Bolivien: Mit Soja gegen Morales
Die Opposition aus dem reichen Tiefland blockiert die Politik des Präsidenten Evo Morales. Dieser kämpft mit Dekreten gegen die steigenden Lebensmittelpreise.
Mürrisch blickt Freddy Ramos Ticona um sich. «Schauen Sie sich um, wir haben nichts. Die Inflation frisst all unser Einkommen gleich wieder auf. Was tut Evo, und wo ist die Arbeit, die er uns versprochen hat?» Der 19-jährige Jüngling deutet mit ausladender Armbewegung auf die beiden schäbigen Zimmer in einem Hinterhof, die er gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwes-ter bewohnt. Der magere junge Mann ist verbittert - auch über die Politik von Staatspräsident Evo Morales. Tagsüber arbeitet er in einem Internetcafé, und abends holt er seinen Schulabschluss nach. Später will er Polizist werden.
Ticona lebt in der rasant wachsenden Oberstadt von La Paz. Viele sind in der Hoffnung auf neue Perspektiven hierhergezogen. «Evo cumple» ist an manche Hausmauern gepinselt - «Evo wird seine Versprechen halten». Der erste indigene Präsident Boliviens ist in El Alto bei vielen immer noch eine Art Messias.
Morales' AnhängerInnen beschuldigen die UnternehmerInnen im Tiefland, die Inflation im Land angeheizt zu haben. «Dort sitzen die grossen Produzenten, und die sind für die Verknappung und die steigenden Preise verantwortlich», ereifert sich Raúl Flores, ein Taxifahrer aus El Alto. «Dort regieren die Präfekten, und eine ganze Reihe von ihnen waren schon früher als Minis-ter unter Goni in der Regierung.» Goni wird der ehemalige Staatspräsident Gonzalo Sánchez de Lozada genannt. Er steht für die neoliberale Politik der neunziger Jahre, als etwa das staatliche Erdölunternehmen YPFB privatisiert wurde. 2003 setzte sich Goni in die USA ab. Die Präfekten, die Vorsitzenden der regionalen Regierungen, bilden einen Gegenpol zur Staatsführung in La Paz. Sie blockieren die Reformvorhaben von Evo Morales. So warteten die KleinbäuerInnen bislang vergebens auf die versprochenen Programme und Massnahmen, um den Kaffee-, Kakao- und Nahrungsmittelanbau zu stärken.
Enttäuschung ist auch im Gespräch mit FunktionärInnen des nationalen Kaffeeverbandes Fecafeb herauszuhören. Der Verband repräsentiert vor allem die KleinbäuerInnen, die mit grosser Mehrheit Morales wählten. Man erhoffte sich nach seinem Machtantritt Erleichterungen beim Kaffeeexport und bei der Kreditvergabe sowie Investitionen in die Infrastruktur.
«Geduld», fordert der Minister für Dienstleistungen und öffentliche Bauten, Oscar Coca Antezano. «Hier im Ministerium mussten wir uns in den letzten Monaten um den Wiederaufbau der Infrastruktur in den von Überschwemmungen betroffenen Regionen des Tieflands kümmern. Zudem fehlen uns Fachkräfte.» Den Mangel an Fachkräften führt der Minister auf eine Ankündigung von Morales zurück, er werde sein Gehalt auf 2500 US-Dollar im Monat reduzieren. Seither dürfe niemand mehr ein höheres Gehalt beziehen. ExpertInnen liessen sich nicht ködern, wenn man ihnen nur 1500 US-Dollar Monatslohn anbietet. «Das betrifft alle Ministerien», seufzt der Minister.
Einen weiteren Grund für den Reformstau sieht der Minister in der Blockade seitens der Tieflanddepartemente, die im nationalen Parlament ihren Einfluss wahrnehmen. Die Regierung muss deshalb mit Dekreten regieren, die manchmal nur wenige Monate Gültigkeit haben.
Immerhin konnte Morales so relativ erfolgreich die Teuerung bekämpfen. So wurde im März per Dekret der Export von Hühnerfleisch und Sojaöl verboten, was Miguel Orestes, Agrarexperte der Nichtregierungsorganisation Tierra, ausdrücklich begrüsst. Allein im Januar und Februar sei mehr Sojaöl exportiert worden als im ganzen Jahr 2007. Nicht viel anders lag der Fall beim überaus beliebten, weil billigen Hühnerfleisch. «Dass dahinter der Versuch steckte, das Angebot zu verknappen und die Preise nach oben zu drücken, liegt auf der Hand», sagt Orestes. Inzwischen ist der Verkaufspreis von Hühnerfleisch bereits um ein Drittel gesunken. Bei Sojaöl ist die Tendenz ähnlich. Hohe Lebensmittelpreise haben in der Vergangenheit immer zu Unruhen geführt. Deshalb ist Orestes sicher, dass die Opposition mit ihrer Blockadehaltung versucht, die Inflation anzuheizen, um Evo Morales «zu destabilisieren».
Die Separationsgelüste der vier ressourcenreichen Departemente des Tieflandes stellen die Regierung vor eine weitere Herausforderung. So ist in Santa Cruz ein entsprechendes Referendum für den 4. Mai angesetzt, obgleich die zentrale Wahlkommission (CNE) derartige Abstimmungen als nicht verfassungskonform deklariert hat. Am gleichen Tag wollte die Zentralregierung ursprünglich auch über die neue Verfassung abstimmen lassen. Doch die Wahlkommission pfiff auch die Regierung zurück, weil sie die vorgeschriebene Frist von neunzig Tagen für die Vorbereitung des Referendums nicht eingehalten hatte. In La Paz wurde das akzeptiert, doch im separatistischen Santa Cruz schert so etwas die selbstherrlichen und machtbewussten Provinzfürsten nicht. Allerdings stösst das Vorhaben inzwischen auch im Departement selber auf Widerstand. Am Wochenende haben die Guaraní, ein indigenes Volk, sich gegen das Referendum ausgesprochen und ihre eigene Autonomie von der Regionalregierung in Santa Cruz erklärt. Für die SeparatistInnen ist dies genauso ein harter Schlag wie die Protestdemonstrationen, die für den 2. Mai angekündigt sind.
Für die Leute in El Alto dagegen ist das ein Hoffnungsschimmer. Dort wartet man darauf, dass der politische Konflikt zwischen Hoch- und Tiefland bald ausgestanden ist, damit die Regierung endlich die eigentliche Arbeit aufnehmen kann.