Einbürgerungen: ZwangsschweizerInnen

Nr. 22 –

Bis vor neunzig Jahren galt die Einbürgerung als gutes Mittel, AusländerInnen zu integrieren. Erst seitdem müssen die zukünftigen SchweizerInnen beweisen, dass sie sich bereits «assimiliert» haben.

Wer ist eine oder einer von uns, und wer darf es werden? Diese Frage steht dieser Tage nicht nur einmal mehr zur Abstimmung an - es kommt auch ein Nationales Forschungsprogramm (NFP) zum Abschluss, das sich der Frage widmet: das NFP 51 über «Integration und Ausschluss».

Zentrales juristisches Instrument zur Integration in die nationale Gemeinschaft respektive zum Ausschluss aus derselben war und ist das Bürgerrecht. Indem es bestimmt, wer dazu gehören darf und wer nicht, hatte es von Anfang an - das heisst, seit es Schweizer StaatsbürgerInnen gibt, nämlich seit 1848 - eine repressive Komponente. Überraschend aus heutiger Sicht ist freilich, dass im 19. Jahrhundert die Repression in die umgekehrte Richtung lief als heute: Menschen wurden nicht diszipliniert, indem ihnen das Recht vorenthalten wurde, nein: Es gab Zwangseinbürgerungen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren nur drei Prozent der Schweizer Bevölkerung AusländerInnen; «Überfremdungs»-Ängste kamen erst später auf. Das Bürgerrecht diente nicht so sehr der Aufnahme oder Abwehr von AusländerInnen als der Eingliederung von «Heimatlosen» in die (sesshafte) Gemeinschaft: «Die fahrende Lebensweise sollte zerstört werden», schreiben die AutorInnen der NFP-51-Teilstudie über die Geschichte des Schweizer Bürgerrechts.

«Assimilationsgeeignet»

Um die Jahrhundertwende kamen Wörter wie «Überfremdung» im schweizerischen politischen Wortschatz auf (übrigens zuerst in philanthropischen Gesellschaften). 1898 forderte der St. Galler Nationalrat Theodor Curti unter dem Stichwort «Ausländerproblem» die erleichterte (!) Einbürgerung für «assimilationsgeeignete» Ausländer. 1917 kam es dann zu der Wende, welche die Debatte bis heute bestimmt. Bis dahin war die Einbürgerung als Mittel gesehen worden, AusländerInnen zu «assimilieren». Von jetzt an musste, wer sich einbürgern lassen wollte, nachweisen, dass er oder sie bereits «assimiliert» war.

Die Einbürgerungspraxis und -gesetzgebung wurden zunehmend restriktiver, wobei besonders SlawInnen, «Zigeuner», «Andersfarbige» und JüdInnen wenig erwünscht waren. Für Letztere gab es im Zweiten Weltkrieg eine Obergrenze von zwölf Einbürgerungen pro Jahr. Der Antijudaismus der Behörden richtete sich sogar gegen gebürtige Schweizerinnen: 1941 schrieb das Justizdepartement, es sei nicht zulässig, «das Schweizerbürgerrecht solchen Frauen wieder zuzusprechen, die mit dem Eheschluss die Staatsangehörigkeit des Mannes erworben haben und nachher mit dem Mann ausgebürgert wurden, so etwa im Falle der deutschen Juden».

Nach dem Krieg holte die Schweizer Wirtschaft ausländische Arbeitskräfte ins Land, deren Integration ausdrücklich nicht erwünscht war - man wollte diese Menschen nur provisorisch. Die geistige Landesverteidigung wirkte in der Überhöhung des Schweizer Bürgerrechts noch nach. Das Bürgerrecht, schrieb 1964 eine Studienkommission für das Problem der ausländischen Arbeitskräfte, sei «langsam im Verlaufe von Jahrhunderten gewachsen, und es braucht in der Regel Generationen, um es zu erwerben». Integrierte sich jemand allzu schnell, wurde er der «Charakterlosigkeit» verdächtigt.

Symbolisch aufgeladen

Erst mit der Zeit, teilweise unter dem Druck von Herkunftsländern wie Italien, erkannte die Politik die Notwendigkeit, ausländische Arbeitskräfte oder wenigstens ihre in der Schweiz geborenen Kinder einzubürgern. Es waren nun die StimmbürgerInnen, die dem Establishment nicht folgten. In den achtziger und frühen neunziger Jahren fielen Vorlagen zur erleichterten Einbürgerung durch, obwohl alle grossen Parteien inklusive SVP die Ja-Parole herausgegeben hatten. Unterdessen hat die SVP erkannt, wie sehr sie mit einer nationalistischen AusländerInnenpolitik punkten kann, und versucht, die in den letzten Jahren erfolgte Versachlichung der Einbürgerung wieder umzukehren. Der Zugang zur Schweizer Staatsbürgerschaft bleibt «ein symbolisch hoch aufgeladener Prozess, der einer nationalen Selbstvergewisserung ebenso dient wie der politischen Instrumentalisierung».

Brigitte Studer, Gérald Arlettaz und Regula Argast: Das Schweizer Bürgerrecht. Erwerb, Verlust, Entzug von 1848 bis zur Gegenwart. NZZ Libro. Zürich 2008. 448 Seiten. 58 Franken