Steuerhinterziehung: «Man kann die Banken nicht einfach freundlich bitten»

Nr. 28 –

Der Ökonom Gabriel Zucman legt mit dem Buch «Steueroasen» erstmals eine umfassende Studie zum globalen Ausmass der Steuerhinterziehung vor. Im Interview spricht der Franzose über die Verantwortung der Schweizer Banken, widerlegt Mythen und fordert harte Sanktionen gegen die Schweiz.

WOZ: Gabriel Zucman, alle Welt behauptet, das Bankgeheimnis sei tot. Jetzt platzen Sie in die Party und sagen in Ihrem neuen Buch: Stimmt nicht, das Bankgeheimnis lebt, und es geht ihm sogar sehr gut.
Gabriel Zucman: Ich habe alle öffentlich verfügbaren Daten zu Steueroasen und Offshore-Vermögensverwaltung gesammelt und analysiert. Dabei komme ich zum Schluss, dass sich rund acht Prozent des globalen Finanzvermögens in Steueroasen befinden, 7600 Milliarden US-Dollar, ein Allzeithoch.

Wie viel davon liegt in der Schweiz?
Die Schweiz gehört zu den wenigen Offshorezentren, die offizielle Statistiken über die ausländischen Vermögen der Banken führen. Allein in der Schweiz befinden sich demnach 2400 Milliarden US-Dollar, was ebenfalls ein Allzeithoch darstellt. Die Schweiz war übrigens das erste Land, das eine grosse Vermögensverwaltungsindustrie aufbaute mit dem Zweck, Steuern zu hinterziehen.

Die Banken erzählen, das Bankgeheimnis sei zum Schutz Verfolgter geschaffen worden …
Das wird gern behauptet. Aber es ist komplett falsch. Das Geschäft in der Schweiz erlebte in den zwanziger Jahren einen Boom, als Frankreich, Deutschland und Britannien ihre Steuersätze erhöhten. Das war die Geburt der Offshore-Vermögensverwaltung.

Sie beschreiben die Schweiz als Herz der Finsternis, nennen die Banker Betrüger …
Manchmal glauben die Leute, dass ein Angriff auf die Banken ein Angriff auf das Land sei. Das ist es aber nicht. Wir wissen seit der Finanzkrise, dass viele Banken üble Dinge getan haben, nicht nur Schweizer Institute: Sie waren in hochkriminelle Aktivitäten verwickelt – für sehr lange Zeit und in sehr grossem Ausmass. Die Schlüsselaussage meines Buchs ist: Es braucht endlich Sanktionen gegen diese kriminellen Aktivitäten. Die Banken haben ihren Kunden über Jahrzehnte geholfen, Steuern zu hinterziehen, und damit viel Geld verdient. Wenn es keine Drohungen und keine Strafen gibt, dann wird das nicht aufhören.

Seither hat sich doch einiges geändert, selbst die Schweiz macht langsam Fortschritte.
Klar. Man hätte vor sechs Jahren nicht gedacht, dass die Schweiz ernsthaft in Erwägung ziehen würde, den automatischen Informationsaustausch einzuführen. Aber ich stelle auch eine Heuchelei der Schweizer Banken fest: Sie wollen alle glauben machen, dass sie heute sauber seien. Zeigt uns die Daten, wenn ihr uns überzeugen wollt! Wenn die Statistiken dann belegen, dass die Steuerhinterziehung rückläufig ist, dann bin ich der Erste, der das begrüsst. Aber die heutige Datenlage zeigt etwas anderes: dass die ausländischen Vermögen in der Schweiz weiter steigen.

Es heisst ständig, die Vermögen würden in konkurrierende Steueroasen abfliessen.
Global gesehen wachsen alle Steueroasen, Finanzplätze wie Singapur und Hongkong sogar schneller als die Schweiz. Aber das sind keine Konkurrenten. Viele Institute sind bloss Tochterfirmen von Schweizer Banken. Geld, das früher in der Schweiz verbucht wurde, wird heute von derselben Bank einfach in Singapur verwaltet. Die Bewegungen passieren bloss in den Büchern der Banken.

Also gibt es gar keine Abflüsse?
Doch, in diesem Argument steckt ein Körnchen Wahrheit. Aber wenn kleinere Konten abgeflossen sind, muss das durch grössere Neuzuflüsse kompensiert worden sein. Denn die Auslandsvermögen in der Schweiz stiegen seit 2009, als die G20 die Ära des Bankgeheimnisses für beendet erklärten, um vierzehn Prozent. Das lässt sich zum Teil mit der Erholung der Finanzmärkte erklären. Aber es floss eben auch neues Nettovermögen in die Schweiz. Die Schweizer Banken sind nicht mehr an kleinen ausländischen Konten mit ein paar Hunderttausend Dollar interessiert.

Sondern?
Sie besinnen sich zurück auf die wirklich Reichen. Für moderat Reiche, die nicht sonderlich ausgefuchsten Steuerbetrüger, ist das Bankgeheimnis tatsächlich langsam am Ende. Der automatische Informationsaustausch mit den USA ist fast Realität, und bis zum Ende des Jahrzehnts wird das wohl auch mit der EU der Fall sein. Das heisst aber auch, dass der Steuerbetrug zunehmend ausgeklügelter wird.

