Königreich unterhält allein schon zwölf (von Anguilla über die Bahamas, die Cayman-Inseln und Gibraltar, die Kanalinseln bis zu Montserrat).
Lukrativer Mist
Für die Geschäfte der Steueroasen sind Leute wie der in den aktuellen Steuerskandal involvierte und inzwischen zurückgetretene Chef der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, nicht besonders interessant - ebenso wenig wie die PolitikasterInnen der bürgerlichen Parteien mit ihren KofferträgerInnen und Schwarzgeldkonten. Sie gehören eher zu der tumben Sorte. Wirklich clevere ManagerInnen machen das ganz legal, indem sie sich bei verschiedenen Tochtergesellschaften ihres Konzerns in verschiedenen Ländern anheuern und bezahlen lassen. Unter anderem zu diesem edlen Zweck gründen sie mit wachsender Begeisterung immer neue Schein- und Tochterfirmen (oft genug reine Briefkastenfirmen) - allen voran die ManagerInnen der grossen internationalen Banken und Finanzkonzerne. Sie sind es in erster Linie, die von der Steuerkonkurrenz der Nationen und vom erbitterten Kampf der Steueroasen untereinander profitieren. Richtige Weltkonzerne haben heute Hunderte von Tochterfirmen, etablierte Steueroasen beherbergen Zehntausende von Scheinfirmen besonderen Rechts - und jedes Jahr kommen Tausende hinzu. Auf den Cayman-Inseln sind das gut tausend neue Investmentfonds pro Jahr, auf den britischen Jungferninseln geht die Zahl der Firmengründungen pro Jahr in die Zehntausende.
Es gibt viel zu verdienen: Weltweit wächst die Zahl der Steueroasen und Offshorebankzentren ständig. Wie viele es genau sind, bleibt umstritten. Die G8 rechnet mit 42 Steueroasen, die OECD nennt 47, beides lächerliche Untertreibungen. Die SpezialistInnen haben sich auf wenigstens siebzig politische Einheiten geeinigt, die hauptsächlich davon leben, ausländisches Geld und Kapital anzulocken und ihm Schutz und weitgehende Steuerfreiheit zu gewähren. Wenn man sich klar macht, dass allein die britischen Jungferninseln, Hongkong und Panama zusammen mehr als eine Million Briefkastenfirmen aus aller Welt beherbergen, dann versteht man, dass dies Kleinvieh sehr viel lukrativen Mist macht.
Weltweit haben die Reichen und Superreichen mehr als dreissig Prozent ihres geschätzten Gesamtvermögens in den Offshorefinanzplätzen geparkt, das meiste stammt aus dem Mittleren Osten, aus Asien und Europa. Den Löwenanteil dieses Auslandsvermögens verwalten Schweizer Banken. Knapp ein Viertel (23 Prozent) aller Bankeinlagen weltweit befinden sich in den Steueroasen, wenigstens drei Billionen US-Dollar nach den konservativen Schätzungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Zwischen elf und dreizehn Billionen US-Dollar an ausländischem Kapital und Vermögen in allen Formen sind insgesamt in den Offshorefinanzzentren untergebracht, fast fünfzig Prozent der weltweiten, grenzüberschreitenden Finanztransaktionen gehen durch sie hindurch (die Cayman-Inseln sind das fünftgrösste Bankenzentrum der Welt). Nach den übervorsichtigen Schätzungen des internationalen Tax Justice Network entstehen dadurch den jeweiligen Herkunftsländern des Fluchtkapitals Steuerausfälle in Höhe von 250 bis 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Aber es sind nicht die endlosen Steuermanipulationen, die vor allem die multinationalen Konzerne mit vollem Einsatz betreiben, die diesem blühenden Zweig der weltweiten «Finanzindustrie» bisher geschadet haben. Geschadet hat ihm die Nähe zur internationalen organisierten Kriminalität bis hin zu den terroristischen Netzwerken, denen er die Geldwäsche in grossem Stil ermöglicht. Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), die 1989 auf Initiative der G7 gegründet wurde und heute 34 Mitgliedstaaten zählt, darunter die EU und die Schweiz, hat den Kampf gegen die Geldwaschanlagen in den Steueroasen aufgenommen. Seit 2001 ist die Gangart härter geworden - nun ist die Finanzierung terroristischer Aktivitäten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Auch die OECD und die EU haben entsprechende Kampagnen gegen «unfairen Steuerwettbewerb» und Geldwäsche gestartet.
Sanft und diplomatisch geht es dabei nicht zu - es wird mit schwarzen Listen und ziemlich deutlichen Boykottdrohungen operiert. Auch Liechtenstein, wo jährlich gut tausend ausländische Holdinggesellschaften und Stiftungen gegründet werden, stand auf der schwarzen Liste. Die EU schreckt heute selbst vor altehrwürdigen Steueroasen wie dem Vatikan, der Schweiz oder den britischen Kanalinseln nicht mehr zurück.
Unverhohlene Drohung
Etliche Oasenländer haben inzwischen dem Druck nachgegeben und sich bereit erklärt, zwecks Aufklärung von Steuerdelikten und Geldwäsche zu kooperieren, also das Bankgeheimnis ab und an zu lüften. Liechtenstein, obwohl seit 2001 nicht mehr auf der schwarzen Liste, gehört zu den hartnäckigen Fällen. Aber den Steuerbehörden der USA gelingt es auch in Liechtenstein, ihrer SteuersünderInnen habhaft zu werden. Es ist ihnen sogar gelungen, die US-Zins- und Dividendenbesteuerung in vielen Steueroasen durchzusetzen. Auch die liechtensteinische LGT-Bank, die im Mittelpunkt des aktuellen deutschen Steuerskandals steht, führt seit 2002 für ihre KundInnen aus den USA brav die fällige Quellensteuer auf alle Wertpapiererträge an die US-Steuerbehörde ab. Es reichte die unverhohlene Drohung, die nichtkooperationswilligen Banken aus Liechtenstein vom US-Kapitalmarkt auszuschliessen und ihnen vor allem jeden Zugang zum offiziellen Dollar-Clearing (noch immer die Durchgangsstation für über neunzig Prozent des weltweiten Zahlungsverkehrs) zu verweigern.
Für Deutschland und die EU sollte diese Einflussnahme nicht möglich sein? Eigentlich schon. Wenn, ja wenn das Vereinigte Königreich, die Mutter zahlreicher Steueroasen, mitspielen würde. Das ist der Kern des Problems: In der EU sitzen die Schurkenstaaten mit am Tisch, wenn über gemeinsame Aktionen gegen Steuerhinterziehung und Kapitalflucht beraten und beschlossen werden soll. Luxemburg, Österreich, die Niederlande, Grossbritannien, Frankreich als Schutzmacht Monacos, sie alle spielen ein doppeltes, übles Spiel, sind Geschädigte und Profiteure zugleich. Und die europäischen Eliten haben sich dem Aberglauben an die wunder- und wohltätige Kraft des Wettbewerbs auf allen Gebieten verschrieben. Wer sollte, wer wollte also den unlauteren Steuerwettbewerb stoppen, der zu Lasten aller europäischen Gemeinwesen (und weit darüber hinaus) geht? Wer, wenn nicht die BürgerInnen Europas, die sich die Enteignung und Verarmung ihrer Gemeinwesen, die Kommerzialisierung ihrer Souveränität nicht länger gefallen lassen müssen und können.