«Pas douce»: Zwei Seelen auf Umwegen
Die Neuenburgerin Jeanne Waltz kehrt mit ihrem zweiten Spielfilm in die Schweiz zurück. Und wird dafür mit Preisen überhäuft.
Achtung, fertig, Romandie! Das Klischee ist wieder einmal zementiert: Das Deutschschweizer Kino trumpft zurzeit zwar regelmässig mit publikumswirksamer Hauruckkomik auf, sensible AutorInnenfilme hingegen kommen meist aus der Romandie.
Nach den Werken von Vincent Pluss, Lionel Baier oder Ursula Meier das neueste Beispiel: «Pas douce» der Neuenburgerin Jeanne Waltz. Ihre Geschichte zweier EinzelgängerInnen, die durch einander neuen Lebensmut fassen, erhielt nicht nur den Schweizer Filmpreis für das beste Drehbuch, sondern räumte auch bereits in San Francisco, Lissabon und am renommierten Karlovy-Vary-Festival in Tschechien ab. KritikerInnen vergleichen sie schon mit den Brüdern Dardenne sowie dem französischen Arthouse-Star Bruno Dumont - Lob in den höchsten Tönen also.
Der Schuss im Wald
Dazu kann die zierliche Frau nur mit den Schultern zucken. Es freut sie zwar, doch der Rummel scheint ihr auch etwas peinlich zu sein. Überhaupt ist Jeanne Waltz herrlich unprätentiös. Sie sitzt da, in einer Art Trainingsanzug, schnupft bergeweise Taschentücher voll und schlürft Kräutertee. Trotz massiver Grippeanzeichen steht sie ihren Interviewmarathon seit Stunden durch.
Das muss sie auch, denn der Andrang ist gross. Schliesslich ist ihr Film keine leichte Kost. Zu Beginn steht gleich ein Suizidversuch. Die Krankenschwester Fred (Isild Le Besco) wird dabei im Wald von einer Schulklasse überrascht, zielt mit ihrem Sportgewehr panisch auf sie - und verletzt den jugendlichen Marco (Steven de Almeida) schwer. Natürlich wird dieser daraufhin ausgerechnet auf ihre Station verlegt, wo sie ihn fortan betreuen soll. Fred ist verzweifelt. Doch nach und nach kann sie sich durchringen, die Verantwortung anzunehmen. Und es kommt zu der berührenden Begegnung zweier Seelenverwandter, die an ähnlichen Verwundungen leiden: dem pubertierenden Marco, der seine Wut unfokussiert, ja beinahe willkürlich nach aussen wendet, und der jungen Frédérique, die ihren Schmerz vollkommen internalisiert und letztlich gar in Selbsthass kehrt.
Verlorene junge Frauen wie Fred sind eigentlich nicht eine Spezialität des Schweizer, sondern des französischen Kinos. Dort jagen sie dann zwischen leiser Hoffnung und Verzweiflung, Gelegenheitsjobs und reihenweise Gauloises blondes ein bisschen Geld sowie der grossen Liebe nach. In der Tat wurde «Pas douce» zur Hälfte mit französischen Geldern finanziert. Dennoch erzählt der Film für Waltz ganz klar eine Schweizer Geschichte - und das nicht bloss, weil er in La Chaux-de-Fonds spielt und ihre Heldin über einen Job wie auch eine Wohnung verfügt. «Ja, das stimmt», sagt sie. «Das hat zum einen damit zu tun, dass ich selbst meine Jugend in der Schweiz verlebt habe, und somit auch die Zeit, in der man wohl am selbstzerstörerischsten ist.»
Vor allem aber sei der Film geradezu durchtränkt von calvinistischer Mentalität: «In diesem Land haben wir doch alle eine protestantische Erziehung, selbst die Katholiken. Die Schule, die Arbeitsethik, alles ist davon durchsetzt. Man wird dazu erzogen, ständig nach wirtschaftlichem Erfolg zu streben. Das Emotionale bleibt dabei oft auf der Strecke. Es wird als ganz normal angesehen, das alles still und leise zu erdulden.»
Ist das etwa auch der Grund, weshalb es sie nach ihrer Jugendzeit zunächst nach Berlin und dann nach Portugal verschlagen hat, wo sie inzwischen seit über zehn Jahren hauptsächlich lebt? Waltz zuckt mit den Schultern: «Zugegeben, ich fand das Ausland immer interessanter als die Schweiz. Ob das an der Mentalität liegt, kann ich aber nicht sagen. In Portugal hängen geblieben bin ich vor allem, weil sich das durch die Arbeit so ergeben hat.»
Ursprünglich wollte sie in Portugal mit FreundInnen ein Kino betreiben. Als das nicht klappte, begann sie als Ausstatterin zu arbeiten, Drehbücher zu schreiben und - meist auf Portugiesisch - kleine Filme zu drehen. Eine Filmschule hat sie nie besucht.
Erstaunlich souverän
Umso beeindruckender die Souveränität ihres erst zweiten Langspielfilms: Herb, spröde wie der Charakter der Hauptfigur ist auch der Erzählstil. «Wenn man ganz genau weiss, wovon man spricht», sagt Waltz, «kann man viele Dinge sagen, ohne sie wirklich auszusprechen. Mich haben die Umwege interessiert, über die ich meine Figuren charakterisieren kann. Informationen, mit denen ich etwas Nebensächliches benenne und durch die der Zuschauer dann auf das Eigentliche schliessen muss.»
Oft gelingt ihr das in wunderbar eleganter Weise. Leider schiesst Waltz gelegentlich auch über das Ziel hinaus. Teilweise wird die Erzählung durch die Ballung von Andeutungen allzu kryptisch, sodass Freds Handlungen nicht mehr richtig nachvollziehbar sind, was die emotionale Anteilnahme erschwert. Schade auch, dass die Hauptdarstellerin, die Französin Isild Le Besco, oft etwas zu gross spielt für die Kamera - und Dinge theatralisch veräussert, die auch mit subtileren Mitteln verständlich geworden wären. Gross abträglich ist das dem Film aber nicht. «Pas douce» bleibt ein starker AutorInnenfilm, der zu Recht ganz auf seine beiden Hauptfiguren setzt, eine eigene Sprache sucht und findet. Und der all seine Preise redlich verdient.
«Pas douce». Schweiz/Frankreich 2007. Regie: Jeanne Waltz. www.pasdouce-lefilm.com