Was heisst das?
Vor zwanzig Jahren konnte ich als Franzose einfach ein Konto auf meinen Namen in der Schweiz eröffnen, Geld hinbringen, und die französischen Behörden erfuhren das nie. Heute macht das fast niemand mehr. Die grosse Mehrheit registriert ihr Schweizer Konto nicht auf den eigenen Namen, sondern auf den Namen einer Briefkastenfirma, eines Trusts oder einer Stiftung. Über sechzig Prozent der Auslandsvermögen in der Schweiz sind in den Händen solcher Konstrukte. Und die Zahl der Briefkastenfirmen steigt weiter.

Im Buch bezeichnen Sie die Verbindung zwischen den Britischen Jungferninseln, der Schweiz und Luxemburg als «trio infernal».
Wenn Sie Steuern hinterziehen wollen, gehen Sie so vor: Erstens, Sie schaffen finanzielle Undurchsichtigkeit mit einer Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln. Zweitens, Sie brauchen ein Bankkonto in einem Land mit gut entwickelter Vermögensverwaltung, etwa in der Schweiz. Drittens, Sie investieren das Geld in einen Anlagefonds in Luxemburg. So können Sie sowohl Steuern hinterziehen als auch eine gute Rendite erzielen.

In der Schweiz liegen nach Ihren Schätzungen 2400 Milliarden US-Dollar ausländisches Vermögen. Alles Schwarzgeld?
Nein, hier gibt es eine gewisse Unschärfe, was deklariertes Vermögen ist und was nicht. Aufgrund der verfügbaren Daten kann man aber darauf schliessen, dass rund achtzig Prozent der europäischen Kontoinhaber es vorziehen, ihre Anlagen nicht zu deklarieren.

Zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung schlagen Sie Zwang und Kontrolle vor.
Es braucht Abschreckung. Heute gibt es keinen Anreiz, das Geschäft mit der Steuerhinterziehung aufzugeben, es ist zu attraktiv. Die Banken verdienen Geld mit etwas, das für eine grosse Mehrheit der Bevölkerung schädlich ist, auch in der Schweiz.

Sie wollen ein globales Finanzregister, in dem alle Besitzer von Wertpapieren erfasst würden und das der Internationale Währungsfonds verwaltete, dazu eine globale Kapitalsteuer und harte Sanktionen, zum Beispiel hohe Importzölle für nicht kooperierende Staaten. Ist das Ihr Ernst?
Vor sechs Jahren hätten Sie jeden Steuerexperten der Welt zum automatischen Informationsaustausch befragen können – und alle hätten gesagt: Das wird niemals geschehen. Aber es geschieht, in den USA, in Europa. Ich bin da also optimistisch. Ein anderes Beispiel: Wir haben seit Jahrhunderten Grundeigentumsregister. Es steckt dieselbe Logik dahinter. Früher machten Immobilien- und Landbesitz fast hundert Prozent des Vermögens aus. Heute bestehen die Vermögen vielmehr aus Finanzprodukten. Nur die statistische Erfassung hinkt hinterher.

Ein globales Finanzregister wird in Zeiten von NSA und Datenlecks auf Kritik stossen.
Wollen wir Transparenz? Wir müssen doch demokratische, transparente Kontrollformen für Einkommen und Vermögen schaffen, ohne die Privatsphäre zu verletzen. Die NSA aber macht das Gegenteil: Sie ist undemokratisch und intransparent. Eine demokratische und transparente Kontrolle ist aber nützlich, um eine angemessene Politik zu formulieren, um Ungleichheit zu messen, um Steuerflucht und Geldwäscherei zu bekämpfen, um die Finanzstabilität zu sichern.

Um das Schweizer Bankgeheimnis endgültig zu begraben, schlagen Sie eine Koalition von Deutschland, Frankreich und Italien vor. Hatten Sie bereits Kontakt zu den Regierungen?
Nein, ich bin Akademiker. Es geht mir bloss um die Debatte. Man kann Leute, die von finanzieller Finsternis profitieren, nicht nur freundlich bitten, damit aufzuhören. Es braucht mehr: Wenn ihr nicht aufhört, unser Steuersubstrat zu stehlen, dann werden wir dagegen Massnahmen ergreifen. Die USA haben das verstanden, hohe Bussen ausgesprochen und gedroht, Banken zu zerstören. Aber die EU, die dreissigmal mehr Vermögen in der Schweiz hat als die USA, hat nichts getan. Das muss sich ändern.

Pikettys Schüler

Der Pariser Ökonom Gabriel Zucman (27) doktorierte 2012 an der Paris School of Economics und ist derzeit Assistenzprofessor an der London School of Economics. Der Schüler von Starökonom Thomas Piketty legt die bisher umfassendste Analyse der globalen Steuerhinterziehung vor.

Kommenden Montag erscheint «La Richesse cachée des nations» im Suhrkamp-Verlag auf Deutsch: «Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird».

Alle Daten verfügbar unter: 
gabriel-zucman.eu/richesse-cachee .